Einer der vielen Gründe, wieso mein Leben mit in an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überhaupt nie verfilmt werden wird, besteht in der Tatsache, dass meine Existenz ganz genau so jugendfrei ist wie Bambi oder Dokumentationen über Zahntechnik im 19. Jahrhundert. Sowas will keiner sehen und auch ichhabe selten Grund, diesen Zustand zu begrüßen. Meiner lieben Freundin J. jedoch verdanke ich erst in der letzten Nacht eine eingehende und unter die Haut gehende Erzählung über das, was passieren kann, wenn man versucht, diesen Zustand zu verändern.
„SCHLÄFST DU SCHON?“, brummt mein Telephon in den sehr frühen Morgenstunden, und wer den Ruf des Nebelhorns jemals vernommen hat, weiß, dass spätestens die Anfrage den erwünschten Zustand der Aktivität herstellen wird. Auf mein Lebenszeichen hin fährt wenig später J.´s Wagen krachend über den Gehsteig.
Vor so circa zwei Wochen, J. und ich feierten irgendwo in Mitte das deutsche Filmkunstschaffen, lernte die J. auf dem Weg zu den Waschräumen einen jungen Mann kennen. Man unterhielt sich, soweit möglich, der fünfundzwanzigjährige für meinen Geschmack etwas zu Berlin Style geschleckte Knabe offenbarte Profession (Regieassistenz) und Herkunft (Offenbach), man fand sich sympathisch, und verabredete sich wenige Tage später. Ob sodann die Drei-Tage-Regel eingehalten wurde, weiß ich nicht, jedenfalls fand ein weiteres Treffen gestern abend statt.
Ob die J. den Knaben mit ihrer Kochkunst bezaubern wollte, oder nur einen weiteren Zug durch die Clubs der Stadt in Ansehung des heutigen Arbeitstages für zu anstrengend erachtete – gegen acht Uhr am Abend erschien der Junge bei ihr, sie rührte, raspelte, deckte den Tisch mit Blumen und Kerzen, und man aß. Beim Wein auf dem Sofa kam man sich näher, ein Kuss auf die Ohren, ein Küsschen auf den Hals, ein zwangloser Wechsel des Standortes, und schließlich standen sich die Beteiligten unbekleidet gegenüber.
„Und dann?“, frage ich. „Was ist schiefgelaufen?“ J. starrt in ihre Teetasse. Während ich in ihrem Rücken nach weiterem Gebäck suche, fängt die J. erst ziemlich schrill an zu lachen, und fährt mit ihrem Bericht fort.
Der Knabe habe sie, so die J., umrundet, getätschelt, in einzelne Gliedmaßen gekniffen und sogar ein bißchen an den Haaren gezupft. In horizontaler Position angekommen, habe er mit der Hand über ihre Rückseite gestreichelt, nicht unangenehm, dann sei seine Hand jedoch auf Höhe ihrer Oberschenkel hängengeblieben, und er sprach die vernichtenden Worte: „Ganz schöne Krater hier.“
Die J. ist im Großen und Ganzen nicht unattraktiv, wie nicht wenige Frauen sind ihre Hüften und Oberschenkel aber leider deutlich dicker als alle entsprechenden Gliedmaßen, die die Vogue einer Abbildung für würdig befindet. „Modeste, ich habe mich gefühlt wie die Venus von Willendorf.“, die J. lacht immer noch in dieser alarmierend schrillen Tonlage.
„Ich dachte, Männer bemerken Cellulite gar nicht?“, sage ich, und schenke Tee nach. „Auch nur so eine gnädige Lüge.“, befindet J. Der Knabe habe, berichtet sie weiter, auf ihre Nachfrage, ob ihn das nachlassende Bindegewebe störe, entschuldigend geantwortet, wir hätten ja alle unsere kleinen Makel und Fehler. Während seiner schonungsvollen Ausführungen über innere Werte habe er allerdings fortgefahren, mit der Hand Bauch und Schenkel der J. zu inspizieren.
Schließlich, die Stimmung sei ohnehin zu Teufel gewesen, sei sie aufgestanden. Eine ganze Weile habe sie im Bad gesessen, geraucht, und als sie ins Schlafzimmer zurückgekommen sei, habe der Knabe auf ihrem Bett gelegen und in einer älteren „brand 1“ Ausgabe geblättert. „Das liest du?“, frage ich leicht verwundert. „Ich krieg´ die kostenlos.“, rechtfertigt sich J., und berichtet von dem erfolgreichen sanften Rauswurf.
In der Tür habe der Knabe ihr noch einen Kuss aufgedrückt und versichert, demnächst einmal anzurufen. „Dem hätte ich die Augen ausgekratzt.“, sage ich. „Davon findet der mich auch nicht schöner.“, antwortet die J.
Zu mir hat mal ein junger Mann gesagt, ich hätte dünne Haare. Ich war gerade dabei, vor ihm auf die Knie zu gehen; wir haben es dann gelassen.
Im Nachhinein denke ich, daß es gar nicht um meine Haare ging. Es ging um folgendes:
– der junge Mann wollte nicht mit mir schlafen. Das hatte nichts mit meinem Körper zu tun, sondern damit, daß er nicht in mich verliebt war (sondern, wie sich später herausstellte, in eine andere.)
– bewußt oder unbewußt hat er gespürt, daß er aus der Situation herauskommt, wenn er eine abfällige Äußerung macht. Das ist zwar nicht die feine englische Art, aber für einen damals Zwamzigjährigen sicher einfacher als zu sagen: „nein danke, ich möchte keinen Blowjob; ich finde dich zwar nett, aber bin leider nicht in dich verliebt.“
– außerdem scheint er sich sehr unsicher gefühlt zu haben. Manche Menschen versuchen, sich selbst aufzuwerten, indem sie andere herabwürdigen.
Kürzlich habe ich einen klugen Satz gehört: Attraktivität wird nicht (nur) über den Körper vermittelt.
Ich denke, da ist was dran.
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Manchmal frage ich mich, ob diese psychologisierenden Betrachtungen, mit denen wir alle versuchen, uns die Wirklichkeit erträglich zu machen, überhaupt greifen. Vielleicht ist es nicht so, dass der Kerl, den J. aufgegabelt hat, unsicher war oder in eine andere verliebt o. ä. – vielleicht fand er sie schlicht nicht atraktiv genug, um sie anzufassen. Vielleicht werde ich nicht deswegen nicht angesprochen, weil ich vielleicht zu arrogant oder ichweißnichtwas wirke, sondern weil die Männer an der Bar kein Interesse an mir haben und ich eben einfach nicht die schönste Frau im Cookies bin. – Vielleicht wird Attraktivität zu 80 % über den Körper vermittelt, zu 10 % über Kleidung und Schmuck und die restlichen 10 % reichen zu langen Gesprächen? Ich weiß es nicht, es könnte sein. Ich hoffe nicht.
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In den lichten Momenten greifen die psychologischen Betrachtungen.
In den dunklen beisst einen die Zurückweisung.
Die Attraktivität, die ich meine, ist nicht die, die in Clubs ersichtlich wird.
Die dunkle Überlegung lautet natürlich: wenn Attraktivität nicht über das Äußere, sondern über das Innere vermittelt wird, und niemand begehrt mich, was sagt das dann über mein Inneres aus?
In den lichten Momenten wissen wir jedoch, werte Modeste: wir wurden begehrt. Wir werden begehrt. Wir werden begehrt werden.
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Attraktivität, die man nicht in Clubs sehen kann, kann ich mir außerhalb der sehr persönlichen Bindungen schwer vorstellen. Natürlich gibt es die belle laide, aber die wirkt häufig auch nachts. Dieses Leuchten guter Freundinnen und Freunde, die man schön findet, weil man sie liebt, reicht meiner Erfahrung nach nicht in den erotischen Bereich.
In Bezug auf die innere Schönheit bin ich übrigens wesentlich radikaler: Ob der Rest der Welt mich für eine dreckige Canaille oder für einen Engel hält, ist mir gleichgültig von hier bis zum Nordkap. Blendend auszusehen würde mir völlig reichen.
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TAT TWAM ASI
Vielleicht sollten Sie zunächst herausfinden, ob es Ihnen dabei rein um das Vornehmen sexueller Handlungen geht oder darum, jemand ganz anderes sein zu wollen. Jemand, der durch seine Perfektion gefeit ist vor Verletzungen und Demütigungen, unverwundbar.
Gainsbourg hatte die schönsten Frauen seiner Zeit und war trotzdem nicht von seiner Verzweiflung und Traurigkeit zu kurieren.
Kleiner prophylaktischer Tipp: Bestätigung für etwas zu suchen, das man nicht ist, ist äußerst schmerzhaft. Genau wie dort hingeliebt zu werden, wo man sich selbst nicht lieben kann. Vermeidungsreflexe und die resultierende Frustration sind noch das gnädigste, was man sich dabei zuteil werden lassen kann.
(Aber ich fürchte, das wollen Sie gar nicht hören.)
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Im Kommentar des Herrn Booldogs stehen ein paar sehr wahre Sätze. Aber mit Ratschlägen ist das ja so eine Sache.
[Übrigens: heute morgen hab‘ ich „nearer my god to thee“ im Auto gehört. Danke für den Tipp. Leidet sich gleich viel besser.]
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Hee hee. Ich hörte gerade eben Depeche Mode, „Only When I Lose Myself.“
„Nearer My God…“ ist übrigens – natürlich – ein „Titanic“-(Film- und Reality-)Zitat.
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Jetzt „It’s No Good“.
Fehlte noch,
dass er das Skalpell zückt… Vielleicht schauen wir zuviele amerikanische Serien?
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ich: smashing punpkins covern DM mit „never let me down again“.
Auch so’n frommer Wunsch.
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Groove Armada, At The River.
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Ich nicht. Daran kann´s also nicht liegen. Vielleicht sollte man die Vogue verbieten.
Die J. gehört
wohl nicht zu den Vertreterinnen der Ausübung körperlicher Gewalt?
Ich kenne Frauen, die bei einem solchen Satz mit Krater wohl im Affekt (und das kann nicht bestraft werden) schon mal zuschlagen. Kräftig. Vielleicht auch mehrfach. Denn rein aus dieser Situation ist der Abend meist unrettbar verloren.
(Hämischer Nebensatz: Bei den aktuellen Temperaturen lohnt sich auch das Entfernen der abgelegten Kleidung durchs offene Fenster…)
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letzteres finde ich eine höchst erfreuliche idee, so hat auch noch das direkte umfeld etwas davon. (ohne artige umwege übers bloggen.)
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Auch sehr wirkungsvoll – und zweifellos rechtlich nicht zu beanstanden – stelle ich mir ja auch vor, zum verbalen Gegenschlag auszuholen und die Körperlichkeit des Gegenüber einer eingehenden Kritik zu unterziehen. Bei einem unbekleideten Mann wird da schon irgendwas sein, was sich effizient mit größtmöglicher Vernichtungswirkung einsetzen lässt.
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und selbst wenn sich auch unbekleideterweise tatsächlich absolut rein gar nichts finden lassen sollte – was ich zu bezweifeln wage – genügt es vermutlich, einfach so zu tun als ob. was zugegebenermaßen allerdings ein wenig schauspielerisches talent, bzw. trefflich kanalisierte aggression verlangt. (z. b. ‚wie, du hast da / keine / haare?‘ je nach sachlage zu variieren. oder wie wärs mit dem klassischen größenvergleich? ‚mein ex…‘ 😉 – aber gut, ich gestehe, ich bewege mich auf artfremdem terrain.)
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Für ein rein theoretisches Wissen scheint mir der Vorschlag wirklich sehr ausgereift zu sein. Vielleicht kann man demnächst noch mal eruieren, welche männlichen Körperteile da so am empfindlichsten sind. Gute Chancen haben, glaube ich, die Haare auf dem Kopf. – Überhaupt sollten wir einen Ratgeber schreiben. In der Theorie funktioniert bei mir auch immer alles prächtig.
Das wäre doch die Gelegenheit, ein ausführliches Gegengutachten zu erstellen.
Naja, der Junge wird längerfristig nicht viel Erfolg bei Frauen haben….wenn er seinen Stil beibehält.
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nun ja, rein theoretisch funktionieren männer ja vermutlich gar nicht so anders, sie benehmen sich nur seltsam unverständlich. wer weiß, vielleicht rauft sich der knabe seit gestern heimlich die haare (sic!) und denkt immerfort: was hab ich denn da schon wieder gesagt? oder er rauft und rauft, ganz ernsthaft, weil er einfach nicht begreift, was denn bloß passiert ist. der arme.
Heute dann doch mal eine Ferndiagnose 🙂 : Der hatte nicht wirklich Interesse. Der wollte von vorneherein brand1 lesen. Wer so gelangweilt erst einmal Fleischbeschau betreibt, wird nicht gerade vom eigenen regiert.
Sehr stillos, so oder so. Aber was soll man von 25-jährigen Regieassistenten in Mitte erwarten.
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Fragen
Wie viele Lieder blieben ungesungen,
wie viele Taten blieben unvollbracht,
wie viel Genüße blieben unerrungen,
wie viel Gedanken blieben ungedacht,
wie viele Sterne blieben ungesichtet,
wie viele Erden blieben unbewohnt,
wie viele Nächte blieben ungelichtet,
wie viele Wünsche blieben unbelohnt,
und wieviel Schönheit blieb mir ungeboren,
und wieviel Alc verhüllt ein Haupt,
und wie viel Ehre habe ich verloren,
seit ich getan, was mir die Welt erlaubt.
Wie viele Weiber blieben ungevögelt,
wie viele Flaschen blieben voll –
Es war genug.
So steh ich hier:
des eignen Lebens eigner Troll.