REPLY:

Toller Thread, extrem vielschichtig. Und, wie bei der werten Gastgeberin
eigentlich immer, meisterlich geschrieben.
@rayson: „Dass im Management „neoliberale Ideologie“ eine Rolle spielen würde,
habe ich allerdings noch nicht erlebt – das sind keine Ideologen, sondern
Nutzenmaximierer mit persönlich sehr spezieller Definition von Nutzen.“ – so etwas
könnte man Ideologie nennen, ich habe viel mit Unternehmensberatern
und auch Personalern zu tun gehabt, die ihre Defintion von Nutzen und Effizienz
hauptsächlich
nach der Formel „Personalkosten um jeden Preis senken“ ausrichten.
Die formelhafte Excel-Tabellen-Denkweise, zu der mancher MBO erzogen wurde,
würde ich als Ideologie bezeichnen – wobei ich
nicht weiß, ob es das ist, was workingclasshero meint.

@Gunhilde, Modeste:
„Entfernen von einer Orientierung an Status und Einkommen“ –
als jemand, der an solchen Dingen nicht orientiert ist, in bürgerlicher
Sicherheit lebt, aber auch schon mal am eigenen Leib den Terror des
Sozialamts erleben musste, habe ich einen sehr zwiespältigen Blick
auf diese Dinge. Vielen Entlassenen geht es nicht um die Orientierung
an irgendetwas, sondern um die nackte Existenz. Ich denke an meinen
Freund, den Pathologen, der als arbeitsloser Telekommunikationsingenieur
erst im Sudan wieder Arbeit gefunden hat, einen ehemaligen Kommilitonen,
der als Historiker heute von Beruf Vater ist (zwei Kinder in Pflegschaft genommen,
die er sich bezahlen lässt), eine Diplom-Sozialwissenschaftlerin mit Prädikatsnote,
die einige Jahre in einem Callcenter arbeitete, bis dieses nach Südafrika verlegt wurde
(warum ist die unflexible Frau ihrem Job nicht nachgezogen? 😉 ) und vergleiche
das mit der Karriere meines Vaters, die eigentlich erst mit 42 begann, als er Job
und Branche wechselte.

Ein erfülltes Leben ohne Erwerbsarbeit – die Subkultur, der ich mal angehörte,
hatte ja genau das gelebt. Dafür haben uns die Bürger gehasst. Die Bauwagenplätze
und besetzten Häuser waren für die Einen Realisierung eines alternativen
Lebensentwurfs, für die Anderen ein Polizeiproblem, für Dritte ein Frontalangriff
auf die Werte des Abendlands. Rein menschlich gesehen wünsche ich Leuten wie
den beschriebenen Jungsconsultants, mal im Flur der Arbeitsagentur auf das
Gespräch zur Bewilligung der Stütze zu warten und dabei neben Junkies zu sitzen, die sich
über die Besonderheiten von mit Strychnin verschnittenem Koks unterhalten.
Mir hat diese Erfahrung auf Dauer nicht geschadet, aber tiefe Einsichten verschafft.
Ansonsten möchte ich einen weiteren, recht provokanten Kommentar zu dem Thema hier
einfließen lassen:
http://che2001.blogger.de/stories/410377/#411477