Irgendwann zwischen meinem 12. und meinem 20. Lebensjahr habe ich eine halbe Stunde verloren. Vielleicht war´s der Tag, an dem ich stundenlang an einer Bushaltestelle stand, durchweicht und frierend, und auf jemanden wartete, der just an diesem Tag von seinem Vater am Clubhaus abgeholt worden war. Oder der Tag, an dem ich die letzte rettende Matheklausur verschlief, die mich vorm „mangelhaft“ hätte retten sollen. Ich bin dann doch nicht sitzengeblieben, aber das ist eine andere Geschichte.
Die habe Stunde habe ich nicht mehr aufgeholt.
Bin ich um 20.00 Uhr verabredet, wird es halb neun. Ich stelle mir die Uhr auf den Schreibtisch, ich kann mir sogar einen Wecker stellen. Wenn ich eine halbe Stunde vor dem verabredeten Zeitpunkt aufbrechen möchte, klingelt das Telephon und einer Freundin geht´s dreckig. Wer hätte das Herz…. Meine Strumpfhosen haben immer Laufmaschen, ich schmiere mir Make-Up auf´s Oberteil, und habe ich es ins Treppenhaus geschafft, steht mein netter Nachbar auf dem Absatz. Die U-Bahn ist gerade weg, die Taxen sind voll, und eine halbe Stunde nach dem verabredeten Termin stehe ich atemlos in der Tür.
Schlimm war das Jahr, als ich nach Berlin zog. Alles schien nah, alles war eine Dreiviertelstunde entfernt, und für ein paar Monate wurde aus der halben eine ganze Stunde.
Die halbe Stunde hängt mir nach. Bin ich eine halbe Stunden zu spät am Marheinekenplatz, um beim M. Tee zu trinken, so kann ich nicht nach einer knappen Stunde aufbrechen, denn ich bin ja kaum angekommen. Dann sitze ich also beim M. auf dem Sofa, trinke Tee und bin viel zu spät in der Pasteurstraße, wo die C. schon wartet. Aber der C. habe ich schon seit Wochen versprochen, ihr beim Formatieren ihrer Diss zu helfen. Dann schlägt die Absatzkontrolle Kapriolen, die Fußnoten stehen auf der falschen Seite, und die halbe Stunde steht auf meinem Zeitkonto wieder rot und dick im Minus.
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