Labyrinth

Das ist die hübscheste Beschreibung einer tragischen Verstrickung, die ich jemals gelesen habe. Wenn man nochmal von vorn liest und auf die Zeichen achtet, liest man plötzlich …

… von einem jungen Mann, der nie im Leben die Chance hatte, im Schoße der Familie sein eigenes Ego zu finden und zu festigen. Darauf deutet vor allem die Tatsache hin, dass er in ein Internat ausweichen mußte, weil er sich mit der aktuellen LAB des Vaters nicht vertrug: nicht die LAB wurde deswegen versenkt, sondern er.

Der Junge hat also, ohne dass das jemals irgendwer hat sagen müssen, zwei Dinge gelernt: Es gibt nichts im Leben, auf das du dich verlassen kannst – und das hängt auf irgendeine verborgene Weise immer mit Frauen zusammen: wenn sie ins Leben treten, dann wird mein Stand sehr unsicher. Klarer Fall: was nie gesagt wird, dagegen kann man sich nicht wehren.

Deswegen erscheinen mir die beschriebenen Verhaltensweisen des jungen Mannes in der Beziehung zu Frauen vollkommen nachvollziehbar. Nun ist die Hochzeit jedoch in unserer Gesellschaft symbolisch sehr tief verankert: selbst Menschen, die an sonst überhaupt gar nichts glauben, wollen doch wenigstens einmal im Leben mit einer Feier irgendeinen Fixpunkt setzen – das ist meist die Hochzeit. Mir ist schon klar, dass der Junge solche Feiern, die vor seinem geistigen Auge nichts als Feiern um des Kaisers neue Kleider sind, nicht aushält: sein Innerstes ist sich gewiß, dass da gelogen wird, dass sich die Balken biegen.

Der Grund für seine Weigerung, der Hochzeit beizuwohnen, ist also gewiß nicht die Ödi-Tante, die tritt nur traumhaft auf die Bühne, damit das wahre Geheimnis nicht gelüftet werden muss, denn das würde in sich die reale Gefahr erneuter Verstoßung bergen – das macht keiner freiwillig, es sei denn, er weiß drum und will es ganz bewußt auf den Punkt bringen. Warum um alles in der Welt sollte er sich also schon wieder eine blutige Nase holen?

Hier zeigt sich in einem mikroskopischen Ausschnitt, dass Kinder in ihrem Leben die Schuld der Eltern übernehmen und entweder lösen müssen oder – wenn es zu viel ist oder sie es nicht lösen können – an ihre Nachkommen weitergeben. In solch schlimmen Fällen wie dem hier geschilderten kann dann die Nachkommenschaft entweder überhaupt nicht mehr entstehen (Bindungsunfähigkeit: es findet sich kein Partner) oder einfach so nebenher in die Welt gesetzt und dann sich selbst überlassen werden. Im letzteren Fall gibt es dann wenigstens noch die (geringe) Chance, eine gute Pflegefamilie zu finden: dort kann dann mit viel Glück der Strick durchtrennt und neu an einen anderen Fels gebunden werden.

Nur um den Leser nicht auf die falsche Fährte zu locken: die Schuld der Eltern besteht nicht im ständigen Wechsel des LABs, sondern darin, dass sie es nicht geschafft haben, den Kindern (oder einigen von ihnen) völlig außerhalb dieses Beziehungsdurcheinanders ein Fels in der Brandung gewesen zu sein. Sie sind nicht authentisch geblieben, nicht bei sich selbst, ihr Standpunkt war für die Kinder nicht erkennbar. Das müssen Eltern tun, sonst nicht so viel.

Es, liebe Frau Modeste, ist eine ebenso gut beobachtete wie geschriebene Geschichte für’s Lehrbuch.