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Ich kann Ihnen beiden nur zustimmen (und das ist schön). Der Selbsthass der Gesellschaft ist sicherlich eine Konstante, und gleichzeitig treibt er sich immer wieder zu Exzessen, zu Ausbrüchen; und diese Ausbrüche aus dem Morast der dekadenten Tradition werden stets begleitet von einer Stimmung des Aufbruchs. Man glaubt eine Zeit lang, durch komplette Abstossung der Vergangenheit könne man in relativ kurzer Zeit zum Guten gelangen.

Ich glaube, die Abwechslung zwischen den Zeiten der relativen Liebe und des Hasses gegenüber den gegebenen Verhältnissen läuft in etwa so, dass eine bestimmte Periode an ihrem Anfang von konkretem Zukunftsglauben auf der Basis des Herkömmlichen und Dagewesenen geprägt ist, dass sie am Ende aber durch Stagnation, Saturiertheit und Übererfüllung von einer neuerlichen Abstossung der eingeschlagenen Wege und einer Suche nach dem neuen Richtigen überrollt wird, weil sie die noch prägenden Strukturen in ihrem Zustand leicht erwischen kann.

Es geht weniger um historische Parallelen oder das protoesoterische „Geschichte wiederholt sich“ als um historisch vergleichbare Vorgänge. Und ganz bestimmt ist es für uns am ergiebigsten, wenn wir die goldene Mitte suchen. – „Übergang ist immer“, das ist sehr trefflich gesagt! Brüche und sogar Revolutionen werden letztlich erst von der Geschichtsschreibung definitiv konstruiert, und darum können wir über unsere Zeit zwar munter mutmassen, aber wir werden es leider nicht mehr erfahren. Immerhin können wir es so ein wenig zu lenken versuchen, das zeigt die Vergangenheit: Die Selbstbeschreibung einer Zeit hat noch fast jeden Historiker teilweise inspiriert.