Vor zwei Wochen wollte Sohn F. in die Oper partout kein Hemd anziehen. Dann saß er in der Staatsoper in einem Langarmshirt, alle anderen anwesenden Kinder dieser Nachmittagsvorstellung des Freischütz waren feingemacht in Kleidchen, Samtblazern und Hemden, und der F. fühlte sich etwas unbehaglich. Am Sonntag um halb zehn steht Sohn also freiwillig vorm Schrank und knöpft sich umständlich ein weißes Hemd zu. Neben ihm liegt sein neues hellblaues Sakko.
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In der kleinen Feldsteinkirche von Schmargendorf wird der Sohn F. unserer Freunde I. und S. getauft. Wahrscheinlich ist er das letzte Baby im engen Freundeskreis, der pausbackige, kulleräugige Nachzügler, der im weißen Taufkleid über das Taufbecken gehalten wird.
Es tauft die Tante, Pastorin, deren drei Kinder in der ersten Reihe sitzen. Überhaupt laufen viele Kinder herum, die ihre eigene Party feiern und beim Essen in einem schwäbischen Restaurant auf dem Viktoria-Luise-Platz im Sandkasten sitzen, durch Blätter rascheln, einen toten Vogel finden und ab und zu atemlos ins Lokal gelaufen kommen, ohne sich ein einziges Mal zu streiten.
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Am Nachmittag fahren der F. und ich weiter gen Westen und treffen am S-Bahnhof Grunewald die C.3 aus Wien, die für einen Monat im LCB arbeitet. Es ist 24° C warm, die Wälder an großem und kleinem Wannsee ein Traum in Gold und Rot, der Himmel schwingt licht wie blaue Seide über den Villen am See, und im Wannsee springen klitzekleine Nixen aus dem lichten Wasser.
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Wusstest du, dass ich einmal in Heinrich von Kleist verliebt war, mein F.?
Soweit ich bislang verstanden, ist F im Grundschulalter. Hier gibt es nur Kinderkonzerte. Sonntagskleider und weiße Hemden sind da Rarität, Langarmshirts normal.
Vor ein paar Jahren waren wir mit U erstmals in einer Kinderoper (Zauberflöte) in der großen Stadt. Er hatte sich das gewünscht. Wir waren gebügelt, uns war das wichtig. Er trug seine Jogginghose, die er seinerzeit an sich am schönsten fand.
Seine Neugier war uns wichtig und seine Fragen, immer wieder, länger auch danach.
Inzwischen ist er älter, auch auf Klamotten sehr bedacht, wünscht sich ein Sakko. Fällt aus. Seine Mutter verdient für Wohngeld wenige Euronen zu viel . Mag Musik, auch die sogenannte Ernsthafte. Opern sind ihr fremd. Er hat mich gefragt, ob ich mit ihm hingehe. Klar. Ihr ist es wichtig seine Karte zu bezahlen.
Er hat hier sein Hemd gebügelt.
Wir gehen morgen.
Schade dass der Friedrich Gulda nicht mehr lebt. Zu seinen Konzerten hätte man getrost im Jogginganzug gehen können.
Lange nicht mehr hier herein geschaut. Mir gefaellt Ihr Tagebloggen. Kleist – das war auch bei mir eine fruehe Anziehungen. Ab der 8. Klasse war ich Kleistfan – die Klassenkameraden haben das nicht verstanden.
Freue mich auf Ihre weiteren Texte. Herzliche Gruesse aus China.