Die „bürgerliche Partei“

„Ich habe ja nie verstanden, was die CDU an Bürgerlichkeit eigentlich so großartig findet.“, sage ich und warte auf die Peking-Suppe, die es in der Ming Dynastie an der Jannowitzbrücke so gut gibt, wie ansonsten selten. „Welchen Wert messen diese Leute Bürgerlichkeit zu, dass sie sich immerzu als „bürgerliche Parteien“ vermarkten?“, frage ich mein Gegenüber und freue mich über die Suppe, die braun, sauer und pfeffrig und nicht ketchuprot wie woanders vor mich hingestellt wird.

Tatsächlich halte ich Bürgerlichkeit nicht für eine Angelegenheit, der irgendeine Werbewirkung zukommt. Natürlich gibt es Verhaltensweisen, die typisch für das deutsche Bürgertum sind. Darunter gibt es grässliche Angewohnheiten. Ein unangenehmer Stolz auf Geld, Tüchtigkeit und eine humorfreie Redlichkeit etwa. Es gibt auch angenehme Seiten des Bürgertums, aber die, fahre ich fort, verkörpert die CDU eindeutig nicht.

Als positiv empfinde ich etwa den kaufmännischen Wagemut, der im 19. Jahrhundert aus Handwerksgesellen Industrielle geschaffen hat. Die Kreativität, sich in jeder Generation etwas Neues einfallen zu lassen, anders als der Adel, der stolz darauf ist, sich nie zu ändern. Die Freiheiten zu nutzen, die die Moderne mit sich gebracht hat, etwa Zeitungen zu drucken, sich niederzulassen, wo man will, nicht den Beruf zu ergreifen, den der eigene Vater hatte, und viel Geld in Kunst zu investieren. So viele Museen, Kulturvereine, Opernhäuser und Konzertsäle wie hier gibt es in der Welt selten. Die meisten beruhen auf dem guten Geschmack und der Großzügigkeit von Bürgern.

Die CDU aber steht der Moderne und ihren Freiheiten meistens eher ablehnend gegenüber. Letztlich habe ich Interview mit dem Innenminister gelesen, in der dieser eine patriotische Bratkartoffelidylle hat hochleben lassen, die lustig wäre, wäre der Mann nicht Minister. Der bei aller modernen Fassade spürbare Wunsch nach Ehen, die – welches Elend da auch sei – nicht geschieden werden, und nach Frauen, die zu Hause viele Kinder erziehen, steht zu meiner Vorstellung von Freiheit, sein Leben selbst gestalten zu können, in Widerspruch. Ich will nicht eine Lebensform als wünschenswert vorgesetzt bekommen. Ich finde es gut, wenn jeder, der niemandem schadet, auch von niemandem geringgeschätzt wird.

Ach, spreche ich weiter, und schaufele mir Reis und Hühnchen Gong Bao in mein Schälchen. Der feige, rückwartsgewandte Protektionismus, der stets unterscheidet zwischen „wir“ und die „anderen“. Die nationale Engherzigkeit, die sich als Heimatverbundenheit tarnt, und in Freiheit und Globalisierung immer nur ein Problem sieht und nie die Großartigkeit, die Länder wechseln zu können wie die Berufe, die Ansichten und die Partner. Das provinzielle, selbstgerechte Verhältnis zur Kunst, in der das, was nicht auf den ersten Blick dekorativ aussieht, abgewertet statt erkundet wird.

Nein, sage ich. Die CDU ist keine bürgerliche Partei. Und selbst wenn sie es wäre, fände ich es absurd, sich dessen zu rühmen.

8 Gedanken zu „Die „bürgerliche Partei“

  1. Stimme weitestgehend zu.
    Aber: Die Vielfalt der Opern- und Konzerthäuser haben wir dem Adel zu verdanken. Wäre das Gebiet, das heute Deutschland ist, nicht in zig Fürstentümer und ähnliches gegliedert gewesen, von denen sich jedes einzelne durch diese Bauten repräsentierte und unterhalten ließ, sähe es ganz anders aus. Die Bürger durften erst ab dem 18. Jahrhundert zu den bestehenden Strukturen beitragen. (Vgl. z.B. Schleuning: Der Bürger erhebt sich.)

  2. ***********************************************************************
    gerne gelesen
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  3. REPLY:

    Allseits: Danke. Und natürlich stimmt das mit dem Adel, aber dass es das alles immer noch gibt, die vielen Kulturvereine und die Literaturzirkel im kleinsten Dorf, das wird dann doch meist von Bürgern getragen. Nur in der CDU sind die, glaube ich, selten.

  4. So viele Museen, Kulturvereine, Opernhäuser und Konzertsäle wie hier gibt es in der Welt selten. Die meisten beruhen auf dem guten Geschmack und der Großzügigkeit von Bürgern.

    In Deutschland werden Museen, Opernhäuser und Konzertsääle ganz überwiegend mit Steuergeldern finanziert. Mit den Steuergeldern aller.

    Vielleicht passiert hier eine ähnliche Aneignung oder idealisierende Zuschreibung wie bei kirchlichen Bildungseinrichtungen, die oft vollständig der Kirche zugute gehalten werden, obwohl auch hier das Meiste vom Staat bezahlt wird.

  5. REPLY:

    Dann schauen Sie mal, wer sich in den Kulturvereinen in der Fläche engagiert, wer kommt, wenn ein Autor auf Lesereise in der örtlichen Buchhandlung liest, und wer Sammlungen oder einzelne Kunstwerke stiftet. Nicht zuletzt auch: Wer Steuern bezahlt.

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