Mir ist dieser Blogeintrag tageslang im Kopf hergerollt. Ich komme aus so einer Familie, in der die Kinder von ihren Eltern besser hätten gefördert, unterstützt oder wenigstens einmal gelobt werden können. Ich bin heute noch, mit 54 Jahren, fassungslos, wie egoistisch meine Eltern oft waren. Und wie wenig sie diese Sicht der Tochter verstehen würden. Weil sie sich für die besten Eltern der Welt halten, die für ihre vier Kinder nur Opfer gebracht haben.
Und doch weiß ich, dass meine Eltern nicht mehr und nicht weniger getan haben, als sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten konnten. Deshalb mache ich meinen Eltern auch keine Vorwürfe. Und anderen Eltern auch nicht. Weil meine Vorwürfe dann nämlich den selben Ursprung hätten, der m.E. Ihrer Argumentation in erschreckender Weise zu Grunde liegt. Meine Eltern haben gedacht / denken, dass alle Menschen sind wie sie – gleiche Werte, gleiche Vorlieben, gleiche Möglichkeiten. Ihr Lieblingssatz ist „Das verstehe ich nicht“. Was sie nicht verstehen, kann auch nicht richtig sein. Die Prioritäten meiner Eltern sollten die Prioritäten ihrer Kinder werden. Etwas anderes lese ich aus Ihren Zeilen auch nicht heraus. Sie fragen: „Wieso sind die anderen nicht wie ich?“. Es gibt Menschen, die nicht so sind wie Sie, weil sie in einem anderen Referenzrahmen aufgewachsen sind und leben. Weil 55 Stunden fremdbestimmte Knochenarbeit anders müde machen, als 55 Stunden selbstbestimmte Erwerbsarbeit, die sehr gut bezahlt wird. Weil viele Menschen (mehr als Sie glauben) krank sind, körperlich und seelisch, und erschöpft, und alleine, und mutlos, und traurig. Das Letzte, was man in so einer Situation braucht, sind verständnislose Vorwürfe von glücklichen, selbstbewussten Menschen, die es sich leisten können, in Restaurants zu essen.