„Man fängt ja
gar nichts mit der Verwandtschaft an – die
Verwandtschaft besorgt das ganz allein.“
Kurt Tucholsky
Nun, meine Liebe, Sie suchen einen Mann. Das Leben mit einem Mann stellen Sie sich recht angenehm vor. Dabei sind Sie nicht naiv. Sie wissen, dass Männer auch Nachteile haben, dass alles auf Erden auch Nachteile hat, und dass das Zusammenleben mit jemandem, der möglicherweise – nein, ganz bestimmt – andere Lebensgewohnheiten hat als Sie, andere Verhaltensweisen für normal hält, und noch andere für wünschenswert, sich nicht immer einfach gestalten wird.
Auch dass Ihr zukünftiger Gefährte eine Familie hat, erscheint Ihnen ziemlich normal. Hätte er keine, Sie wären befremdet. Hätte er ganz merkwürdige Eltern, die beispielsweise komisch tätowiert wären oder rechtsradikal, Sie wären auch nicht begeistert, und dass ältere Leute – wie es die Eltern Ihres geschätzten Gefährten naturgemäß wären – manchmal ein bisschen sonderbar sind, dass nehmen Sie hin. Ihre Eltern, Verehrteste, sind ja auch nicht ohne, und niemand wüsste das besser als Sie.
Was es aber bedeutet, dass Ihr Gefährte Eltern hat, dass erfahren Sie nicht beim ersten Treffen, nicht beim ersten gemeinsamen Weihnachtsfest, und nicht einmal dann, wenn seine Eltern das erste Mal überraschend zu einem vollkommen unpassenden Zeitpunkt bei Ihnen erscheinen. Die ganze Bodenlosigkeit seiner Familie teilt sich Ihnen auch noch nicht mit, wenn Sie jedes Mal, wenn seine Eltern die inzwischen gemeinsame Wohnstatt verlassen haben, riesige Mengen fettiger Speisen verklappen müssen, die Sie nicht essen und überhaupt niemand zu sich nehmen würde, der noch nicht 70 ist und kein Teilnehmer eines Wettbewerbs, bei dem es um den höchsten Cholesterinspiegel Berlins geht.
Dann aber ist es soweit. Denn eines Tages kommen Sie nach Hause, krumm und schief von des Tages Last, und finden einen Benachrichtigungszettel vor, wie Paketdienste sie hinterlassen, wenn keiner zu Hause ist. Mit dem Zettel in der Hand gehen Sie zu den Nachbarn, die Nachbarn überreichen Ihnen ein riesenhaftes, aber verhältnismäßig leichtes Paket, und mit diesem Paket betreten Sie Ihre Wohnung. Sie wundern sich. Sie haben gar nichts bestellt.
Das Paket, wie Sie bei genauerer Untersuchung feststellen müssen, stammt aus einem Hannoveraner Geschäft, welches sogenannte Heimtextilien und Miederwaren führt. In Hannover gibt es so was noch. In dem Paket befinden sich zwei Bettdecken und eine Rechnung. Diese Rechnung sollen Sie bezahlen, unter den Decken sollen Sie schlafen, und weil es nur zwei Menschen auf Erden gibt, die in Ihrem Namen einfach so Hannoveraner Bettdecken bestellen, rufen Sie (nein, eigentlich Ihr Gefährte) auf der Stelle seine Eltern an.
Was das soll, fragt dieser mit der Direktheit, die nur ein Sohn des Hauses aufbringt. Man brauche keine Decken. Man schlafe ausreichend bedeckt, man habe genug Zeug auf den 85 qm, auf denen man sich ohnehin mehr schlecht als recht zusammenquetscht, weil man zu faul ist umzuziehen, und außerdem habe man es nicht gern, wenn über den eigenen Kopf hinweg Anschaffungen getätigt würden.
„Aber sie waren so günstig!“, entgegnet die ganz und gar nicht schuldbewusste Mutter ihrem Sohn. Dies möge zutreffen, antwortet jener. Indes sei nicht alles, was günstig sei, auch willkommen. Nicht einmal jede Aquisition, welche ein hervorragendes Verhältnis von Qualität und Kaufpreis aufweise, müsse deswegen auch getätigt werden, und daher werde man weder die Rechnung bezahlen noch die Decken abnehmen.
Die Rückabwicklung allerdings hat ihren Preis. Denn lang sind des geschätzten Gefährten Arbeitstage, Sie selbst arbeiten eigentlich auch immer, und wenn Sie abends nicht mehr arbeiten, arbeitet auch keine Post. Am Samstag hätten Sie zwar Zeit, aber keine Lust, die sperrige Sendung aufzugeben. Die Eltern sollten das Paket selber abholen und benutzen, dies aber hätte den Nachteil ihres wahrlich strapaziösen Besuchs, und so wuchtet Ihr Gefährte die Bettdecken samt Umverpackung erst einmal auf Ihren Kleiderschrank. So vergehen Wochen. In diesen Wochen bezahlt seine Mutter die Bettdecken bei dem versendenden Geschäft. Ansonsten passiert diesbezüglich nichts.
Am 9. August dann ruft seine Mutter an. Seine Mutter ruft ständig an, möglicherweise ist der Telephonapparat eigens für seine Mutter erfunden worden, aber aktuell hat seine Mutter ein besonderes Anliegen, denn sie wird nach Berlin fahren. Hier wird sie aber nicht ihren Sohn mitsamt seiner widerborstigen Freundin besuchen, denn aufdrängen will seine Mutter sich natürlich nicht. Stattdessen will sie per Bahn mit einer Freundin anreisen und vor Ort eine Ausstellung besuchen, welche sich mit der babylonischen Hochkultur beschäftigt, und nur an kurzen, absichtsvollen Gesprächspausen bemerken Sie, dass seine Mutter eine Einladung zum Tee erwartet.
Nun ist das Teetrinken mit der Mutter des geschätzten Gefährten nur so mittelmäßig amüsant, und so überlegen Sie für einen Moment, nur für eine Sekunde, ob es nicht nett wäre, seiner Mutter anlässlich dieser Einladung bei der Verabschiedung rein zu pädagogischen Zwecken mit dem ernsthaftesten Gesichtsausdruck der Welt das Paket zu übergeben, auf dass sie es im Zug nach Hannover transportiere.
Dann aber verwerfen Sie den Gedanken. Schließlich verschwinden seine Eltern nicht einfach so, das nächste Familienwochenende kommt bestimmt, und wenn die größten Fehler Ihres geschätzten Gefährte, denken Sie sich, 200 Kilometer weit weg in Hannover wohnen,
dann hat sich seine Anschaffung ja im Großen und Ganzen gelohnt.
Bemerke ich eine gewisse Altersmildheit an Ihnen, Frau Modeste?
Was soll das arme Hannover nur mit so vielen Müttern? 🙂
REPLY:
Ist doch klar, die halten dort die Fachgeschäfte am Leben.
haben sie nie über einen Racheakt nachgedacht? etwas wie…walking-stöcke mit einer spitzen Bemerkung auf einem neongelben Notizzettel…aber nein, man möchte ja keinen Krieg vom Zaun brechen…