Die Frauen meiner Sippe werden gewöhnlich steinalt. Die Lebenserwartung der männlichen Mitglieder der Familie in männlicher Linie beträgt dagegen, gerechnet auf die Sterbefälle der letzten 50 Jahre – mein Vater hat es ausgerechnet – 58 Jahre, neun Monate und ein paar Tage.
„Aber wie ist das möglich?“, vermute ich verschwiegene Erbkrankheiten. Mein Vater beruhigt mich. Wenn überhaupt Veranlagung im Spiel sei, so handele es sich vielmehr um – nun, über die markantesten Fälle möge ich selbst urteilen:
Onkel M.
„Du erinnerst dich an M.?“ – Wie könnte man ihn vergessen. Mit seinem Ableben verstummte das schrillste Lachen, mit dem je ein Advokat zwischen Bregenz und Tarnopol die Gerichte bezauberte. Angeblich hat die Salzburger Anwaltschaft bis heute das Prädikat „Die Hyäne“ nicht erneut vergeben.
M. hatte irgendwann in den Sechziger Jahren meine Tante L. geheiratet, eine Schönheit in jungen Jahren, in späteren Jahren der Koloss von Salzburg. Ich erinnere mich auch an seine Beerdigung, für die ich gezwungen wurde, ein Turnier abzubrechen, für das ich wochenlang trainiert hatte.
Was man mir Grundschülerin verschwiegen hatte, war allerdings Ort und Umstand dieses Todes, der weder allein noch auch nur vollständig bekleidet eingetreten war. Immerhin starb M. nicht in Salzburg. Allerdings auch nicht dort, wo Tante L. ihn vermutet hatte. Das Fräulein dagegen, das mit ihm die letzte irdische Reise angetreten hatte (von der sie allein zurückkehrte), durfte nicht zur Bestattungsfeier erscheinen – immerhin war sie ja auch schon beim Todeseintritt dabeigewesen.
Onkel F.
Bei ganz pedantischer Betrachtung gehört F. nicht in diese Reihe. Zwar war F.´s Mutter die Cousine einer Dame, die wiederum…aber seine Anwesenheit bei familiären Ereignissen wurde in erster Linie durch seine Frau vermittelt, eine Halbschwester der zweiten Frau meines Großvaters. F. verzehrte die bescheidene Pension eines Frührentners, in welchen Stand er geradezu unwahrscheinlich jung eingetreten war.
F.´s Ableben trat regelgerecht im Spital ein, indes starb er dortselbst nicht an dem Beinbruch, den er sich beim Segeln zugezogen hatte, als er auf der nassen Reeling ausrutschte. Sondern an einem Stück Hackbraten in der Gurgel. Das Essen im dortigen Krankenhaus soll sich aber seither sehr verbessert haben, wie seine unterdesen 89 Jahre alte Witwe versichert.
Onkel T.
Thomas Bernhard genießt nicht zu unrecht einen Ruf als einer der Großen des Theaters, und auch Claus Peymann soll zu Zeiten seiner Jugend einmal ein Theatermann von Rang gewesen sein. Und so ist es eine tröstliche Vorstellung, dass die letzten Worte, die mein Onkel T. vernahm, die Worte des Dichters waren. Um welche Worte es sich dabei genau handelte, ist so detailliert allerdings nicht mehr zu rekonstruieren. Fest steht, dass er noch zur Pause in verhältnismäßiger Munterkeit im Foyer des Musentempels ein Glas Sekt konsumierte, um dann beim Applaus, der die Vorstellung des Bernhard´schen „Heldenplatzes“ beschloss, durch atypische Apathie aufzufallen.
Wie der Tod ganz genau an Onkel T. herantrat, war im Nachhinein nicht mehr nachzuvollziehen, da es seiner Frau auf verschlungenen Wegen gelungen war, die an sich fällige Obduktion irgendwie zu verhindern.
„Scheiße“, sage ich schwer beeindruckt. „Na,“, sagt mein Vater, „Ich bin über´s kritische Alter ja zum Glück hinaus.“
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