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Bitte kaufen Sie jetzt

Komm. Sie haben doch auch noch nicht alle Geschenke. Tante W. etwa. Für die fällt Ihnen nie etwas ein. Oder Ihr guter alter Freund R. Der ist so reich geworden, dass er alles schon hat. Und Ihr getreuer Gefährte sowieso. Was soll der denn mit noch einer Krawatte. Der hat doch eh nur einen Hals. Nein. Kaufen Sie etwas anderes. Kaufen Sie DEN EXOT Nr. 16. Den gibt es als Magazin oder auch als eBook.

Taufrisch. Extrem ansprechend gestaltet. Mit informativen, hochamüsanten Texten über alles Mögliche, u. a. vom liebenswürdigen Anselm Neft, Lino Wirag, Kirsten Fuchs und noch ganz vielen sehr begabten Leuten. Mich haben Sie aber auch was schreiben lassen. Ich bekämpfe das letzte Buch von Daniel Kehlmann.

Alt, grau und gebrechlich

Ich, wissen Sie, ich falle ja langsam auseinander. Letzten Samstag zum Beispiel, da saß ich mit dem J. und dem F. im Alt Wien um die Ecke, und auf einmal – schwupp – war diese Schraube weg, die man mir kürzlich in den Kiefer gedreht hatte, damit ich da mal einen Stiftzahn bekomme. Letzten Donnerstag – also nur drei Tage zuvor – war ich so erkältet, dass der HNO den eigentlich einheitlich geplanten Eingriff auf zwei Wochen aufgeteilt hat, und zu alledem hatte ich eine fiese Bindehautentzündung, die dazu geführt hat, dass ich wegen der mir Donnerstag früh verschriebenen Salbe tagelang kaum was gesehen habe und zu alledem auch noch meine 12 Jahre alte Brille tragen musste, die ich aufsetze, wenn ich will, dass alle Leute lachen.

Insgesamt ist die Entwicklung beunruhigend. Gott, ich habe letzte Woche drei Ärzte besucht. Nicht gerechnet die Hausärztin, die ich besuchen sollte und es nicht getan habe, weil ich so schrecklich erkältet bin, aber zu der ich so ungern gehe, weil sie Leute stundenlang warten lässt, um Hypnosen durchzuführen. Außerdem hat sie mir mehrfach esoterischen Killefit verschrieben, und ich habe das erst in der Apotheke an diesem komischen Streifen auf der Packung bemerkt, mit der die pharmazeutischen Unternehmen die Attrappen ihrer Waren kennzeichnen.

Wo aber, frage ich mich besorgt, soll das alles noch enden? Ich bin noch keine 40. Bei auch nur linearem Anstieg meiner Krankheitssymptomatik gegenüber dem Zustand in den vergangenen Jahren sitze ich schon nächstes Jahr nicht nur pro Woche bei drei, sondern bei sechs Ärzten, also sozusagen an jedem Wochentag und am Wochenende einmal ins Krankenhaus zum Notdienst. In drei Jahren brauche ich Arztpraxen quasi nicht mehr zu verlassen. Und in zehn Jahren liege ich dann irgendwo, und die Ärzte laufen rein und raus, weil ich gleichzeitig Schnupfen, Polypen, Schuppen, dicke Mandeln und eingewachsene Fußnägel habe.

Gelegentlich aber mache ich mir Sorgen. Also so richtige Sorgen. Denn möglicherweise ist das gar nicht einfach nur lästig. Möglicherweise ist das der Anfang vom Ende. Nicht so dramatisch mit Operationssälen und so. Mehr so tragikomisch mit Runzeln, Vergesslichkeit und Gicht. Vielleicht, sage ich mir und versuche, keine Grimassen zu ziehen, weil das so hässlich macht, ist das nun das Alter. Jetzt geht es nur noch bergab. Hilfe, denke ich. Darauf bin ich nicht eingerichtet. Keine Ahnung, wie man das so halbwegs mit Haltung hinter sich bringt. Und erst recht keine Ahnung, was man eigentlich den ganzen Tag macht, wenn man alt ist. Außer bei Ärzten herumzusitzen, natürlich.

Das Drehen der Schraube

„Und nach drei Monaten kommen sie dann vorbei und wir legen das Implantat frei.“, sagt also der Zahnarzt irgendwann im Frühling. Dann verschiebe ich zweimal, weil ich einmal krank und einmal sehr beschäftigt bin. Schließlich stehe ich vorgestern Abend vor dem Tresen der Praxis.

„Sie bekommen gleich die Betäubung.“, tätschelt mir die Sprechstundenhilfe die Hand, weil ich hier als eine eigentlich unbehandelbare Zahnarztphobikerin gelte. Ich erstarre auf der Liege und kralle meine Nägel in meine linke Hand. Dann kommt die Spritze, zweimal. Es werde nicht schlimm, behauptet der Zahnarzt.

In Wirklichkeit wird es viel schlimmer. Der Zahnarzt kratzt, hackt, schabt in meinem Mund herum. Ich schlucke. „Die Zunge oben an den Gaumen!“, werde ich ermahnt, und bemühe mich, an etwa Schönes zu denken. Die See, denke ich. Mit dem F. Kuchen backen. Warme Haut. Federn. Pelz.

Dann aber holt mich ein grässliches Schaben in die Welt zurück. Ich schnaufe. Entsetzt reiße ich die Augen auf und kneife sie sofort wieder zu. Krachend knirscht mein linker Unterkiefer. „Alles in Ordnung.“, spricht man begütigend auf mich ein, und dann knirscht es weiter. Krack, macht mein Kiefer, und dann dreht sich ein Gegenstand – später erfahre ich, eine Art Schraube – in meinen Knochen.

Wieder und wieder dreht sich die Schraube. Jede Faser angespannt sitze ich da, stelle mir die lauteste Musik der Welt vor, um dieses Drehen und Krachen zu übertönen, das dauert, sich fortsetzt, gar nicht wieder aufhören will, und als ich wieder auf der Straße stehe, immer noch weiter schabt und kratzt. Seit fast zwei Tagen.

Solche Tage

Beim Start schließe ich wie immer die Augen. Neben mir riecht ein dicker Mann durchdringend nach einem sehr, sehr holzigen Eau de Toilette. Die Armlehne zwischen uns schneidet tief in sein Fleisch, und ich rücke so weit wie möglich nach außen, damit er mich nicht berührt.

Ich gähne. Es ist 20.00 Uhr, ich bin früh um halb fünf aufgestanden, und meine Augen sind trocken und schmerzen. Draußen ist die Nacht so schwarz, als sei die Welt schon vorbei, und ich will so sehr heim, will mich zusammenrollen in meinem Bett und mir die Decke bis über die Schultern ziehen und endlich schlafen.

Solche Tage dürften nicht abgezogen werden von der abgemessen Zeit, denkt es in mir und ich lächele sofort über diesen kindischen Groll. Es ist okay, denke ich dann. Es gibt doch noch Wasser. Es gibt grünes Gras und Erde, irgendwo rauscht das Meer und bricht sich an Steinen, und ich fliege durch die Nacht, als sei das nichts und ganz selbstverständlich, und der Himmel kein Geschenk, sondern nur ein leerer, kalter Raum zwischen Berlin und Stuttgart.

Seid nett zu Müttern.

Oh, Ihr Männer von Berlin: Sie am Biobrotstand am Arnswalder Platz mit der blauen Barbour-Steppjacke und dem kleinen Mädchen auf den Schultern. Sie in der M 10 Richtung Kreuzberg  mit der Sporttasche und dem großen, weißen, flauschigen Hund. Sie auf dem Spielplatz im Volkspark letzten Samstag in Dufflecoat und Cordhosen mit den Zwillingen auf den Puky-Rädern, und besonders Sie mit Brille und blauer Badehose heute nachmittag im Kinderbecken der Europaschwimmhalle. Sie möchte ich etwas fragen: Warum lächeln Sie uns eigentlich nie an?

Ich, meine Herren, spreche ganz bewusst von „uns“. Keineswegs will ich damit nur von meinen eigenen Wünschen ablenken. Nein, ich habe Sie beobachtet: Sie lächeln nicht nur mich nicht an. Sie lächeln überhaupt nicht. Entweder starren Sie auf Ihr iPhone, als würde am großen Klettergerüst da hinten erhängt, wer das für fünf Minuten einmal sein lässt. Oder Sie starren abwechselnd glasig ins Nichts und auf Ihre Kinder, als ob Sie nicht wüssten, dass nirgendwo mehr als auf Spielplätzen gilt: Andere Kinder haben auch schöne Mütter.

Natürlich wissen Sie so gut wie ich, dass auf ein Lächeln vielleicht ein paar nette Worte folgen, aus ein paar netten Worten aber keineswegs eine Telephonnummer, ein Treffen oder ein ganzer Abend werden wird. Da ist, wie man so sagt, der biographische Moment schlicht nicht ganz richtig. Vor fünf Jahren vielleicht, nun, und ich manchen Fällen auch in weiteren fünf. Doch auch vor fünf, zehn, 15 Jahren wurde, wie man so sagt, meist nichts draus, und Sie haben doch auch damals …?

Ich jedenfalls kann nur an Sie appellieren: Lächeln Sie. Zwinkern Sie, wenn Sie gern zwinkern. Machen Sie, wenn man sich so ein bisschen kennt, auch einmal ein paar Komplimente. Schöne Augen, Kleider, was auch immer. Was Ihnen halt so auffällt. Seien Sie dabei sicher, dass Sie ein gutes Werk von Graden tun, denn wer, frage ich Sie, bedürfte mehr ein paar netter Gesten als die jungen Mütter in ihrer praktischen Spielplatzkleidung, die heute Abend – ganz wie Sie auch – in Jeans und einem alten T-Shirt auf dem Sofa sitzen werden, und gar zu selten einmal ausgehen können, um sich andernorts ein paar Komplimente abzuholen, ohne die es, halten zu Gnaden, doch leider so schrecklich schlecht geht.

Laterne, Laterne

Entschuldigung, ringe ich nach Luft und schiele auf die Uhr. Es ist 15.17 Uhr, und ich habe die Strecke vom Büro zur Kita in 7 Minuten geschafft. Persönlicher Rekord. „Hier ist noch Platz!“, rudert eine andere Mutter mir zu, und ich lasse mich auf eins der Stühlchen fallen. Ein Laternenboden und ein Deckel wird mir zugereicht, in Bechern stehen Scheren, Kleber in Schüsseln und dann geht es los. Transparentes Papier, Tonkarton, irgendwelches Bastelzeug. Den Laternenstab habe ich schon, die sind nämlich heute batteriebetrieben und aus Plastik. Zumindest bei den Kleinen.

Vorsichtig schiele ich nach rechts und links. Mit heiligem Ernst bekleben ausschließlich Frauen zwischen 30 und 45 Papier mit farbigen Förmchen, halten Scherenschnitte gegens Licht und fingern in kleinen Tütchen nach Sternen aus Stanniol. Manche lassen die Böden und Deckel auch ganz beiseite und gestalten frei. Man bastelt auf hohem Niveau. Leicht betreten schaue ich die künftige Laterne des F. an.

Macht nichts, rede ich mir ein, als die anderen Kürbisse, Schnecken und Fledermäuse ausschneiden und Laternen herstellen, die genau richtig selbstgemacht wirken und nicht nur wie eilig hingehauen. Der F. wird’s nicht merken. Der F. ist erst eins, und allein der Umstand, dass Mama überhaupt mit ihm und ganz vielen anderen Kindern und Müttern durch den abendlichen Prenzlberg zieht, reicht wahrscheinlich aus, aus einem normalen Tag einen tollen Tag zu machen, an dem man noch viel mehr als sonst lacht und tanzt und Leute umarmt.

Meine Laterne sehe „pragmatisch“ aus, sagt am Ende eine andere Mutter und ich stelle das leicht zerknitterte und insgesamt auch eher sparsam beklebte Machwerk leicht betreten behutsam in eine Ecke. Eine Bastelmutter werde ich wohl nicht, resümiere ich und überlege schon mal, ab wann man ohne Gesichtsverlust auf gekaufte Produkte umsteigen kann. Dann aber hole ich den F. aus dem Garten, breite die Arme weit, weit aus, und wirbele den kleinen Kerl durch die warme Oktoberluft und laufe nach Hause. Ich muss noch arbeiten. Der Tag ist noch nicht vorbei.

Morgens um neun

Jetzt absteigen, raschelt unter meinen Rädern das Laub. Jetzt das Rad an den Zaun stellen, die Pumps in den Fahrradkorb werfen, fort mit der Strumpfhose und mit nackten Füßen in Berge von Blättern und über das Gras. In der Sonne sitzen: Schwarze Schatten und goldenes Licht.

Heute Abend ein Wein, denke ich mir und schätze die Stunden. Flammkuchen, wollene Socken, Bücher und das tanzende, singende Kind. Meine schnurrende Katze. Jetzt aber steige ich auf und nehme nichts mit durch den Tag als eine einzige runde, warme Kastanie.

 

Fatum

Er habe, sagt der J.2, jüngst die V. wiedergetroffen, und ich nicke. Mit der V. sind wir einst – lang, lang ist’s her – gemeinsam zur Schule gegangen, irgendwann in den Neunzigern in einer ziemlich kleinen Stadt. „Was macht sie jetzt?“, frage ich den J.2, und dann jagen wir unsere Kinder von zwei großen, gefährlichen Hunden weg und sprechen zehn Minuten überhaupt nicht.

„Gar nichts.“, sagt der J. ein wenig atemlos, als die Kinder wieder brav geradeaus laufen, und ich nicke. Ich habe nichts anderes erwartet, bedeutet das. Die V. war nämlich schon immer vorwiegend im Nichtstun ganz besonders gut, und alles andere konnte sie eher so lala. Mathe etwa. Oder Latein. Und Deutsch, ach: Eigentlich alles. Nur in Sport war sie passabel.

So ziemlich jeder mochte, glaube ich, damals die V. Besonders die Jungen. Die V. war nämlich nicht nur hübsch, also so auf eine geschmackvolle hellbraun-pagenkopfhafte Weise. Sie galt auch als sanft, als still, als freundlich und als gute Zuhörerin, und so saß sie auf jeder Party irgendwo herum, die irgendjemand im Jahrgang gab, und lächelte ruhig und etwas somnambul vor sich hin. Ich sehe sie vor mir auf unserem Abiball in einem elfenbeinfarbenen Kleid mit Perlenstickerei am Hals, wie sie den ganzen Abend mit dem M. tanzte, der heute in den USA über die Gewerkschaftsbewegung in den Zwanzigern forscht. Sie strahlte den ganzen Abend und am Samstag drauf zog sie nach München, weil da der M. damals studierte.

Ich mochte die V. nicht so besonders, und zwar aus schierem Neid. Ich hätte mir nämlich damals ohne groß zu überlegen den kleinen Finger abgehackt, um einen ähnlichen Popularitätsgrad zu erlangen, wie ihn die V. einfach so und ohne irgendetwas dafür zu tun besaß. Ich dagegen hatte so ungefähr drei Freunde, und der Rest des Jahrgangs lud mich nur als eine Art Zubehör meiner besten Freundin N. ein, ohne die eine Party nicht vollständig gewesen wäre. Ich lästere nur deswegen nicht über die V., weil mir schon klar war, dass jegliche üble Nachrede allein mir und nicht der V. zum Nachteil gereichen würde.

Nach dem Abitur sah ich die V. nicht wieder. Ich hörte zwar irgendwann, dass sie nach Berlin gezogen war, auch, dass sie geheiratet hatte. Dass ihr Mann Amerikaner war, beruflich ziemlich erfolgreich. Dass sie ihr Studium erst auf Eis gelegt und dann abgebrochen hatte. Dass sie zwei Kinder bekam, einen Buben und ein Mädchen. In dieser Reihenfolge. Dass sie erst in Prenzlberg wohnte, und dann in Pankow ein Haus bezog. Gearbeitet hat sie, glaube ich, nie.

Eine großartige Gastgeberin sei sie, hörte ich, eine fabelhafte Köchin, und zuletzt im letzten Herbst  postete irgendwer von den ganz alten Freunden ein Bild auf facebook, stimmungsvoll unscharf, wo sie in einem weißen Etuikleid inmitten einer Gruppe von Leuten auf einer Veranda stand, ein Glas in der Hand. Ich glaube, sie lachte.

Es gehe ihr nicht gut, sagt der J.2 mir heute, und ich schaue auf. Dass es der V. einmal nicht gut gehen würde, scheint mir regelwidrig, irgendwie falsch. Die V. suche derzeit nach einem Job, fährt der J.2 fort, und ich schüttele den Kopf. Was sie denn machen wolle, frage ich den J.2, und er zuckt ratlos mit den Schultern. Sie könne ja nichts, die V., meint er, und dann murmelt er irgendetwas von Boutiquen oder Büros, die eine Dame fürs Protokoll oder so brauchen.

Nur noch zwei Jahre bleiben der V., höre ich, dann liefe der Unterhalt aus. Denn es ist heute so, dass eine geschiedene Frau – und eine solche, höre ich, sei seit kurzem die V. – nur noch Unterhalt bekommt, wenn die Kinder klein seien. Das treffe auf die Kinder der V. aber nicht mehr zu. Überdies sei es wohl so, dass der Bub wieder zurück in das Haus in Pankow wolle, wo nun der Exmann der V. mit seiner neuen Freundin wohne, die demnächst wohl seine zweite Frau sein werde, und dann werde der Unterhalt noch geringer. Der Exmann der V. habe ihr zwar das Ferienhaus der Familie gelassen. Das aber sei irgendwo im Spreewald und damit nichts für immer.

„Oje.“, sage ich und tatsächlich tut mir die V. leid. Wir sind 38, da findet sich vielleicht auch nicht so ganz einfach ein neuer Mann, der die Versorgung auf dem gewohntem Niveau übernimmt. Und auch ein neues Studium, ein neuer Beruf, ist mit 38 nicht mehr so leicht wie mit 28, zumal, wenn man nicht zu den Leuten gehört, denen Lernen überhaupt noch nie so besonders leicht gefallen ist. Vielleicht wird es der V., überlege ich mir, in Zukunft nie wieder so gut gehen wie bisher, und als ich darüber nachdenke, was das wohl bedeutet, im Volkspark auf dem Weg nach Hause, empöre ich mich dann doch ein bisschen, weil das Ganze mir auf einmal ungerecht erscheint, die kleine Wohnung in Moabit oder so, die ungewohnte Sparsamkeit. Selbst zu putzen, Überweisungen von zu Hause und Verabredungen absagen, weil das Geld nicht mehr reicht für die gewohnten Lokale.

Wieso ungerecht, frage ich mich dann, auf dem Weg die Hufelandstraße hinab nach Hause, und finde keine Antwort. Mit Leistung oder Verdienst hat das doch nichts zu tun. Nur damit, taste ich mich vor, dass es vielleicht doch ein Los gibt, das uns allen fallen soll, und das für die V. etwas anderes vorzusehen schien als das, was nun vielleicht folgt.

(Aber vielleicht ist das alles Käse.)

Sprich nicht von Eule!

Um acht klingelte der Wecker. Um viertel nach acht schreckte ich hoch, um halb neun war ich geduscht. Zwischen halb neun und neun stopfte ich alles, was noch im Badezimmer war, in unsere Kulturbeutel, fütterte den ziemlich verschlafenen F. schnell mit Milch und Brioche, während der J. das Reisebett zusammenklappte, und dann klingelte die Vermieterin. Ein paar Höflichkeiten, die Kaution, Versicherungen unserer Wiederkehr, dann bestellte ihr Sohn uns ein Taxi, und wir fuhren ab, von Menton nach Nizza. Links von uns glänzte und glitzerte sehr blau das Meer. Über den Lufthansaflug will ich schweigen.

In Tegel schnarrte dann das Handy. „You forgot an owl cushion.“, schrieb die Vermieterin, und erschrocken zeigte ich die SMS wortlos dem J. Der blies ratlos die Backen auf. Au Backe: Eule. Wir hatten Eule vergessen. Ausgerechnet Eule, das Einzelstück. Ein Patchworkkissen. Die Prämie aus der fabelhaften buchbox, die es für fünf volle Stempelkarten gab, jede Stempelkarte wiederum für 100 Euro Einkäufe, die inzwischen ziemlich schnell zusammenkommen, weil wir seit der Geburt des F. viel Zeit zu Hause verbringen und lesen, was immerhin zumindest aufkommensneutral ist, weil wir dafür weniger Geld für Nachtleben verschwenden.

„Can you send it to Berlin?“, flehte ich die Vermieterin an. Sie werde uns Eule heute noch schicken, versprach diese, und ich bedankte mich so überschwenglich, wie es gerade noch in eine SMS passt. Dann bestiegen wir ein Taxi, fuhren heim und erwähnten Eule mit keinem Wort. Als der F. abends nach Eule fragte, versicherte ich ihm nur, sie sei noch in Urlaub. Eulen bräuchten nämlich mehr Urlaub als Rechtsanwälte, und deswegen kehre Eule erst nächste Woche oder so von der Côte d’Azur wieder heim. Als der F. auch ohne Eule irgendwann einschlief, fiel ich vor Dankbarkeit und Erleichterung fast auf die Knie. Ich hatte mich schon zehn Nächte oder mehr – abhängig von der französischen Post – mit einem verzweifelt weinenden F. im Elternbett gesehen.

Leider hielt des F. Gelassenheit nur bedingt an. Im Tierpark am 3. Oktober etwa verzog sich vor einem Gehege sein Gesicht zu einer jämmerlichen Grimasse. „Eule!“, hing auf einmal eine Träne an der linken Backe. Auch bei Durchsicht mancher Bücher erinnerte er sich bisweilen an das vermisste Tier und begann ein wenig zu jammern. Ich nahm die Bücher dann immer schnell weg oder blätterte um. Selbst zu Besuch bei den Eltern des J. gestern und heute erinnerte er sich auf einmal an Eule, als nämlich eine kleine Ton- und Stroheule auf einmal im Bücherregal auftauchte, die ich dann schnell hinter eine Bücherreihe stellen musste.

Am Freitag endlich fand der J. ein Benachrichtigungszettelchen von DHL im Briefkasten vor. Ein Paket sei bei den Nachbarn abgegeben worden. Ich habe nun ausnahmsweise einmal nichts bestellt. Es kann eigentlich nur Eule sein. Dann aber die Ernüchterung: Die Nachbarn sind in Urlaub. Das Paket liegt aber freundlicherweise jetzt bei anderen Nachbarn, die hoffentlich nicht ebenfalls in Urlaub, sondern nur heute abend zufällig nicht da sind, und mir morgen Eule in die Hand drücken. Im nächsten Urlaub tackere ich sie da vielleicht am besten fest.