„Modeste,“, sagt die B. und ich halte den Hörer ein bißchen vom Ohr weg, damit mein Trommelfell keinen Schaden nimmt. „Ich bin verliiiebt!“ – „Das ist ja großartig!“, sage ich und freue mich für die B., die schon etwas länger, eigentlich solange ich sie kenne, allein durch die Stadt läuft. „Erzähl´ mal!“, sage ich, denn romantische Geschichten höre ich ganz gern, und romantisch ist es ja meistens, wenn zwei Leute zusammenkommen.
Irgendwann, mag schon ein paar Monate her sein, wurde in der Volksbühne Premiere gefeiert. Der Begleiter der B. war irgendwann mit einem anderen jungen Mann verschwunden, und mit irgendwelchen fremden Leuten saß die B. auf der Treppe am Sternfoyer und trank ein Bier nach dem anderen. Er, also ER, er sei mit einem Freund dagewesen, der Freund habe viel erzählt und viel gelacht und noch mehr getrunken, und er habe mehr oder weniger einfach nur so herumgesessen. „Du bist aber still.“, habe die B. zu ihm gesagt, und dann habe er zu ihr übers Theater gesprochen, denn davon verstünde er eine Menge. Weil andauernd Leute vorbei gewollt hätten, die Treppen rauf oder runter, wären sie ein bißchen zusammengerückt, er hätte ihr den Arm und die Schulter gelegt, sie geküsst, und am nächsten Morgen sei die B. irgendwo in Friedrichshain aufgewacht und noch vor seinem Erwachen auf leisen Sohlen davongeschlichen und nach Mitte zurückgefahren. Eine Telefonnummer habe sie nicht dagelassen, man erspare sich so das fruchtlose Warten, und überdies zähle die Nacht, „aber nicht verraten!“ – auch nicht zu den zehn bedeutendsten Erlebnissen ihres Liebeslebens. In seinem Alter, habe sie damals gedacht, sei das vermutlich auch kein Wunder, nach längerer Bekanntschaft schiebe sie die maximal durchschnittliche Performance aber auf übermäßigen Konsum von Alkohol an jenem Abend. – „Wie alt ist der denn?“, frage ich ein bißchen beunruhigt, und versuche mich zu erinnern, wie alt die B. eigentlich ist. 25? Oder 26? – „Er sieht jünger aus, als er ist.“, verteidigt die B. die Jugendlichkeit ihres Neuen, ohne ein exaktes oder auch nur ungefähres Alter zu verraten.
Überhaupt sehe er gut aus, sagt die B., und liefert eine jener Beschreibungen Verliebter ab, nach denen kein Mensch auf Erden den Beschriebenen irgendwo wiedererkennen könnte. Mittelgroß sei er. Eigentlich blond, aber inzwischen mehr grau als blond. Und einen kleinen Bauch habe er auch, den sie besonders niedlich fände, weil er eigentlich sportlich sei, so alles in allem. Jedenfalls sportlicher als sie. – „Was macht er denn so?“, frage ich, und erhalte von der B. eine etwas umständliche Erläuterung seines Lebenslaufs, der ziemliche viele Semester irgendeiner etwas obskuren Geisteswissenschaft umfasst, eine Promotion in eben jener Fachrichtung und einen Ein-Euro-Job in einem Museum. „Oha.“, sage ich, und erinnere mich mit einem Lächeln an die lange Liste von Auswahlkriterien für den Herrn ihres Herzens, die mir die B. im Winter irgendwann einmal beim Wein zu später Stunde verraten hat.
„Aber ich hab´ dir noch nicht erzählt,“, fährt die B. fort, „wie wir eigentlich zusammengekommen sind.“ – Ich nicke, auch wenn die B. das am Telephon nicht hören kann, und höre zu.
Ganz enttäuscht sei er, also ER, gewesen, als die B. am nächsten Morgen verschwunden war, und sei allein frühstücken gegangen. Sie hätte aber, so die B., die ganze Zeit an ihn gedacht, und er auch an sie, und weil das Schicksal wollte, dass die B. und ihr Neuer sich finden, habe sie seinen Freund, den lustigen, lauten, nur ein paar Tage später im U-Bahnhof Kleiststraße getroffen. Er hätte sie bemerkt, aber nur ganz kurz gegrüßt, und sie ihn auch, aber als er schon fast auf dem Bahnsteig gestanden sei, und sie war auf dem Weg die Treppen hoch, da sei sie umgekehrt, und habe ihn angesprochen. Sie habe, so sagte sie, seinem Freund eine überzählige Theaterkarte versprochen, was natürlich glatt gelogen war, und der Freund schrieb ihr ohne weitere Umstände die Telephonnummer auf.
Vier Tage später, das Telephon war schon ganz warm vor romantischer Aufladung, rief sie an. Am Wochenende traf man sich, unter der Woche traf man sich wieder, Liebesbezeugungen folgten Liebeserklärungen, und man habe die feste Absicht, so die B., sich überhaupt nie wieder zu trennen.
Und ich sage ausnahmsweise mal gar nichts.