Frau Modeste streitet sich

„Mir geht´s nicht gut.“, jammere ich ein bißchen, und sehe dem J.² zu, wie er sich umständlich aus seiner Jacke pellt. Eine Viertelstunde der Beschreibung von Art und Umfang meiner persönlichen Kalamitäten später schaue ich den J.² auffordernd an und warte auf seine Stellungnahme. „Du erwartest nicht ernsthaft Mitleid, oder?“, kommt es prompt von der anderen Seite des Tisches. „Ich fühle mich wie vom Panzer überfahren, und dich interessiert das nicht?“, wälze ich mich ein bißchen in Selbstmitleid, der J.² aber nickt sichtlich gelangweilt und vertieft sich in die Karte.

„Wenn irgendwer auf Erden seine Probleme von vorn bis hinten selber verschuldet hat, Herzchen, dann dürftest du das sein.“, spricht der J.² über den Rand der Speisekarte hinweg und empfiehlt mir für die Wahl eines Beinamens, wenn ein solcher demnächst wieder einmal Mode werden sollte, „Bulldozer“. Wahlweise auch gerne „Rindvieh“.

„Muh!“, sage ich ein wenig gereizt, und wende mich der Kellnerin zu. „Ein Gin Tonic!“, bringe ich knapp heraus, aber der J.² unterbricht mich: „Ein Bier für mich und einen Pfefferminztee für die Dame.“ Wortlos nickt die Kellnerin und verlässt unseren Tisch. „Du bekommst heute keinen Alkohol.“, meint der J.², „auf irgendwelche melodramatischen Auftritte kann ich gut verzichten.“ „Du bist nicht mein Vater!“, zische ich meinen Begleiter an. „Der hätte gut daran getan, dich auch ein bißchen zu erziehen, und nicht nur zu verwöhnen.“, kommt es postwendend zurück.

In Bezug auf meinen Vater bin ich empfindlich. „Deine Mutter…“, fange ich deswegen an, und der J.² zieht missbilligend die Stirn in Falten. „Meine Mutter ist hier nicht Gegenstand des Tischgesprächs, okay?“, tönt es nun schon ziemlich laut, und über die nun folgenden Auseinandersetzungen fällt an dieser Stelle zu recht der gnädige Mantel des Schweigens.

„Musst du eigentlich so viel rauchen?“, unterbricht der J.² sein allgemeines Lamento über meine Wesensart, und nimmt mir die Zigarette aus der Hand, um die kaum angerauchte auszudrücken. „Aber du bist fehlerfrei, ja?“, keife ich zurück. „Ich habe immerhin eine funktionierende Beziehung.“, stochert der J.² ein bißchen in meinen Eingeweiden, und provoziert ein paar wohlgezielte Bosheiten über seine Freundin. – „Warum gebe ich mir das überhaupt? Wie hält man dich eigentlich aus? Bekommt man einen Orden für jeden Monat Beziehung ohne Mordversuch?“, theatralisch fasst sich der J.² an die Stirn und steht auf. „Du kommst allein nach Hause?“, fragt mein Begleiter, und verschwindet.

„Einen Gin Tonic.“, bestelle ich nun, und blättere ein bißchen in Szerbs „Reise im Mondlicht.“. Ein paar Seiten später ist der J.² wieder da.

„Und? Wieder abgekühlt?“, fragt er, und legt eine Schachtel Halloren-Kugeln vom Spätverkauf auf den Tisch. „Kleiner Trost.“. Ohne den J.² anzuschauen, greife ich nach der Schachtel mit den Süßigkeiten. Blitzschnell zieht der J.² die Schachtel wieder weg und streckt mir einen Apfel entgegen. „Erst ein paar Vitamine. Wir werden ohnehin ein bißchen rundlich in letzter Zeit?“ – Knapp widerstehe ich der Versuchung, ihm den Apfel einfach ins Gesicht zu werfen und greife statt dessen verbal zu schwerem Geschütz.

„Schön, dich mal wieder zu sehen.“, verabschiedet sich der J.² einige Stunden gegenseitiger Beschimpfung später vor meiner Haustür. „Hast du Dienstag Zeit für ein spätes Bier?, fragt er und wendet sich Richtung Bahn“ „Für dich doch immer. Wenn´s geht diesmal friedlich.“, sage ich, und höre im Hintergrund eine Art Hühnerchor höhnisch lachen.

18 Gedanken zu „Frau Modeste streitet sich

  1. Ojeoje. Das hört sich ja nach einem veritablen ModestZilla an!

    [Ein animierter Dino mit Perlenkette und schwarzer Perücke, den ausgerissenen Fernsehturm wie einen Zahnstocher in die Kastanienallee bohrend: STAPF STAPF STAPF *RUMMS* STAPF *fauch* „SMUSH HUMAN!!!“]

    (Je nach Wahlausgang wird das Spreeufer gleich einen DogZilla erleben. Werft einen nostalgischen Blick auf die Treptowers, solange es sie noch gibt!)

    Anyway: Es kommen auch wieder bessere Zeiten. Nur Mut!

  2. Bei der ganzen Arbeit auch noch so ein Abend? Der J2 muss aber ein Stein in Ihrem Brett haben, dass er sich so benehmen darf. Ich stelle Ihre Frage erneut: „Warum geben Sie sich das überhaupt?!“.

  3. REPLY:

    Hehe. Das ist alles sehr, nun ja, eigen. 😉
    Aber Leckermäulchen haben neue Geschmacksrichtungen, Schokoraspel mit irgendwas. Das schmeckt sehr gut. Ist doch nicht alles schlecht.

  4. REPLY:

    Halloren finde ich gar nicht schlecht, da habe ich schon bedeutend miesere Süßigkeiten gegessen. Aus dem Kapitel Süßes aus dem Osten gleichfalls sehr zu empfehlen sind ja die von mir als Mitbringsel in andere Teile der Republik geschätzten Rotstern-Nougattüten.

    Was den Streit mit Herrn Kid angeht, ist das natürlich gar kein Problem: Wenn es mich das nächstemal nach Hamburg weht, Meister Kid, bringe ich Ihnen ein Tütchen Nougattüten vorbei, Sie werfen das Mitbringsel an die Wand und sind beleidigt, weil Sie irgendwo einmal klar geschrieben haben, überhaupt keinen Nougat zu essen, und blitzschnell, ratzfatz ist der schönste Streit im Gange. Nach ein bis zwei Stunden stellen Sie ein bißchen Leckermäulchen auf den Tisch und ich werde mich schlagartig beruhigen.

  5. REPLY:

    Mit dem J.² bin ich seit ganz alten Zeiten eng befreundet, der gehört zu denjenigen Leuten, die für meine Umzüge ihre Urlaube absagen oder ohne Fragen Nieren spenden würden, und der es sich dafür auch herausnehmen darf, mir an Samstagabenden moralsaure Predigten zu halten, die alle damit enden, dass ich bei ungehindertem Geschehensablauf eines Tages ganz allein in meiner Wohnung verwesen werde, wenn ich nicht endlich…usw.

    Meistens und wenn es mir gut geht, fallen des J.² nächtliche Predigten eher unter „Kuriosa“. Geht es einem gerade mehr als mäßig, so kratzen die verbalen Widerhaken natürlich, und vielleicht hat er ja recht.

  6. REPLY:

    Nee, diese Hallenser Halunken Halloren waren mir innen zu fettig, ich war sehr enttäuscht,als ich die das erste Mal probierte. Diese Leckermäulchen, kenne ich noch nicht, aber Othello-Kekse liebe ich. Die könnten Ihnen übrigens ebenfalls schmecken, Herr Kid, erinnern sie doch ein bisschen an den Geschmack der dunklen Stellen im Marmorkuchen. Die Kekse gibt’s auch hier, ist Bückware im Supermarkt.

  7. und ich

    habe mit aufkeimendem entsetzen in meiner ahnungslosigkeit, was die
    belange ostdeutscher confiseriekunst betrifft, allen ernstes hinter „halloren“
    ein psychopharmazeutikum vermutet …

  8. REPLY:

    Sie haben ja eine schöne Meinung von mir und meinen Freunden, wenn Sie tatsächlich annehmen, meine besten Freunde würde mir zwecks Streitbeilegung Psychopharmaka verabreichen, und ich würde die auch noch brav schlucken. Nein, zur Behebung meiner sich durchaus im normalen Rahmen haltenden Stimmungsschwankungen reichen Schokolade und ein heißes Bad normalerweise völlig aus.

  9. REPLY:
    BAMBINA

    der absolute ost-hit in punkto süßes war BAMBINA-schokolade, ein gepresstes irgendwas, das aussah wie mit schokolade überzogenes knäckebrot und auch ungefähr die gleiche (un)höhe hatte. und man mampfte sie als eingefleischter liebhaber auch wie ein brot – einfach abbeißen, denn mit so unnötigen einrichtungen wie stückchen-teilung hielt der hersteller nichts. gibts heute noch!

  10. REPLY:

    Aha, schokoladeüberzogenes Knäckebrot? Dann wurde aus dem Bruch offenbar Knusperflocken gemacht. Geschickt. Warum habe ich noch nie davon gehört? Ich dachte, ich sei so Ost-affin. Muß nachgeh0lt werden.

  11. REPLY:
    Bambina?

    Sagt mir gar nichts. Gegenüber Süßem bin ich ja an und für sich eigentlich stets aufgeschlossen – es hört aich aber nicht an wie etwas, dass man beim erstmaligen Verzehr bedauern wird, nicht längst einmal gegessen zu haben.

  12. REPLY:

    ja, bambina 🙂 sollte ich mal wieder im osten sein, bringe ich ihnen gerne eine mit und sende sie ihnen mit der post….

    und knusperflocken waren WIRKLICH überzogenes knäckebrot – auch sehr leckeres zeug, vor allem, weil wenig chemiezeugs drin ist, aber die gibt es leider fast nirgendwo mehr 🙁

  13. REPLY:

    Die Knusperflocken sah ich im Osten häufig im Supermarkt, Bambina hingegen noch nie. Othello-Kekse gibt’s auch im Westen, habe ich schon bei Tengelmann gekauft (jene Halloren ebenfalls), und auch Grabower Küsse sind überall zu bekommen.

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