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@Traktorfahrer, Arbeiter: Da muss niemand in die 20er oder 30er Jahre zurückgehen.

Noch in den 80er Jahren hatte ich Genossen/innen,
die nach dem Studium in die Fabrik gingen, um die Arbeiter politisch zu agitieren,
und Solche, die in den Semesterferien bei Fiat in Turin arbeiteten, um da etwas vom
revolutionär-proletarischen Geist der dort normalerweise explizit linken Arbeiter
mitzubekommen. Das war nicht nur romantisch, sondern hing mit der (wahrscheinlich
irrigen, aber jedenfalls gemachten) Analyse zusammen, dass revolutionär gesinnte Leute
unter den Menschen leben sollten, die man für das revolutionäre Subjekt hielt. Solange
man davon ausging, diese Gesellschaft verändern zu wollen und zu können, eine durchaus
pragmatische Sache im Sinne von „Wie erreiche ich mein Ziel?“ und auch eine moralische
Frage. Dieses sein Leben einer Sache weihen und nach politischen Prinzipien ausrichten
ist auch mir nicht fremd, wenn bei mir das Programm auch etwas anders aussah. Und
wenn Du, booldog schreibst: „Genau das meinte ich eben mit der Aussage, daß uns diese
Menschen von
damals mit ihrem Idealismus und ihren Utopien völlig fremd sind.“ – Nun, da muss ich
sagen, obwohl ich Dich kenne und sehr schätze, Diejenigen, die sich zu dieser Fremdheit
bekennen, sind mir völlig fremd. Es hat eine Zeit gegeben, da wäre ich für meine Ideale
gestorben, ich habe eine Ausbildung in der Verlagsgruppe Handelsblatt, die ich hätte
bekommen können, nicht angetreten, weil das der Klassenfeind war, und es haben Leute
mir die Freundschaft gekündigt, weil ich einen Job in der IT-Branche angetreten habe
und das als politisch nicht korrekt galt.

Zu leben, ohne diese Welt politisch ändern zu wollen, ist mir nicht vorstellbar.
Demgegenüber halte ich meine eigenen Belange für sekundär.
Also, ich lebe schon sehr gerne und habe sicher auch Einiges an gesundem Egoismus,
aber ganz grundsätzlich finde ich das Weltgeschehen doch wichtiger als mich. Ich
kann, wenn auch schweren Herzens, akzeptieren, kein erfülltes Liebesleben zu haben oder
beruflich nicht so erfolgreich zu sein, wie ich eigentlich möchte, aber ich wäre lieber tot,
als mich mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, so wie sie sind, abzufinden.-