„Kennst du den da drüben am Sofa?“, stößt mich mein Nachbar vor dem Tisch mit den vielen Flaschen an und misst sorgfältig drei Messbecher Triple Sec ab. „Nein? Musst du kennenlernen. Brillanter Kopf. 14 im Ersten, im Zweiten auch nicht weniger, und von seiner Diss kann man Depressionen kriegen, so als Normaldoktorand. Dabei ein richtig netter Junge, mit dem man auch mal gut sein Bier trinken kann. Seine Frau übrigens auch, feiner Kerl, da drüben vor der Badezimmertür. Die blonde mit der randlosen Brille. – Nein, die mit den kurzen Haaren. Mit der war ich ja im Referendariat, wir hatten eine richtig gute Zeit damals bei Schinder, Knochenbrecher & Partner im Referendarzimmer. Wäre nix für mich auf die Dauer, für den Job musst du ja richtig brennen, gell, aber so für’n halbes Jahr, sehr okay. Auf die Dauer tut’s aber auch ein kleinerer Laden. Ist auch nicht das schlechteste, mittelgroße Boutique, vier Standorte bundesweit. Im Berliner Büro sind wir nur zu fünft. In Berlin gibt’s ja nichts zu verdienen, da kommt alles von außen, das Geld, die Mandate sowieso. Lausige Gehälter an und für sich, aber Berlin kost‘ ja nichts.“
„Den werd‘ ich morgen verfluchen.“, deutet mein Nachbar auf den Inhalt des Cocktailshakers und rückt seine Brille gerade. „Das ging früher irgendwie besser. Heute hängt mir so ein Abend tagelang nach. So nett das ist, das kann man nicht jede Woche machen. Unter der Woche ist sowas sowieso nicht drin, da kommt man abends um neun aus der Kanzlei, und dann haut man sich nur noch aufs Sofa. Fernseher an, Zeitung, Glas Wein wenn’s hoch kommt, aber wenn man’s anders haben wollen würde, würde man ja, sage ich mir immer. Wir wohnen ja eigentlich mitten drin, da muss man ja nur aus der Tür.“, mein Nachbar deutet mit der Hand einmal vage Richtung Mitte, und gießt streng nach Rezept irgendwelche Säfte und Spirituosen in den Shaker.
„Schöne Wohnung haben sich die beiden gekauft, ganz modern, fehlt ein bißchen der Altbaucharme, aber die Lage wiegt das auf. Meine Güte, jetzt noch am Kollwitzplatz kaufen. Weißt du, was die gezahlt haben? Weißt du auch nicht. Würde ich auch nicht verraten an deren Stelle. Wir sind ja mit € 230.000 weggekommen, aber eben auch die Tram vor der Tür. Hat seine Vorteile. Hat aber auch Nachteile, besonders wenn man schlafen will.“
„Sieht irgendwie anders aus, als man’s kennt.“, füllt mein Nachbar die rötliche Flüssigkeit aus dem Shaker in zwei Gläser und probiert. „Schmeckt aber nicht übel. Nicht ganz wie im fluido, aber schon in Ordnung. Kennt ihr das fluido? Seid ihr da oft? Da um die Ecke habe ich mal gewohnt, regelmäßig versackt in dem Laden. Schöne Zeiten waren das, 2001, 2002. Die hatten’s schon raus, ist ja auch deren Job. Für meinen ersten Cocktail aber nicht schlecht. – Cheers. Auf die Gastgeber.“
Wir stoßen an.
„Schöne Party ist das hier.“, meint mein Nachbar und deutet mit der Hand auf zwei Paare, die im Wohnzimmer knoten: „Wird sogar getanzt. Sollte man öfter mal machen.“
Wenn sie das nächste mal einen Barkeeper treffen wollen, der nicht so viel redet, fragen sie mich. Ich koche streng nach Schumanns Art und halte das Maul auf Burnster Art.
Solch einem Gesprächspartner würde ich sagen: „Entschuldigung, ich muss mal kotzen gehen!“
Aber meisterhaft beschrieben, mal wieder.
Was bedeutet denn „14 im Ersten, im Zweiten auch nicht weniger“?
Aber auch sonst: Ihr Nachbar lebt in einer mir sehr fremden Welt.
Naja, Her Burnston, bei meinem cocktailmixenden Nachbarn handelte es sich ja auch nicht im eigentlichen Sinne um einen Barkeeper, sondern lediglich um einen der (bzw. den Zusammenschnitt mehrerer) Gäste einer Housewarming-Party, die ich Samstagabend besucht habe. Die Gastgeber hatten auf den Tisch ganz viele Flaschen mit allem möglichen Zeug gestellt, und die Gäste konnten aus verschiedenen Rezeptbüchern Cocktails mixen.
So schlimm, Herr Che, ist das ja alles gar nicht. Den Leuten kann man noch nicht einmal irgendetwas vorwerfen, die sind zum größten Teil richtig nett. Warum man sich trotzdem nicht amüsiert, mögen die Götter wissen, wahrscheinlich ist diese Welt einfach zu perfekt.
Und die „14“ bezieht sich auf die juristische Notenskala. 14 ist eine richtig gute Note, die selten vergeben wird.
Mein Lieblingswort aus der Geschichte ist Alt-bauch-arme. Was es heißt, weiß ich nicht, aber es klingt sehr schön. Aber vielleicht bin ich ja auch nur zu Bauchzentriert und habe den wahren Sinn des Wortes gar nicht erkennen wollen. Gelesen habe ich es aber so und von der richtigen Bedeutung will ich gar nichts mehr wissen.
REPLY:
Nein, vorzuwerfen ist den Leuten nichts, aber boring zu sein
und außerdem elitär, auf so etwas reagiere ich mit Schaudern und
Frösteln, das ist so etwas wie eine natürliche Allergie. Dieser „Ich-
bin-erfolgreich-im-Business-aber-arbeite-auch-ganz-hart-Smalltalk“
ist einfach konträr zu Allem, was mir gefällt. Ein Freund hatte in einer
solchen Umgebung mal angefangen, seine Knasterlebnisse zu erzählen,
nur um die Gesichtsausdrücke entgleisen zu lassen. Sowas macht mir
dann wieder Spaß 😉
Trost
Es freut mich zu lesen das auch andere sich selbst in diversen Situationen filmen.Kleiner beflügelter Kameramann verläßt Kopf.Schwebt in Ecke oben rechts.Hält drauf.Er also ich denkt – geh tanzen .
Er bewegt sich nicht , filmt er doch schon …
REPLY:
Tja, da wüsste ich nicht, was ich unangenehmer fände, gezielte Provokationen oder grässliche Langeweile. Beides nicht mein Fall.
REPLY:
Alt-bauch-arme ist tatsächlich ist wunderschönes Wort, und beschwört eine ganze Welt zauberhaftester, auch visueller Assoziationen herauf.
REPLY:
Was soll man da sonst auch machen. Im Ernst, es war die langweiligste Party des Jahres.
Öfters solche Parties und man hört auf überhapt auf welche zu gehen… Er hätte schneller trinken und nich soviel quatschen sollen 😉 … dann hätten sie aber was anderes schreiben müssen…
REPLY:
Der obige Monolog ist so eine Art Zusammenschnitt aus mehreren Gesprächen des Abends. Zum Glück sind dergleichen Parties in meinem Leben nicht so besonders häufig, ich kenne ja auch unterhaltsame Leute, aber das konnte der Welt nicht vorenthalten werden.