Alles, was die Liebe zu bieten hat, hat die Marquise von Merteuil gesehen, alles erlebt, und die Empfindungen anderer gehorchen ihr nicht weniger als ihre eigenen. Sie lockt, schmeichelt, und berechnet noch die entlegenste Regung ihres Gegenübers, um eine Langeweile zu vertreiben, die diese Gesellschaft bar der Ziele und Aufgaben am Ende eines Zeitalters betäubt: Vorabend der Revolution.
Zieht sie den einen oder anderen an sich, so wird dies nicht ohne Hintergedanken geschehen, und die interessante Wendung gilt ihr mehr, als die Wahrhaftigkeit eines Gefühls. Die Leere zwischen diesen Vorstellungen, die Einsamkeit inmitten des schillernden Glanzes der Amouren, scheint ein einziges Mal auf in den Briefen, die De Laclos ihr in seinem einzigen, großartigen Werk zugedacht hat, wenn sie, Paris, den 15. Oktober 17**, dem Vicomte Valmont ihre Furcht ausdrückt, ihr Lebenswandel möge dem jungen Ritter Danceny offenbar werden:
… und ich wäre voll Verzweiflung, wenn er im Geringsten ahnte, was vorgeht. Wenigstens in seiner Phantasie will ich mich rein und fleckenlos bieten, so, wie ich sein müsste, um seiner wahrhaft würdig zu sein.
Diese hilflose Regung, der ein Überdruss an Erfahrung zugrundeliegen mag, ein Ekel an der Abgenutztheit der eigenen Empfindung, war dem fremd, der seiner großartigen Übersetzung 1926 eine Einleitung vorangestellt hat, in der er ganz am Ende diese Stelle eine Fälschung heißt, geschuldet der moralischen Vorstellungen des Autors, und man fragt sich ein wenig, ob Heinrich Mann, nicht nur, glaubt man seinem Neffen, nichts von der Politik, sondern auch wenig vom Herzen verstanden haben mag: Nicht eine moralische Regung oder ein Rest von Scham vor den Konventionen bewegt die Marquise. Die Trauer jener Zeilen gilt niemandem andern als sich selbst.
Denn, so will es scheinen, es offenbart sich gerade in jenen Zeilen der Preis, den man zahlen wird für die Suche nach etwas, das durch das schiere Faktum dieser Suche ferner rückt, und entschwindet: Die Liebe als ein Ort der Wahrhaftigkeit, der Reinheit und Unbedingtheit des Gefühls, des Ankommens in einem Land aus Licht und reinen Klängen.
Und auch ich, die ich längst keine Merteuil sein könnte, zweifele in manchen Stunden, ob dieses Land nicht längst untergegangen sein mag unter all dem, was man gesagt, getan und empfunden hat. Ob das, was auf einen noch warten mag, nicht längst verwüstet und verbrannt hinter einem zerrissenen Schleier liegt
Bewusstseinseinschränkende Drogen
Du solltest dich vielleicht einfach betrinken.
Wie schreibt der Autor einer anderen Marquise doch so raetselhaft (aber nicht im Text ueber selbige Marquise):
„Mithin,“ sagte ich ein wenig zerstreut, „muessten wir wieder von dem Baum der Erkenntnis essen, um in den Stand der Unschuld zurueckzufallen?“
„Allerdings,“ antwortete er; „das ist das letzte Kapitel von der Geschichte der Welt.“
Die Marquise indessen meint, „er wuerde ihr damals nicht wie ein Teufel erschienen sein, wenn er ihr nicht, bei seiner ersten Erscheinung, wie ein Engel vorgekommen waere.“
Die Texte mit einem Paradox ausklingen zu lassen ist echt fiese.
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Solche Kommentare können Sie sich sparen.
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Ja, Herr Gheist, vielleicht verhält es sich mit der Liebe wie mit der Grazie genauso, und am äußersten Ende aller Erfahrungen wartet wiederum ein Zustand der reinen, kreatürlichen Unschuld. Indes steht dieser Zustand uns genauso wenig offen, wie die Rückkehr in den Zustand jenes Jungen vor dem Spiegel, der unabsichtlich und unwilkürlich höchste Grazie erreicht, die er bewusst nicht mehr erreichen kann, und am Versuch verdirbt.
Ihre Marquise ist, am Rande sei´s gesagt, meine Sache ja nicht so sehr, auch wenn ich ihren Schöpfer schätze.