„Etwas wirklich Ernsthaftes haben Sie also nicht?“, die Ärztin schaut mich streng an. Ich rutsche ihr gegenüber auf der Plastiksitzfläche des Stuhles ein wenig umher. Angesichts der Massen schniefender, Tröpfcheninfektionen versprühender Patienten im Wartezimmer hatte mich diese Idee zwar auch schon beschlichen. Indes – wäre nichts, wäre ich nicht hier, und so packe ich den Stier bei den Hörnern.
„Sehen Sie,“, sage ich der ungefähr sechzigjährigen Ärztin, „es ist jetzt nicht so akut. Halt etwas Herzklopfen, Händezittern in den Morgenstunden, ein gelegentlich nervöser Magen und hin und wieder Schlafstörungen. Das hält nun schon einige Wochen an, beeinträchtigt mein Wohlbefinden in gewisser Weise schon, und da dachte ich…“ – Die Ärztin schaut noch strenger.
„Nehmen Sie Drogen?“, ich schüttele den Kopf. Alkohol? – Mäßig. Dafür rauche ich. Die Ärztin schnaubt. Wann ich zu Bett gehe? Was ich beruflich tue? Habe ich Kinder?
Die Darlegung meiner persönlichen Verhältnisse scheint die Ärztin nicht zufriedenzustellen. Etwas unbehaglich rutsche ich hin und her. Die Ärztin hält ein flammendes Plädoyer für einen geregelten Tagesablauf, regelmäßige und maßvolle Mahlzeiten im Abstand von jeweils wenigen Stunden, nächtliches Schlafen und Nikotinabstinenz. Hinter ihr im Spanplattenregal stehen die Miniaturen der Wirbelsäule früherer Opfer als Trophäen und Warnung nebeneinander.
„Die Schwester wird jetzt ein EKG mit Ihnen machen.“, bescheidet mich die Ärztin.
Nach dem EKG sitze ich stundenlang im Wartezimmer auf einer ungeschlachten Couch und blättere in den ausliegenden Zeitschriften. Mein mitgebrachtes Buch habe ich lange durch, draußen dunkelt es, und nach und nach leert sich das Wartezimmer, bis schließlich auch ich erneut in die Ordination gerufen werde.
„Frau Modeste,“ verkündet mir die Medizinerin, „Ihr EKG ist völlig in Ordnung. Sie haben nichts. Suchen Sie sich eine vernünftige Beschäftigung und schlafen Sie regelmäßig.“ Die Ärztin streckt mir die Hand über ihren Schreibtisch hinweg entgegen und verabschiedet mich. „Machen Sie die Tür hinter sich zu.“, ruft mir die Ärztin auf dem langen Weg zur Tür noch hinterher.
duSIE arme! 😉REPLY:
Da weht mich doch ein leiser Hauch von Ironie an? Frau Engel – wären Sie nicht zum Arzt gegangen mit diesen Beschwerden? Und wenn ja – zu welchem?
REPLY:
Ach, dieses ewige Hin und Her. Ständig versieze ich mich, oder duze, um zurückgesiezt zu werden. Ich werd noch eine Hausordnung hier aushängen müssen, dann duze ich alle, außer blöden und schlimmen Kommentatoren. Liebe Frau Engel, Du wärst doch auch zum Arzt gegangen, oder?
REPLY:
ironie? aber nicht doch. ist es nicht fürchterlich tragisch für hypochonder NICHT krank zu sein?
nein, ich gehe vorsorglich besser nicht mehr zum arzt, ich wüßte in berlin auch gar nicht zu welchem. da höre ich ohnehin immer nur, daß ich mich sportlich zu betätigen hätte.
REPLY:
Ich weiß noch nicht ganz, was er taugt, aber unweit der Volksbühne ist mein neuer Hausarzt: eine recht interessante Kombination aus gründlich und schräg unterwegs.
[Hausarzt – ein weiterer Schritt zu meiner vollständigen Sozialisation als Berliner. Da ich heute mein Telefon bekommen habe, fehlen mir nur noch:
– Der obligatorische Gang zum Finanzamt
– Der Sex mit einer Residentin
– Die Aufnahme von „Jutii!“ in mein Alltagsvokabular.
Er sagt übrigens auch „Jutii!“ Das nur nebenbei.]
REPLY:
Bei ernsthaften Problemen begebe ich mich ja ambulant ins Hedwig-Krankenhaus in der Hamburger Straße, denen wollte ich aber mit Beschwerden dieser doch etwas untergeordneten Art nicht ins Haus fallen. Außerdem fühle ich mich nur bei Ärztinnen wohl, in der Hinsicht habe ich einen Schaden.
REPLY:
Warum Schaden? Ist doch nachvollziehbar.
REPLY:
Ich lasse mich auch lieber von Ärztinnen behandeln. Ist doch klar.
REPLY:
Herr Sebas, Sie werden staunen- aber das wundert mich jetzt irgendwie nicht. Verfügen Sie denn vielleicht auch über eine sicherlich reizende und dazu in Berlin ansässige Allgemeinärztin? „Jutiii“ muss sie aber nicht sagen, ich wäre sogar ganz dankbar, wäre dies nicht unbedingt der Fall. Auch ein gebelltes „Wah!“, am Satzende zerstört in aller Regel mein ohnehin unterentwickeltes Vertrauen in die ärztliche Heilkunst.l
REPLY:
Überzeugt! Das „Jutii“ lasse ich aus. (Hatte ich ohnehin vor.)
Jutii
Ich muss dringend mal wieder nach Berlin. Aber zu mir hat dort noch nie jemand „Jutii“ gesagt. Sind aber auch alles Zugewanderte. Die wissen sicherlich genauso wenig, was „Jutii“ bedeutet.
REPLY:
der tollste hausarzt, den ich je hatte
ist in der seelowerstr. 4 , heißt dr. pilgrim und hat die telefonnummer 030 / 44 66 990. seit dem ich nicht mehr in b. wohne, streite ich mit allen ärzten, weil niemand an dr. pilgrim heranreichen kann. hingehen!
mein liebster abschied in berlin „schüssi, juti und bis danni!