Madame,
zuerstmal, manchmal zucke ich zusammen, wenn ich von Ihren Wegen lese, die fast exakt die meinen sind, und frage mich, wie oft wir uns schon begegnet sind.
Als ehemalige Gemälderestauratorin möchte ich die Damen und Herren hier doch anregen, es sich nicht allzu einfach zu machen. Die Picassos und Kandinskys gibt es durchaus noch, in den seltensten Fällen in Versicherungsagenturen, sie sehen halt ein bisschen anders aus. Man findet immer wieder Goldstücke, wenn man nicht müde wird, sich durch den Haufen Quatsch zu wühlen und: Schon immer wurde über Zeitgenossen gemeckert, falls ich daran erinnern darf, sind sie vor gar nicht langer Zeit sogar im Fegefeuer gelandet. Ist also ein Evergreen, das aktuelle Unverständnis. Und schon immer sind 80 % der hochgelobten hochgehandelten später (meist) zurecht in Vergessenheit geraten.
Zweitens: Nicht jeder aktuelle Künstler fordert intellektuelle Auseinandersetzung. Vieles wird aus Übermut und Freude an Schönheit geschaffen, und genau das sollten diese Werke beim Betrachten auslösen. Bestenfalls eine Art von Andacht und Ergriffenheit. Und tuns sies nicht, man drehe sich um, schüttle den Kopf und gehe weiter. Ich meckere dabei noch vor mich hin (tut auch gut).
Und komme zum letzten Punkt. Viele dieser abstrakten Werke brauchen viel viel Zeit. Zu Anfang meiner Ausbildung arbeitete ich in einem Hamburger Restaurierungstelier. Dort stand ein merkwüdiges weisses Kästchen auf der Staffelei und ich dachte mit in meiner arroganten 19-Jährigkeit: So ein Nepp, ein weiss angemalter Setzkasten. Tag ein Tag aus sass ich neben ihm, retuschierte einen Nazarener, der mir immer einfältiger vorkam, der weisse Schoonhoven aber wechselte Schatten und Struktur im Tageslicht und wuchs mir mehr und mehr ans Herz. Leider hat man selten soviel Zeit, wenn man durchs Museum jagt.
Und gegen die Alten Meister ist ja trotzdem nix einzuwenden. Aber Kunst und handwerkliches Können gleichzusetzen ist doch etwas platt.
Ach ja, ich hab ein paar Jahre gar keine Kunst mehr angeschaut, aus lauter Überdruss. Für die Biennale brauch ich inzwischen ungefähr drei Stunden und am schönsten finde ich am Ende immer die Wände vom Arsenale.
Nix für ungut und Ihnen freundlich zugewandt,
Montez