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Danke für diese Offenheit. Weihnachten, Ostern u.s.w. in der Familie zu begehen, sei jedem gegönnt, der damit angenehm kuschelige Kindheitserinnerungen verbindet. Ich leider nicht. Ich kenne aber Konstellationen, wo es tatsächlich ein rein positiv erinnerter Teil von Familienleben ist, der gerne wiederholt wird. Aber das ist Glückssache, nichts was man sich ‚erarbeitet‘. Mir ist es nicht im klassischen Sinne peinlich (von wegen Versagen in einem Punkt, in dem man zu funktionieren hat), ich habe nur keine Lust, das im Detail auseinanderzuklamüsern, warum das Dogma der weihnachtlichen Zwangszusammenführung, weil es halt die Eltern sind, bei mir seit mehreren Jahrzehnten keine Rolle mehr spielt. Und dass einem da auch wirklich nichts fehlt. Mir ist eigentlich eher das Unverständnis der Angehörigen von Kuschelweihnachtenfamilien peinlich. Da reicht das abstrakte Vorstellungsvermögen leider nicht so weit, dass man anders sozialisiert Grauen mit Zwangskontakt verbindet und sich mit einer Zäsur etwas Gutes tut. Mit den Eltern zu brechen ist eines der letzten Tabus unserer Gesellschaft, in der die Familie prinzipiell heilig gesprochen wird. Man hat ja schon atmosphärisch das Empfinden, das nicht unter allen Weihnachtsbäumen Friede Freude Eierkuchen herrscht. Die kirchlichen Dogmen tragen einiges dazu bei, dass sich Familienmitglieder regelrecht zusammenquälen und den Zeitpunkt der Erlösung herbeisehnen. Ich finde es legitim, im Erwachsenenalter (oder auch schon früher) festszustellen, dass man mit Menschen blutsverwandt ist, mit denen einen auf einer seelischen Ebene nichts verbindet und dann Schlüsse daraus zu ziehen. Das ist nicht pathologisch oder therapiebedürftig sondern die naheliegendste Konsequenz. Man führt auch keine Freundschaften bis zum bitteren Ende, wenn man sich nichts mehr zu sagen hat.