„Wir gehen ins Wasser,“, sagt mein Vater, fasst meine Hände und hebt mich auf seine Füße. Durch die Äste der Weiden, die den See grün verhängen, waten wir tiefer, bis das Wasser mir bis ans Kinn reicht. Mein Vater wirft mich hoch, fängt mich wieder auf, dass das Wasser spritzt, und ich halte kurz die Luft an, um zwischen seinen Beinen durchzutauchen. „Mach das Walross!“, kreische ich, und mein Vater wirft sich ins Wasser, das die Tropfen bis in die Zweige der Bäume spritzen, und funkeln in der weißen Junisonne wie der Glitzergürtel meiner Mutter, den ich manchmal umbinden darf, wenn sie sich schminkt.
„Kuck mal!“, rufe ich dem Walross zu, und schlage mit den Armen auf das Wasser, dass es spritzt wie der Springbrunnen im Kurpark. „Nicht ins Tiefe“, zieht mein Vater mich zurück, hebt mich auf seine Schultern und springt in die Höhe. Auf dem Rücken meines Vaters darf ich sitzen, der ein paar Meter hin und her schwimmt. „Jetzt bist du ein Seepferd!“, feuere ich ihn an, und mein Vater wiehert ein bißchen, wie es die Seepferde tun, wie er mir versichert.
Der Herbst aber verschließt die Pforten des Wassers. Verzaubert, abgeriegelt durch die Spinnweben, die die Feen des Nachts über das Wasser spannen, schläft der See und träumt goldene Träume, müde fließend, und die Blätter der Weiden kreisen versonnen an der Oberfläche, um langsam zu versinken. Der kalte Nöck, von dem mir mein Vater vorgelesen hat, wandert auf dem Grund des Sees herum und baut sich aus ein Haus aus den Ästen, die die Herbststürme von den Bäumen reißen, und legt sich schließlich zur Ruhe unter einer Eisdecke, die eines Morgens, eine zarte Membran, den See überspannt. – Nicht aufs Eis gehen, warnen die Erwachsenen, denn unter der Oberfläche ist der Wassermann hungrig, wenn er erwacht, und hat seine Fallen schon gestellt. Kinder würde er verzehren, flüstert die Nachbarstochter mir zu, wie er schon den Hund der dicken Lehrerin gefressen hätte, der eines Morgens über den Zaun gesprungen war und im See ertrank.
Erst, wenn das Eis knackt und stumpf wird, wenn die Kälte länger als drei Wochen währt, ist der Riegel dicht genug, der den Wassermann verschließt. Knurrend, aber sicher verwahrt unter dichtem Eis muss der Nöck zuschauen, wie mein Vater die Schlittschuhe mit Speck abreibt und mich vorsichtig an beiden Händen auf den See führt. „Einen Fuß nach dem anderen!“, ermahnt er mich und lässt mich vorsichtig los. Weiter zur Mitte des Sees laufen die Großen, die schon zur Schule gehen, und werden so schnell, wie ich es mit dem Fahrrad noch nicht bin, obwohl die Stützräder abgeschraubt sind. Ab und zu heben sie sogar ein Bein hoch, drehen sich und schießen im Zick-Zack an mir vorbei. – „Dass will ich auch!“, zeige ich auf ein Mädchen, das besonders gewandt über das Eis gleitet. „Wenn du größer bist.“, tröstet mich mein Vater und hebt mich auf, wenn ich wieder und wieder ausgleite. Es gebe Bratäpfel, reibt er mir die Hände, die trotz der Handschuhe rot und kalt werden, und zieht mich vom Eis und nach Hause.
Die Pirouetten aber werde ich niemals drehen, immer falle ich um, und eines Tages packt auch noch der Wassermann seine Sachen und hinterlässt das Wasser leer. Mein Vater, sagt er, geht nur noch selten schwimmen, und ich war den ganzen Sommer lang nicht am See, bis nun der Herbst die Blätter auf die Straßen fegt, und nur die Spinnweben bleiben.
echt melancholisch – freudig am anfang, gegen ende mit einem hauch traurigkeit, aber wunderbar erzählt. wenn das deine kindheitserinnerungen sind, musst du es gut gehabt haben mit deinem vater. lg y
Das ist sehr schön geschrieben und erinnert mich an einen kleinen Teich namens Moorkuhle. Direkt daneben hab ich als Kind gewohnt und einmal im Winter ist ein Zeitungsausträger mit seinem Fahrrad übers Teicheis gefahren und eingebrochen. Und jeden Winter, wenn der Teich wieder zufror, wurde der Drahtesek aus irendwelchen naturwissenschaftlichen Gründen wieder hochgedrückt und man sah knapp unterm Eis ganz deutlich das Fahrrad da erstarrt liegen und Dutzende von Zeitungen in wildesten Verknüllungen drum herum. Da ging man dann immer mit äußerter Andacht und ziemlich viel Gänsehaut über diese Stelle drüber und hat sich so einiges ausgemalt dabei in seiner Kinderfantasie.
Verehrte Modeste,
mit ihren Texten geht es mir, wie mit einigen meiner liebsten Autoren. Noch während ich lese, überfällt mich das Bedürfnis, augenblicklich inne zu halten und mich sofort hinzusetzen und etwas ähnlich dichtes, klangreiches und schönes zu schreiben.
Man wird gezwungen mit sich selbst zurückzureisen, in den eigenen Sommer im See bzw. dem Winter auf dem Eis.
Und ich habe gelernt, dass Seepferdchen wiehern. Das wusste ich bisher noch nicht. Aber geahnt hatte ich es!
Hübscher Text, da muss ich auch an meine Kinheit denken..
Ich habe es geliebt auf seinem Rücken zu liegen und wie bei Delfinshcwimmen mitgezogen zu werden!
Wunderschön, wie die Stimmungen einen da beim Lesen nacheinander umschließen. Die letzten Zeilen haben mir die Augen ein bisschen feucht werden lassen.
Wenn man die Liebe
seiner Eltern in sich trägt, kann einem das ganze Leben lang eigentlich nichts Schlimmes geschehen…
Sanft plätschert ihr Rückblick daher und nach und nach will Schwermut einem die letten Sommertage vermiesen.Doch schon keimen erste Winterfreuden auf und Vorsätze für künftige Sommermonate helfen beim überwinden der Schwere.
Ach und ein kleiner Holperer an dieser Stelle :
aus ein Haus aus den Ästen
Ja, gut gehabt, Yesco, auf jeden Fall. Und ans Delphinschwimmen, Kawechelchen, kann ich mich auch gut erinnern und muss ein wenig lächeln dabei. Und an dem, was Herr Mukono sagt, mag etwas Wahres dran sein.
Gestern bin ich übrigens auch wieder am Wasser gewesen, wenn auch nicht an jenem See, sondern an der Havel, aber es sehr genossen. Seepferdchen, Creezy, waren leider keine da, ansonsten hätten sie bestimmt gewiehert, ganz klar. Nächsten Sommer werde ich das überprüfen, Herr Reh, denn Sie haben recht – der Winter wird großartig, und der nächste Sommer kommt bestimmt mit Sonne an der Havel, Bienen und Apfelkuchen und stäubendem Gras.
Die Gänsehaut, Auffahrtsallee, kenne ich auch. Sehr finster das Holzkreuz am Ortseingang, wo sich der Cousin eines Mitschülers achtzehnjährig totgefahren hatte. Von den Details dieses Unfalls konnten wir nicht genug bekommen – Kinder sind schrecklich blutrünstig.
Ihnen, Herr Gerhards und Frau Etosha, vielen Dank. Mir geht es auch so, wenn ich hübsche Texte woanders lese, dann möchte ich auch sofort… und es ist schade, dass es dann meist nicht passt. Ein paar Strunden später ist die Lust vergangen und der text weg, den man doch eben noch schreiben wollte.