Wenn Shiva tanzt

Die indische Mythologie ist wahnsinnig verwirrend. Vermutlich stehen Inder ebenso fassungslos vor den Erzählungen eines Wüstestammes, der im Laufe der Jahrhunderte viel Ärger mit seinem ausgesprochen rachsüchtigen Gotte hatte und im Nahen Osten bedingt durch seine rauhbeinigen Nachbarstämme ganz gut rumgekommen ist. Aber bei den alten Indern erinnere ich mich im Wesentlichen nur noch an die vielarmige Göttin der Zerstörung und den tanzenden Shiva. Der stand aus Messing in einem Rad auf einer Fensterbank, die der Mutter des S. gehörte, einer immer leicht theatralischen Dame, Therapeutin, gern gekleidet in sackartige Tuniken mit Mustern wie englische Tapeten.

Diese ständige Präsenz des indischen Gottes der beständigen Wiederkehr muss auf den S. irgendeine hypnotische Wirkung ausgeübt haben.  Ich weiß aus sicherer Quelle, dass sein Mittelinitial „W.“ für Widukind steht und nicht für Wiederholung, aber Shiva scheint das anders zu sehen. Aber urteilen Sie selbst.

*

Der S. ist – wie die meisten von uns – Jurist. Er ist mittelmäßig attraktiv, durchschnittlich intelligent, normal freundlich und von mittlerem Temperament. Anders als andere Juristen, die erst mit Ende 30 allerfrühestens zur Familiengründung schreiten, heiratete der S. völlig überraschend mit 28  und wurde im gleichen Jahr Vater. Seine Frau kenne ich nur von Bildern, aber sie wurde mir als blond, sanft und ein bisschen dumm geschildert. Es handelte sich um eine Krankenschwester.

Der S. promovierte, wurde Anwalt, arbeitete sehr viel und fing eine Affäre mit einer Sekretärin an. Irgendwann wurde die Sekretärin schwanger, der S. musste sich entscheiden, der S. entschied sich für die neue Frau, die mir als blond, sanft und ein bisschen dumm geschildert wurde. Der S. war damals 37.

Der S. blieb Anwalt, wurde Notar, Partner der Kanzlei in der beschaulichen Universitätsstadt, in der er er sich ein Haus renovierte. Grüne Fensterläden, Rosen im Garten, noch ein weiteres Kind. Der S. wurde etwas stark in dieser Zeit, vor allem um die Hüften, aber auch seine Frau wurde wohl etwas mollig und noch behäbiger als zuvor. Es nahm also niemanden wirklich wunder, dass der S. irgendwann den Verlockungen der ihn umgebenden Weiblichkeit nicht mehr widerstand, höchstens, dass es diese Verlockungen überhaupt gab, aber wie auch immer: Der S. fiel in Liebe mit einer Physiotherapeutin, die mir als – ja, ja – blond, sanft und ein bisschen dumm geschildert wurde. Seine Frau zog zurück zu ihrer Mutter und fordert einen Haufen Geld, den sie vermutlich nicht bekommen wird. Die Physiotherapeutin zog bei ihm ein.

Und nun wartet die Welt auf das Kind. Auf die Scheidung. Und auf die nächste blonde, sanfte und ein bisschen dumme Frau an des S. Seite.

*By 23 dingen voor musea from Nederland (Shiva Nataraja) [CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons

13 Gedanken zu „Wenn Shiva tanzt

  1. Ha, interessant! Ich kenne dagegen gleich mehrere, die das hochbeinige, hanseatisch-kühle Modell gegen die runde, herzliche Rheinländerin ausgetascht haben.
    Weiß man, was aus der Krankenschwester geworden ist?

    1. Sie war zwischenzeitlich depressiv, hat sich aber gefangen und umgeschult. Arbeitet in der Verwaltung bei einem Zweckverband und hat wieder einen Lebensgefährten, einen gebürtigen Vietnamesen, der ein Café betreibt.

  2. Ah, das Beckenbauer-Modell. Ich hörte mal im Fernsehen eine klug wirkende Psychologin erklären, dass manche Männer sich persönlich nie weiterentwickelten und das Sohnzeugen, Hausbauen, Apfelbaumpflanzen als ewigen Kreislauf betrieben.
    Bei Beckenbauer ist jetzt eigentlich die nächste Runde fällig.

        1. Man muss schon SEHR lernresistent sein, um nach der 3. blonden, etwas dummen Frau mit Haus und Kind nicht zu erkennen, dass man ein Muster verfolgt, das sich als ungünstig erweisen könnte.

  3. @kaltmamsel: das Modell Beckenbauer scheint nun nach 58 Jahren aus gesundheitlichen Gründen wohl am Ende.

    @modeste: ich wußte ja schon immer, daß dem Anwaltsnotariat ein Hautgout anhaftet 😇😎😀

    1. Wenn ich nicht wüsste, wie sehr die Kinder unter solchen Trennungen ihr Leben lang leiden, fände ich diese Beschreibung der endlosen Wiederholungen ziemlich komisch. Mir scheint der Herr Jurist ein bisschen dumm zu sein, und nicht nur seine Frauen.

      1. Dumm und schlau scheinen mir nicht die richtigen Kategorien zu sein, wenn es um Beziehungen geht.

        Möglicherweise gibt es mehr Kinder, die unter der Nicht-Trennung der Eltern leiden. Ein Leben lang.

  4. Pingback: Read on

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie möchten einen Kommentar hinterlassen, wissen aber nicht, was sie schreiben sollen? Dann nutzen Sie den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken