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Mehr Selbständigkeit!

Liebe Modeste: danke, das ist ein sehr guter Text, der die Situation in unserem Land recht gut wiedergibt. Erst gestern rief mich mein Bruder an: er hat via Betriebsvereinbarung auf 10% des Gehalts ab sofort verzichtet, damit die Firma nicht schließen muss. Der Chef und Eigentümer hat sich vorne hingestellt und die Zahlen rausgelassen: dabei kam raus, dass er noch vor 5 Jahren 1,6 Millionen Überschuss hatte, für die er sich KEINE Yacht gekauft hat, sondern die er in den letzten 5 Jahren in die Firma gebuttert hat. Jetzt ist dieser Berg abgeschmolzen.

Es ist nicht so, dass sie keine Aufträge mehr hätten: die Auftragslage ist so gut wie immer. Nur die Auftraggeber drücken dermaßen die Preise und gehen absolut ungeniert zum nächstliegenden Billigheimer – da kann ein seriöses Unternehmen nicht lange mit. Seriöse Unternehmen sind deswegen teurer, weil sie weniger Fehler machen und bessere Mitarbeiter haben. Das Fehlermachen ist den Auftraggebern mittlerweile egal: da haftet irgendjemand für, auf Qualität kommt’s da gar nicht mehr an.

Nach dem Telefonat dachte ich mir: wir haben uns an einen Standard gewöhnt, der viel zu hoch ist, den wir uns überhaupt nicht mehr leisten können. Damit immer weniger Menschen so tun können, als wäre es normal, jedes Jahr 28 Tage Urlaub zu haben, müssen immer mehr Menschen arbeitslos werden. Oder weil immer weniger Menschen sich immer teurere Extras leisten wollen, müssen immer mehr Menschen ungerecht viele Einbußen hinnehmen. Beispiele gibt es hier genug.

Denen, die jetzt in dieser Falle hängen, kann man nicht mehr helfen. Aber vielleicht müssen die Jüngeren, die jetzt auf den Arbeitsmarkt kommen, insgesamt etwas misstrauischer werden. Nicht mehr der Leitsatz „Geh zum Daimler, da biste was“ darf berufsentscheidend sein, sondern „wie kann ich mein Berufsleben so gestalten, dass ich mich ganz allein und aus eigener Kraft unterhalten kann?“. Man kann ja auch als Consultant beim Daimler arbeiten und immer wieder die Stelle wechseln – in völlig eigener Regie, sich also grundsätzlich nicht mehr von einem großen Tanker abhängig machen. Denn wenn so ein Tanker auf Grund läuft, dann sind alle tot.

Wir Deutschen mit unserer Zeugnisgläubigkeit tun uns sehr schwer damit, ich weiß noch, wie meine Mutter immer sagte „Man muss ein Exahm hahm“ – das war der so eingebleut, dass sie es nichtmals mehr sorgfältig aussprach. Und wie hat sie sich geirrt damals! Wir müssen von den Diplomen und Zugangsvoraussetzungen ein wenig Abstand gewinnen und uns ein wenig umsehen: wo kann ich was tun, und zwar jetzt und hier und sofort und ohne darüber nachzudenken, ob ich dann in 40 Jahren Rente kriege.

Sonst landen wir alle irgendwann in so einer Halle, und drei Fuzzies erzählen uns, dass wir unwirtschaftlich sind. Das könnten sie gar nicht, wenn wir uns nicht einem Betrieb unser gesamtes Wohl und Wehe ans Herz gelegt hätten. Betriebe haben kein Herz, sondern ein Bilanzbuch.