Leuchtkugeln gegen Schrotschüsse
Mich beschleicht grundsätzlich ein unangenehmes Gefühl bei Schüssen aus der Schrotflinte, weil Schrotflinten für Leute gemacht sind, die sich die Arbeit des genauen Zielens nicht machen wollen, sondern einfach „abdrücken und alles tot“ machen wollen. Nachher beschweren sie sich dann, wenn sie sich an einer übersehenen Schrotkugel einen Zahn ausgebissen haben. Aber das sei nur der Prolog.
Grundsätzlich stimme ich Mme. Modeste zu: der Weihrauch, der den Herren Grass, Walser – aber auch Reich-Ranitzki – zugedacht wird, riecht doch immer ein wenig nach Allgemeinplätzen und politischer Korrektheit.
Die Damen und Herren wurden wohl irgendwie alle um die 68er herum groß: zu einer Zeit, in der ein intellektuelles Proletariat sich die Deutungshoheit über das anmaßte, was denkbar war und was nicht. Damals waren halt Bücher von Grass ungelesen denkbar – mich schaudert noch heute vor dem Vorhaben, die unendliche Langeweile der Blechtrommel lesend durchleben zu müssen. Meine Mutter hatte früher einen Damenclub, da wurde an so einem Werk schminktechnisch durchgestylt und in ungeordneten Parfümwolken versinkend halbjahrweise herumgelesen. Man fand sich intellektuell und übersah, dass das meistensteils Quatsch war. Miefige Besserwisserei, sowohl auf Seiten der Autoren als auch auf Seiten der Rezipienten, die aber den Meinungsfilter auszuschalten hatten.
Ich liebe Geschichten, die nichts sind als Geschichten, und die keinen Anspruch auf irgendwas erheben, so wie ein Vogel keinen Anspruch auf den Luftraum erhebt, den er durchmißt. Heinrich Bölls frühe Werke, auf die Herr Sokrates Bezug nimmt, sind so: sie sind nicht „lustich“, sie sind schön. Voriges Jahr las ich mal wieder Narziß und Goldmund und das Glasperlenspiel – wunderbar, ganz anders, als ich es von früher in Erinnerung hatte, aber es hinterließ neue Denkspuren im Hirn. Außerdem erlaubte ich mir immer, Science Fiction zu lesen – wegen der Geschichten, die sich die Autoren ausgedacht hatten, ob sie nun in Raumschiffen, auf der Erde oder in fremden Galaxien stattfanden, ist mir doch egal. Die utopischen Erfindungen von Isaac Asimov zum Beispiel, die ausladenden Epen von Robert A. Heinlein: damit kann man nirgendwo unter Literaten sich aufhalten, aber sie ließen einen einen verregneten Sonntag wie einen Sonnentag vorkommen.
Was soll Literatur eigentlich? Uns unterhalten? Auf Missstände hinweisen? Uns politisch unterweisen? Unser Bedürfnis nach schöner Sprache befriedigen? Ich finde, aus der Geschichte, die das Buch erzählt, sollte das klar und deutlich werden – nicht aus dem Namen des Autors. Mag sein, dass nicht mals die Autoren selbst so viel Schuld an ihrem Mist tragen, sondern die Verlage, die nach Umsatzzahlen und Zugpferden gieren.
Nur: ich bin kein Mensch, der sich beim Kritisieren aufhält, wenngleich auch manches mal gesagt werden muss. Also: wo sind die Silberstreifen, die Geschichten, die keinen Anspruch auf politische Korrektheit erheben, sondern nur was in schöner Sprache erzählen und fertig?