Öffentliche Angelegenheiten

Ausgerechnet

Ach, denke ich. Das ist so eine vorhersehbare Diskussion. Frau Nuf sagt, dass gleichberechtigte Elternschaft voraussetzt, dass er und sie gleich viel arbeiten und gleich viel für Haushalt und Kinder machen. Umgehend kommen dann Mütter um die Ecke, die lauthals behaupten, dass sie aber auch ganz gleichberechtigt wären, auch wenn sie halbtags arbeiten, den gesamten Haushalt schmeißen und alle Termine erledigen, die mit dem Kind so zusammenhängen. Wäre eben so, weil er mehr verdient als sie. Da wären sie nämlich schön blöd, wenn sie als Familie sich das gute Geld entgehen lassen, dass er pro Stunde Arbeit mehr verdient als sie.

Zu recht argumentiert Frau Nuf und viele andere Eltern in ihren Kommentaren, dass gleichberechtigte Elternschaft sich auch dann lohnt, wenn der Familie insgesamt Geld entgeht. Zum einen, weil man eben nicht nur für Geld arbeiten geht, sondern auch für Sozialkontakte, Schaffensfreude, Anerkennung. Mir würde der Kopf platzen, säße ich auch nur halbe Tage zuhause, ich habe auch keine Ahnung, was die Hausfrauen eigentlich den ganzen Tag machen. Zum anderen, weil viele Ehen eben nicht erst enden, wenn er hochbetagt seine Frau mit einer ansehnlichen Witwenrente hinterlässt. Wenn 30% aller Ehen geschieden werden, steht sie nämlich oft ganz dumm da. Was viele Frauen nicht wissen: Auch, wenn ein Paar gemeinsam die Entscheidung getroffen hat, dass er mehr arbeitet, und sie mehr für die Kinder tut, heißt das noch lange nicht, dass er sie dafür im Scheidungsfall entschädigt. Selbst wenn er am Tag der Scheidung ein sechsstelliges Einkommen hat, und sie verdient mit einem Dawanda-Shop mit selbstgenähten Eulen ein Butterbrot, kann es sein, dass sie nicht einmal Unterhalt bekommt, wenn die Kinder älter als drei sind. Setzt er ein Wechselmodell durch, bekommt sie möglicherweise nicht einmal für die Kinder Unterhalt, dann geht sie oft direkt zum Sozialamt. Das hatten sie aber in guten Zeiten alles anders besprochen? Pustekuchen.

Ich glaube aber noch nicht einmal, dass sich das Modell „einer für alle“ rechnet, wenn das Paar verheiratet bleibt. Diejenigen, die nur seinen Stundenlohn und ihren Stundenlohn gegenüberstellen, blenden aus, dass beider Gehälter meistens nicht statisch sind. Ich stelle mir das – bezogen auf meine ganz persönliche Filterblase* – sozusagen folgendermaßen vor:

Wir haben also ein junges Paar. Sie ist 33 und arbeitet seit fünf Jahren als Juristin in einer Rechtsabteilung. Sie verdient im Jahr € 55.000, also rund € 32 pro Stunde bei einer 40-Stundenwoche. Nennen wir sie – das ist einfacher – Marie. Ihr Freund und späterer Mann soll Andreas heißen. Andreas ist 38. Als er fünf Jahre jünger war, hat er auch noch 55.000 verdient, aber jetzt ist er nach zwei Wechseln Partner einer mittelständischen Kanzlei. Er verdient € 90.000. Das ist ordentlich, aber noch recht weit weg von dem Olymp der Juristen. Pro Stunde macht das also € 53. Nun bekomen Marie und Andreas und ein Kind, den frechen Hubsi. Denkbar sind nun also zwei Varianten:

In Variante 1 steigt sie für ein Jahr aus. Er pausiert – schließlich ist er ein moderner Mann – zwei Monate, für die er aber nicht extra einen Elterngeldantrag stellt. Er ist auch reichlich oft im Büro. Dann arbeitet sie 20 Stunden die Woche. Sie verdient also pro Jahr € 27.500. Ihr Stundenlohn bleibt gleich. Weil sie pro Stunde € 21 weniger verdient, nimmt sie alle Kindkranktage. Sie nimmt sich auch frei, wenn der Kindergarten um 15.30 Uhr das Elterncafé veranstaltet, sie backt für das Straßenfest, und ist die nächsten jahre so wenig im Büro, dass sie in den nächsten fünf Jahren insgesamt nur eine Gehaltserhöhung bekommt. Und da ist Marie auch noch froh. So ein moderner Arbeitgeber. Geschimpft hat er auch nie über die vielen Fehlzeiten. Gut, die Stelle als Abteilungsleiterin Recht hat sie nicht bekommen, auch wenn sie ein bisschen darauf geschielt hat. Aber ihr Kollege in Vollzeit war halt einfach mehr da. Sie hat ihn irgendwann einmal eingearbeitet, aber jetzt ist er ihr Vorgesetzter. In den fünf Jahren ab der Geburt des Kindes verdient sie also in Jahr 1 nichts (bekommt aber € 21.600 Elterngeld). In Jahr 2 und Jahr 3 bekommt sie € 27.500 und in den Jahren 4 und 5 € 28.500 wegen der Gehaltserhöhung. Insgesamt fährt sie in fünf Jahren insgesamt € 133.600 ein. Er dagegen verdient jedes Jahr € 5.000 mehr. Insgesamt also € 500.000. Gemeinsam fahren sie € 633.600 ein.

In Variante 2 pausieren beide jeweils sechs Monate. Das ist ein bisschen hart, weil ein selbständiger Anwalt schlecht pausieren kann. Andreas verdient deswegen in Jahr 1 bei sechs Monaten Elterngeld und sechs Monaten Arbeit weniger als sonst. Er fährt nur € 50.800 ein. Sie dagegen bekommt bei hälftigem Elterngeldbezug und sechs Monate Arbeit € 49.100. In Jahr 1 verdienen beide € 99.900, also weniger, als wenn er voll weitergearbeitet hätte und sie Elterngeld bezogen hätte. Im ersten Jahr also ein schlechtes Geschäft. Aber bestimmt ein wundervolles Jahr. In Jahr zwei läuft es bei ihm wieder. Er verdient jedes Jahr € 5.000 mehr, auch wenn er den Umsatzrückgang aus dem ersten Jahr nicht ganz wieder auskompensiert bekommt. In fünf Jahren verdient er also € 440.000. Marie arbeitet ab Jahr 2 auch wieder voll. Sie verdient in Jahr 2 also wieder € 55.000. In Jahr 3 € 60.000. Dann aber zahlt sich ihr Einsatz aus. Marie wird Leiterin der Rechtsabteilung. Sie verdient € 70.000 und hat auf einmal einen Bonusanspruch. In Jahr 4 verdient sie deswegen € 72.000. In Jahr 5 kommen  € 75.000 bei Marie herum. Zusammen beträgt ihr Einkommen in den ersten fünf Jahren nach der Geburt des ersten Kindes also  € 749.900.

Nun betreut sich ein Kind aber nicht von allein. Marie und Andreas brauchen in beiden Varianten eine Ganztagskita. In Variante 2 geben sie aber auch noch kräftig Geld für ein Kindermädchen aus. Ab Jahr 2 beschäftigen sie deswegen ein Kindermädchen für Randzeiten im Rahmen einer € 450-Stelle. Im Jahr macht das € 5.400. In vier Jahren also € 21.600. Aber auch, wenn man diese Summe abzieht, rechnet sich das Modell Variante 2 imme rnoch allein bezogen auf die ersten paar Lebensjahre des Kindes immer noch mit fast € 95.000 Differenz. Anzunehmen ist zudem, dass dieser Vorteil sich in den folgenden fünf Jahren noch deutlich vergrößert.

Gut, diese Vergleichsberechnung setzt voraus, dass Marie Aufstiegschancen hat. Und dass es sich beide leisten können, nicht auf jeden Euro im ersten Jahr zu schauen. Es ist auch nicht jedermanns Sache, so viel zu arbeiten, und es ist legitim, statt auf Beförderungen auf selbstgenähte Eulen zu schauen. Auch das deutsche Steuersystem verfälscht diese Betrachtung nicht ganz unwesentlich. Aber wenn wir uns fragen, ob das Zuverdienermodell Variante 1 eigentlich betriebswirtschaftlich sinnvoll ist, müssen wir eingestehen: Eigentlich nicht. Zumindest dort, wo Leute gute Jobs und gute Ausbildungen haben, viel externalisieren können (wir machen nahezu nichts selbst, mit Ausnahme von Kochen), rechnet sich das Zuverdienermodell nicht mal in laufender Ehe. Es beruht offensichtlich auf nichts als auf, tja, Geschlechterstereotypen.

*Ja, ich weiß, dass es auch ganz andere Verhältnisse und Gehälter gibt. Nein, ich lebe nicht im Wolkenkuckucksheim. Diese ganz andere Verhöältnisse, in denen jeder Euro zählt, machen aber nicht das Gros derjenigen aus, die sich auf Zuverdienermodelle einlassen.

Von schlechten Eltern

Dreijährige Kinder der Mittelschicht haben einen dreimal größeren Wortschatz als Kinder der Unterschicht, behauptet Wikipedia. Arme Kinder sind schon im Vorschulalter im Durchschnitt auch dicker, weniger gesund und können sich nicht so gut konzentrieren. Die Chance, dass sie eines Tages Senatsvorsitzende am Bundesgerichtshof sein werden, Ingenieur im Wasserwerk oder auch nur Bankangestellter sind deswegen schon mit drei viel schlechter als die anderer Kinder. Das ist ein seit Jahren bekannter und beklagter Skandal.

Dass die politische Rechte nichts für die Kinder armer Leute unternimmt, wundert nun keinen. Parteien dienen – das ist ja auch nicht illegitim – der Durchsetzung von Klientelinteressen, und arme Familien gehören nicht zum Klientel konservativer Parteien. Auf der Linken sieht das anders aus. Sowohl linke Parteien als auch Verbände, linke Journalisten, das, was man so die Zivilgesellschaft nennt, erhebt einen ganzen Strauß an Forderungen. Die meisten finde ich logisch und richtig. Ganztagsschulen etwa, in denen das, was die Eltern nicht leisten, durch eine gute Nachmittagsbetreuung aufgefangen wird. Gut ausgestattete Kitas für alle ab dem ersten Geburtstag und attraktive Freizeitmöglichkeiten, die nichts kosten.

Mit diesen Forderungen, dass doch der Staat endlich etwas für arme Kinder unternehmen soll, ist allerdings fast immer eine Forderung verbunden, die ich erstaunlich finde: Man dürfe auf keinen Fall, also absolut nicht, die Eltern verantwortlich machen. In der Wahrnehmung der Linken scheinen die Eltern mit der Misere nichts zu tun zu haben. Offenbar sieht man da die Verantwortung für die unzureichende Situation allein beim Staat, bei der Gesellschaft, fiesen Pfeffersäcken, gemeinen Lehrern, bei wem auch immer, aber wer auch nur einen Löffel Verantwortung bei den Eltern sieht, gilt als böse. Oder, wie man in diesen Kreisen sagt: als neoliberal.

Nun verstehe ich, dass man zu ohnehin auf dem Boden Liegenden freundlich sein will. Aber sind Eltern nicht immer und unter allen Umständen ihren Kindern verpflichtet? Und ist nicht auch der ärmste Kerl, die ärmste Frau in Hinblick auf die eigenen Kinder nicht immer auch Täter statt Opfer? Wenn die Ursache für die schlechtere Sprachentwicklung von Kindern mangelnde Ansprache ist, dann muss doch nicht die Gesellschaft mehr mit dem Kind sprechen, sondern die eigenen Eltern. Wenn es allgemein bekannt ist, dass Vorlesen den Bildungserfolg fördert und ein eigener Fernseher ihn hemmt: Dann steht in jeder Gemeinde eine meist nahezu gratis zu nutzende Bücherei, und niemand zwingt Leute, einen Fernseher zu besitzen oder gar den Kindern ein solches Gerät ins Kinderzimmer zu stellen. Ich verstehe, wie schade es ist, wenn man nicht reisen kann. Aber viele Dinge, die eine glückliche Kindheit ausmachen, sind nahezu kostenlos. Brot backen zum Beispiel. Spazierengehen und sich Geschichten über alle Leute ausdenken, die man sieht. Und über alle Häuser. Wer in Berlin kein Geld hat, darf übrigens für sehr wenig Geld in Museen, und selbst wenn es Mutter und Vater selbst wenig interessiert, sollte es doch reichen, dass die Kinder Mumien und Gemälde vielleicht spannend finden.

Es kostet auch nichts außer ein bisschen Überwindung, seinen Kindern zu vermitteln, dass sie alle Chancen haben, auch wenn Mutter und Vater ihre nicht gut genutzt haben. Manieren. Eine Blockflöte kostet übrigens keine 20 €, und bei youtube kann man sich gemeinsam mit seinen Kindern erschließen, wie man sie spielt. Mein Sohn liebt übrigens mehr als nahezu jede kostenpflichtige Beschäftigung die Abende, an denen ich mit ihm am Tisch sitze und mit einem Kugelschreiber lustige, ziemlich läppische Geschichten illustriere, die ich mir ausdenke. Niemand hindert auch eine arme Mutter, jeden Tag über die Schule zu sprechen, zu fordern, zu loben, aber auch zu tadeln und einem Kind zu verdeutlichen, wie wichtig es für die Eltern ist, dass der Übertritt aufs Gymnasium geschafft wird, wie entscheidend jede Nachkommastelle beim Abitur. Es ist sicher nicht leicht, Würde auszustrahlen, wenn es einem nicht gut geht. Aber wenn es um das eigene Kind und seine Vorstellungen von Normalität geht, sollte man vielleicht doch jeden Tag morgens aufstehen. Aufräumen. Haltung bewahren und behaupten, man liebe Spieleabende und Linsensuppe und gehe eigentlich gar nicht gern aus.

IMG_3442

Es mag Menschen geben, die all das beherzigen, und ihre Kinder entwickeln sich trotzdem nicht so gut wie Angehörige weniger bedrängter Vergleichsgruppen. Es gibt gesellschaftliche Diskriminierung und das ist eine Schande. Die Statistik spricht aber dafür, dass viele Eltern von den Handlungsalternativen, die ihnen bleiben, oft nicht die besseren wählen. Warum diese Wahl ad malum den Eltern nicht vorwerfbar sein soll, hat mir noch kein Linker erklären können. Wieso diese offenbar entscheidenden Weichenstellungen anders ausfallen sollten, wenn dieselben Eltern mehr Geld bekommen, verstehe ich auch nicht. Leute sprechen doch nicht auf einmal mehr mit ihren Kindern, gehen Sonntags mit ihnen wandern und werfen den Fernseher weg, weil sie pro Kind mehr Geld bekommen? Es mag sein, dass sie sich mehr entspannen und ihr Leben mehr genießen, vielleicht reicht das schon als Rechtfertigung für diese Erhöhung der Staatsausgaben. Aber vielleicht macht man es sich auch zu bequem, wenn man den anonymen Staat und nicht die ganz und gar nicht anonymen Eltern der Misere beschuldigt. Vielleicht fördert man sogar eine Haltung mancher Eltern, Hilfe nur von außen zu erwarten. Vielleicht ist die Verantwortungsfrage am Ende auch nur halb so wichtig, weil wir nicht daran vorbeikommen, in Kitas, Schulen, Vereine, Lesepatenschaften, Kinderbauernhöfe und Sommercamps zu investieren. Aber geärgert habe ich mich über diesen Text von Julia Friedrichs über Kinderarmut doch. Sehr. Sehr.