Seit seiner Scheidung von der S. hat Vetter L. leider einen Schaden.
„Da kann ich mich mehr blicken lassen.“, ächzt der L. in den Telephonhörer und erteilt einem samstäglichen Gang über den Kollwitzmarkt eine entschiedene Absage. Er könne da nicht mehr hin, denn in der Sredzkistraße wohne, wie ich mich vielleicht erinnere, die I., und jene, das sei so gut wie gewiss, wolle ihn töten und werde diesen Plan auch voraussichtlich in die Tat umsetzen, bekäme sie Gelegenheit zu einer ebenso blutigen wie öffentlichen Hinrichtung zwischen Freilandeiern und Roter Beete aus ökologischem Anbau. – „Das ist schlecht.“, gebe ich zu und versuche mich zu erinnern, welche Ereignisse genau zu dieser nur als übertrieben zu bezeichnenden Reaktion der I. geführt haben könnten.
„Halt so ein nettes Techtelmechtel.“ entwindet sich der L. meinen Nachfragen nach der I. und murmelt irgendetwas von anlasslosen Hoffnungen jener Zeitgenossen, die aus der puren Tatsache, dass man etwas miteinander habe, auf ein weiterreichendes persönliches Interesse schließen, welches die I. veranlasst haben muss, ihre bestehende Beziehung mit einem anderen Herrn zu beenden und sogar anzunehmen, der L. wolle vielleicht statt des Verflossenen bei ihr einziehen. Jener jedoch pflegte derlei Pläne sozusagen überhaupt nicht, und die I. suchte und fand die Schuld an ihrer Fehlspekulation nicht etwa in der eigenen möglicherweise etwas lebhaften Phantasie, sondern allein bei dem L.
„Da kann man nichts machen.“, wechsele ich das Thema: „Wie läuft’s mit deiner Studentin?“, frage ich und der L. räuspert sich ein wenig verlegen vor sich hin. Nett sei es mit der Studentin, die als studentische Hilfskraft in moderatem Umfange an jenem Institut tätig sei, an dem auch Cousin L. sein Brot verdient, aber der gemeinsame Arbeitgeber sei noch nicht einmal das größte Problem. Er habe, fürchtet er, durch die desaströs verlaufene Ehe mit Kindsmutter S. offensichtlich einen Schaden davongetragen, eine Art Phobie, die ihn bei dem geringstem Anzeichen aufkeimender Verpflichtungslagen in die Flucht treibe. Leider, nuschelt der L. offenbar über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg in den Hörer, würden so gut wie alle ansonsten reizenden Damen mehr Anhänglichkeit zeigen, als er es gegenwärtig gut vertrüge, und mit ihrem Bestehen auf regelmäßige Anrufe, verbindlich gemeinsam verbrauchte Zeit und einer Planung über mehrere Monate, die beispielsweise einen gemeinsamen Erholungsurlaub umfasse, geradezu körperliche Symptome der Klaustrophobie bei ihm hervorrufen. Auch die Studentin, in die er ansonsten geradezu verliebt sei, dränge ihn seit Wochen zu einem gemeinsamen Urlaub im August und stelle gelegentlich Fragen wie „Warum hast du eigentlich nicht angerufen?“, die er als unangenehm empfände. „Ich weiß nicht, wieso Frauen immer so klammern!“, beschwert sich Cousin L. über die Damenwelt mehr oder weniger im Ganzen und kramt geräuschvoll in irgendwelchen Schubladen und Fächern nach Keksen.
Vor seiner Ehe mit Mutantin S., die mit der Geburt der gemeinsamen Tochter eine Metamorphose zu einem ganz ungewöhnlich ununterhaltsamen und leicht übergewichtigen Geschöpf vollzog, hätte dieses Problem, das man nur leicht vergröbernd als Bindungsangst bezeichnen könnte, noch keineswegs bestanden. Die Worte etwa „meine Freundin“ oder die Verpflichtung zu einem gemeinsamen Urlaub schreckten den L. damals nicht, er machte sich nicht einmal Gedanken über mögliche Verstrickungen, denen man am Ende schlecht entrinnt, und alles in allem, bilanziere ich, löffeln nun ganz normal anhängliche Frauen die Suppe aus, die Klette S. ihnen eingebrockt hat.
„So ein Schaden verschwindet auch wieder.“, rede ich dem L. gut zu und hoffe, die Studentin möge klug genug sein, auf die L.‘sche Unstetigkeit mit jener Gelassenheit zu reagieren, die reichere Früchte tragen dürfte als Bemühungen irgendwelcher Art, den L. noch einmal gewaltsam zu so etwas wie einer Beziehung zu erpressen.
„Und wenn nicht, dann nicht.“, beendet der L. das Thema und imaginiert ein Leben als alternder Junggeselle mit vielen Büchern und sehr gelegentlichem Besuch. Es hört sich ganz gut an. Und ansonsten heilt die Zeit ja bekanntlich alle Wunden.
ich lese wohl nicht richtig…
Wie darf ich das verstehen „Es hört sich ganz gut an“?
Lassen Sie mich von Ihrem „Dingsda“ völlig absehen und Ihnen aus Erfahrung zurufen: Noch so viele Bücher wären nicht in der Lage, die wirklich große Grünpflanze zu ersetzen und alles was so daran hängt…
REPLY:
Natürlich nicht, allerdings sind dem Grünpflanzenbesitzer auch keine derart anstrengenden Wesenzüge zu eigen, und viele Bücher hat er auch. Für meinen Cousin scheint mir die Einzelhaltung indes gegenwärtig gerade einmal passender zu sein, das gibt sich auch wieder.
Nicht schlecht, nur wusste ich bislang nicht, dass Sie meine Cousine sind….
REPLY:
Oha – es gibt mehr von der Sorte?!
Der Papa einer meiner besten Freundinnen sagt:
„Ich bin so eigen mittlerweile. Eine Umstellung hin zu einem partnerkompatiblen Charakter ist gar nicht mehr möglich. Zudem mag ich die Frauen, die ich haben könnte nicht und die, die ich mag, kann ich nicht haben. Also bleib ich lieber allein. Und wenn mir manchmal langweilig ist, gehe ich ins Wirtshaus.“
REPLY:
Dass keinerlei Identität jener Menschen, mit denen man verkehren möchte, mit denjenigen, die mit einem verkehren möchten, besteht, gehört ja den zu unschönen Umständen, die das Liebesleben vieler Menschen erschweren. In diesem Zusammenhang fällt mir eine liebe Freundin ein, deren vergebliche Versuche, sich eines Traumprinzen zu bemächtigen, in erster Linie daran gescheitert sein dürften, dass jener nicht existiert, und in zweiter Linie daran, dass diejenigen, die dieser Vorstellung halbwegs nahe kamen, sich nicht für sie interessierten. Erzähle ich vielleicht mal ausführlich.
Enthalten Sie, Frau Modeste…,
uns diese Geschichte nicht allzu lange vor, denn nichts ist spannender als die Identitätsdifferenz zwischen dem „Weib“ (Was will es?) und dem Manne (Was will ich?)…
Zwischenmenschliche Inkompatibilität, so will mir scheinen, Herr Burnston, ist keine Frage des Charakters, vielmehr eine der Gewohnheiten!
Die Sache wird noch komplexer, wenn man bereit ist, dem Schopenhauer zu folgen, der da ansteht zu behaupten:
„Wenn ein Mensch Gewohnheiten hat, dann hat er auch Charakter“!
Mir, für meinen Teil, sind Differenzen zu einer liebenswerten Gewohnheit geworden…
REPLY:
Seit Neuestem bin ich ja auch Grünpflanzenbesitzer und halte mir eine quietschgelbe Topfrose auf der Fensterbank. Sie hat sogar schon drei Wochen blühend überlebt. Ich staune.
REPLY:
Wie haben Sie das gemacht? Ich staune und erwarte weiteren Sachstandsbericht.