Der Tod kann kein Berliner sein

Waren Sie schon einmal in Wien? Dann haben Sie den Zentralfriedhof gesehen, oder? Und die Hamburger, hört man, gehen am Sonntag in Ohlsdorf spazieren. In den kleinen Städtchen am Lande liegt noch der Gottesacker zu Füßen der Kirche; und in Japan, wo der Platz rar ist, stapeln sich die Toten in vollautomatischen Nekropolen, zu denen die Angehörigen Zugangscodes bekommen mit Plastikkarten oder Nummerncodes.

Aber wo verscharren die Berliner ihre Toten? Auf den paar Friedhöfen, die in den Reiseführern stehen, auf denen Brecht liegt oder Liebermann, da ist kein Platz für die Toten von drei Millionen. Auf diesen Friedhöfen ist kein Grab jünger als vielleicht dreißig, vierzig Jahre. Wo aber ist der Berliner Zentralfriedhof, wo lässt sich die Wilmersdorfer Witwe zu Grabe tragen, wo vergräbt man den Junkie aus dem Dixie-Klo und was passiert, wenn die Nachbarn von dem tagelang stinkenden Rentner aus der Nachbarwohnung endlich erlöst werden?

Wenn die Berliner es wissen, so verraten sie es jedenfalls nicht. Niemals entschuldigt sich der Berliner für sein vorabendliches Fehlen mit einer Beerdigung. Nicht fährt er zu den Gräbern seiner Großeltern. Gehört seine Familie zu den glücklichen Inhabern eines prachtvollen Erbbegräbnisses, gar einer romantischer Gruft? Er wird es nicht erzählen. Überhaupt berichtet der Berliner ungern vom Ableben seiner Umgebung. Bestellen Berliner eigentlich Kränze, wenn es einen Kollegen vorzeitig vom Ledersessel haut? Und wo inseriert der untröstliche Berliner seinen Schmerz um die geliebte Nichte, Schwester, Tante und Großtante?

Aber der Tod lässt die Seinen nicht aus den knochigen Fingern. „Memento mori“, rattert die U 2 dem Berliner in die Ohren. Gerade noch mittten im blühenden Leben, sieht sich der Berliner mit den Todesschwaden der Currywurstbuden konfrontiert. Gellend erinnert das Martinshorn den Berliner daran, dass auch er sterben muss.

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