Puh, der Text strotzt aber ganz schön von vorurteilsbeladenden Denkmustern.

Eine Blockflöte kostet übrigens keine 20 €, und bei youtube kann man sich gemeinsam mit seinen Kindern erschließen, wie man sie spielt.

Um hier nur ein Beispiel der vielen Denkfehler zu benennen: Zunächst einmal zu unterstellen, dass Eltern, die wenig Geld haben, sich nicht um die musikalische Erziehung ihrer Kinder kümmern würden, empfinde ich sehr unschön.

Deiner These nach, können Kinder von armen Eltern ganz einfach ein Instrument erlernen, würden die Eltern 20 Euro investieren, einen PC, Internet haben und YouTube kennen. Klar. Stimme ich Dir zu. Ich stimme Dir darin nicht zu, dass Eltern – Deiner Meinung folgend – auf die Idee nicht von alleine kommen.

Dass Du einem „armen” Kind per se zumutest das – bekanntermaßen mit Abstand in den Erzählungen der meisten Ex-Kinder– unbeliebteste Musikinstrument selbstständig zu erlernen – während andere privilegierte Kinder ein Instrument erlernen dürfen, worauf sie womöglich sogar Lust haben und persönlichen Unterricht erhalten. Das merkst Du selbst? (Und komme mir bitte nicht mit die Blockflöte war zu ein Beispiel. Sie ist explizit das Beispiel für „arme Kinder können dann halt nur nicht attraktive Instrumente lernen.”) Dieses Kind ist in die Schublade sortiert, „Wenn Du nix hast, lernste halt Blockflöte. Alle anderen Kinder von besser gestellten Eltern dürfen Geige lernen und Einzelunterricht erhalten, Du spiel‘ mal schön in der zweiten Blockflöten-YouTube-Liga.”

Im Grunde unterstellst Du Eltern, die wenig Geld und Zeit für ihre Kinder haben, mangelndes Desinteresse und fehlende Kreativität Lösungen für ihre Situation zu finden – mich ärgert das. So leicht ist es einfach nicht.

(Mich ärgert ein bisschen insbesondere über dieses Beispiel von Dir auf, weil ich es aus eigener Erfahrung kenne. Meine Mutter war arm. Meine Mutter war dennoch bemüht – trotz ihres Hauptjobs und stellenweise noch zwei Nebenjobs – mir musikalische Erziehung zukommen zu lassen. Es gab einen Gitarrenspieler im sozialen Umfeld, der als Gitarrenlehrer arbeitete. Der besorgte eine Kindergitarre und fing an mir das Spielen beizubringen. Gitarrenunterricht war für mich eine Qual. Ich mochte das Instrument nicht, ich hatte gar keinen Bezug dazu. Aber ich hätte nur das lernen können, weil ich eben Kinder einer alleinerziehenden Mutter war, die arm war.

Was es in meiner Welt aber nie gab war: „Welches Instrument willst Du spielen lernen?” Weil sich die Möglichkeit nicht ergeben hätte, mir das zu ermöglichen. Ich wollte nämlich immer Klavier spielen wollen und Schlagzeug. Weder waren für eines der Instrumente Geld da, noch Geld um darin Unterricht bezahlt zu bekommen.)

Wie oft hast Du Deinen Sohn gefragt: „Willst Du das tun? Oder das?” Mit dem Hintergedanken, dass Du seinem Wunsch sofort entsprechen könntest.

Wie oft müssen andere Eltern zu ihrem Kind sagen, das mit einem Wunsch kommt: „Es tut mir leid, wir können uns das nicht leisten.” (Diese Kinder wachsen übrigens genau mit diesem Erleben auf: „Wir können uns das nicht leisten.” Nicht etwa „Mama/Papa/Deine Eltern kann sich das nicht leisten.” Das arme Kind wird immer mit ins Boot geholt – das macht was mit so einem Kind für den Rest seines Lebens.

Wir sind auf dem Holzweg, wenn wir Eltern unterstellen, sie würden, wenn sie wenig finanzielle Mittel zur Verfügung haben, ihren Kindern nicht alle Möglichkeiten schaffen zu wollen, eine gute Erziehung zu gewährleisten. Es geht darum, allen Kindern solche Möglichkeiten zu schaffen, egal wie schlecht deren Eltern gestellt sind.

Mein zweites Ärgernis, das ich mit oben stehenden Text habe, dass ein offensichtlich ein Verständnis fehl, wie heutzutage das zeitliche Management schon bei der Mittelschicht aussieht – das ist nämlich längst nicht mehr von „Freizeit” oder einem Zuhause sein geprägt, sondern von sehr knapper Zeit für die Familie. Man muss heutzutage nicht mehr arbeitslos sein, um arm zu sein. Man muss nicht ungebildet sein, um heute mit mehren Jobs für ein Existenzminimum kämpfen zu müssen. (Bestenfalls hat man bloß einen Pflegefall in der Familie, arm sein geht nämlich ganz schnell auch bei Hochintelligenten mit ein bisschen sozialer Kompetenz.)

Ungebildet sein oder aber Kindern nicht im ausreichend Maß zeitlich so zur Verfügung stehen zu können, um ihnen die intensive Zuwendung zukommen zu lassen – sind heutzutage leider zwei völlig unterschiedliche Ausgangspositionen, und ich kann nur davor warnen, diese in einen Topf zu werfen.

Wenn Du mit Deinem Kind am Küchentisch sitzt und Ihr beide Spaß habt beim Bilder malen, ist die Mutter von dem „armen” Kind u. U. bei ihrem Zweitjob und putzt irgendein Büro, weil ihr Sekretärinnenjob einfach nicht mehr genug abwirft. Das hat nichts mit Desinteresse zu tun, noch mit dem fehlenden Wunsch es Euch gleich zu tun.

Und ja, es gibt sehr viele Eltern, die sich nicht ausreichend um ihre Kinder bemühen. Das will ich nicht bestreiten. Die müssen m. E. nicht einmal arm sein. Auch ich stehe oft fassungslos vor Familiensituationen im öffentlichen Raum und denke bei mir, warum habt Ihr überhaupt Kinder bekommen, wenn ihr so wenig Lust auf sie demonstriert? Nur sollten wir uns davon hüten, dass „ungebildete, womöglich übergewichtige, weil still gestellte Kinder” immer aus einem solchen Haushalt entsprungen sein müssen.

Womöglich wünschen sich deren Eltern auch ein ganz ganz andere Leben für sich und ihre Brut mit viel mehr Zeit für die eigenen Kinder. Und die wird in der hiesigen Gesellschaft immer mehr Menschen durch deren Arbeits-/Gehaltssituation genommen. Leider.

Übrigens wäre ein schöner Anfang an einer Musikschule die Patenschaft für ein „armes” Kind zu übernehmen und diesem den Musikunterricht/Instrument zu bezahlen, wenn man es sich leisten kann. Eine Musikpatenschaft. Das würde manchem Elternteil, das dies seinem Kind wünschen würde nur es sich nicht leisten kann, vermutlich Tränen in die Augen treiben. Insofern: nein, es geht nicht zwangsweise darum den Eltern zwingend mehr Geld in die Hand zu drücken. ABER es geht darum, auch diesen Kindern die gleichen Möglichkeiten und Vorraussetzungen zu schaffen. Und zwar ohne Eltern zu unterstellen, sie würden nur Geld abziehen und nicht das Beste für ihre Kinder zu wollen.

Und ja, wir leben in Zeiten in denen immer mehr sehr gut ausgebildete Eltern in einem Arbeitsverhältnis das alleine nicht mehr stemmen können. (Wer daran Zweifel hat, muss nur mal Wohnungsanzeigen und Mietwünsche dieser Zeit lesen.) Und wer davor heute immer noch die Augen verschließt, der verrät gerade künftige Generationen en masse!