Leider, so mein kleiner Cousin, sehe er sich gezwungen, seinen Schulbesuch nunmehr, also knapp nach Erreichen der Obersekunda, abzubrechen, denn es sei ihm aus verschiedenen Gründen absolut unmöglich, jenes Institut auch fürderhin aufzusuchen. „Das ist schlecht.“, sage ich, und weise auf die Tatsache hin, dass ich jeden Moment Besuch bekommen werde, und sich meine Wohnung und ich keineswegs in einem Zustand befinden, der für die Augen Dritter geeignet erscheint. „Ich ruf´ dich zurück.“, verspreche ich, und verdränge meinen maulenden Cousin aus der Leitung.
„Also,“, setzt mein kleiner Cousin einige Stunden später seinen Bericht fort. Ich erinnere mich doch an V., seine Klassenkameradin und früheres Modell seiner Bemühungen um die bildende Kunst? – Aber sicher, antworte ich, eingedenk jenes ungefähr gleichaltrigen Mädchens, das nach einigen Sitzungen angesichts meines schweigend mit Pinsel und Farbe hantierenden Cousins die Lust auf weitere derartige Zusammenkünfte verloren, und sodann nicht mehr erschienen war. Geendet hatten damit zwar die Zusammenkünfte meines kleinen Cousins mit seiner angebeteten wenn auch angeschwiegenen Klassenkameradin, keine Ruhe fanden jedoch die Stürme der Leidenschaft, die den Geist meines kleinen Cousins um eben jene, nach seinen damaligen Worten ganz und gar himmlische und überhaupt engelsgleiche Person kreisen ließen. Er dachte an sie des Tags und bei Nacht, er dachte an sie beim Sport und im ohnehin schuldhaft vernachlässigten Mathematikunterricht, im Wachen wie im Schlafen, beim Essen und überhaupt eigentlich immer. Die Angebetete indes beachtete meinen kleinen Cousin sozusagen gar nicht.
„Vergiss´ es.“, rate ich dem Kleinen, und empfehle, jede Herzdame energisch aus dem Gedächtnis zu verbannen, die keine deutlichen Anzeichen von gegenseitigem Interesse erkennen lässt. Verlorene Schlachten, so führe ich aus, seien eigentlich nur in der Kunst ein reizvolles Motiv.
Immerhin, so erfahre ich, habe mein kleiner Cousin versucht, das eigentlich schon entglittene Steuer doch noch herumzureißen und zu diesem Zweck ein Schreiben an die Dame seines Herzens vorbereitet. In dieses Schreiben habe er sein Herzblut versenkt, seine flammenden Gefühle zum Ausdruck gebracht, die gemeinsame Zukunft in leuchtenden Farben gezeichnet, und vor Angst und Erwartung zitternd dieses Schreiben in ihren Rucksack versenkt.
Reaktionen indes blieben aus. Zumindest, so höre ich, Reaktionen des verehrten Fräuleins. Eine Reaktion, mit der mein kleiner Cousin weniger, um nicht zu sagen: gar nicht, gerechnet hatte, erfolgte indes von anderer Seite, die keinesfalls zum ja ohnehin auf eine einzige Person beschränkten Adressatenkreis gehörte, von einem guten Freunde nämlich, der ihn ansprach auf eben jenes Schreiben.
Die junge Dame nämlich, so bricht es aus meinem kleinen Cousin hervor, habe anlässlich des Erhalts jenes Briefes ihren ganz und gar unengelhaften Charakter gezeigt, habe sich vielmehr als eine wahre Ausgeburt der Hölle erwiesen, und das in blumigen Worten verfasste Schreiben allen ihren Freundinnen vorgelegt und herumgezeigt, auf dass diese sich über den Absender, also meinen jugendlichen Verwandten, amüsierten. Das schadenfrohe Gelächter ob dieser Entäußerung zog weite Kreise.
Und mein kleiner Cousin kann, vernehme ich, nie, nie wieder zur Schule gehen.