Als Kind, das ist lange her, hatte ich einige Nächte lang Alpträume, wenn der geteilte Säugling in meinen Träumen erschien. Die für den Tag hinreichende Erinnerung an den weisen König Salomon, dessen Klugheit es zu verdanken war, dass die Richtige das Kind mit nach Hause nehmen durfte, versagte vor der Grauenhaftigkeit der klaffenden, offenen Wunde. Übrigens schrie das Kind in meinen Träumen. Das war bei Licht besehen nicht gut möglich, bei Licht besehen war das Kind ja aber auch ganz geblieben.
Mag sich diese Geschichte auch vor jedem Familienrichter tausendfach wiederholen, wie man sagt, – in meiner menschlichen Umgebung ereignet sich regelgerecht und wie immer nur die Farce:
Die ehemalige Berliner Rechtsreferendarin N., eine gute und leider zu selten angerufene Bekannte, lernte vor Jahren während eines Semesters an der DHV Speyer einen anderen Referendar kennen. Dieser stammte aus Trier, ein pausbäckiger, freundlicher Mann, der nach bestandenem Examen ein Amtsrichter wurde, gleichfalls in Rheinland-Pfalz. Für jenen äußerst heimatverbundenen Herrn galt, dass extra Augustam Treverorum nullum est vita, und so lebten meine Bekannte und ihr Gefährte einige Jahre glücklich in dieser Region, die ich mir als sehr geeignet für junge Familien und Menschen mit erhöhtem Ruhebedarf vorstelle.
Ob es an der Pfalz lag oder am Gefährten, irgendwann wurde es der N. öde, und man begann sich zu streiten. Die N. fuhr immer öfter nach Berlin, und als in einer befreundeten Kanzlei ein Schreibtisch verwaiste, unterschrieb N. schnell einen Arbeitsvertrag. Sie begann in Schöneberg zu arbeiten, trieb allerlei Allotria in den Bars von Berlin, und schließlich trennte man sich unter Umständen, über die ich mich hier gar nicht weiter äußern möchte. – Die Wohnsitze und Besitztümer waren unproblematisch, den Hund behielt der Pfälzer mit Garten, und am Ende blieb nur ein Problem: Wutz. Der braune Plüschbär vom Schützenfest. Wahrzeichen und Symbol der Liebe.
Als die N. den Bär einfach in ihre Kartons packen wollte, war der Gefährte dazwischen gegangen. Sie möge ihm doch den Bär lassen, als Erinnerung an das verlorene Glück. Er habe ihn ihr geschenkt, erinnerte N. den Gefährten an die Herkunft des synthetischen Ungetüms mit dem viel zu großen Kopf. Einer unstreitigen Handschenkung hat ein Amtsrichter nicht viel entgegenzusetzen, mit der Kraft des verwundeten Herzens klammerte sich der Gefährte aber trotzdem an den Bär. Schließlich ließ N. ihm das Plüschvieh.
„Weißt du,“, sagte mir die N. beim Wein vor ein paar Wochen. „Im Grunde bin ich doch blöd, dem G. den Bär zu lassen.“ Ich aber riet ab von weiteren Kämpfen, der T. bezeichnete die ganze Geschichte mit dem Bär als schlichten sentimentalen Blödsinn, den er sich keine Minute länger anhören würde, und so schwieg die N. und betrieb die Heimholung des Bären fortan hinter unserem Rücken.
Juristen können fürchterlich kaltschnäuzig sein. Die N. rief einmal an, zweimal an, und dann schickte sie dem G. einen Brief mit der Aufforderung zur Herausgabe des Bären auf dem Postweg auf ihre Kosten und unverzüglich. Ob die Drohung, ansonsten gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, auch in dem Brief stand, entzieht sich meiner Kenntnis. Eine Fristsetzung jedoch muss enthalten sein, denn einen Tag nach Fristablauf rief mich die schäumende N. an.
Ich verlasse meine unmittelbare Umgebung zwar generell nur ungern, die Sensationsgier jedoch gehört zu den wenigen Impulsen, die mich bis zum Wittenbergplatz treiben können. Und so brach ich auf. Dort, in der Wohnung der N., in einem gelben Postpaket, lag der halbe Bär. Die weiße Füllung quoll aus der Mitte, der braune synthetische Plüsch hatte jede Fasson verloren, und ebenso wütend wie nach Rache geifernd stand die N. neben dem geöffneten Paket. „Der kann was erleben!“, sprach die N. Man darf also gespannt sein.
Der T. ist ein vernünftiger Mensch.
deine geschichten werden immer besser. toll geschrieben! hut ab!
Die meisten anderen Aufschneider…
…verteilen ja gern das Fell des Bären, bevor sie ihn erlegt haben. Insofern ist dem unglücklichen G., wenn nicht Verständnis entgegenzubringen, so doch zumindest ob seiner Stringenz Respekt zu zollen!