„Ich sehe auf Photos nicht so gut aus.“, sagen die Leute gern, die noch hoffen, dreidimensional im echten Leben schöner zu sein als das, was man auf Papier oder Bildschirm sehen kann. Ich, die ich weder abphotographiert noch in Spiegeln oder Fensterscheiben meinem Schönheitsideal auch nur annähernd entspreche, bin beizeiten ein wenig vorsichtig geworden, und so ist die Anzahl von aktuellen Abbildungen meiner Person eher klein. Ab und zu gerate ich auf einen Urlaubsschnappschuss, von Zeit zu Zeit brauche ich Passphotos, die visuelle Spur meiner Erscheinung ist und bleibt aber eher dünn.
Meine Abneigung gegen Kameras aller Arten hat auch die C. nicht überwinden können. „Mach´ doch mit.“, quengelt diese liebe Freundin schon seit mehreren Wochen, denn die C., die demnächst ihren dreißigsten Geburtstag begehen wird, plant die Anfertigung von kunstvoll ausgeleuchteten Abbildungen ihrer Person, professionell geschminkt und frisiert, durch eine ambitionierte Photographin, die damit wirbt, jede Frau wie einen Filmstar inszenieren zu können. „Ich bin aber kein Filmstar.“, halte ich der C. also ebenfalls seit Wochen entgegen, und auf irgendwelchen Photos grandios auszusehen, die sich sowieso keiner über´s Vertiko hängt, ist mir auch eher egal. Die einzige photographische Dauerausstellung, in der ich die Hauptrolle spiele, steht auf dem Schreibtisch meines Vaters, und dem ist es völlig gleichgültig, wie ich objektiv aussehe. C. muss sich daher wohl allein inszenieren lassen.
„Denk an das Hotelphoto aus Avignon!“, gibt die C. zu bedenken, und spielt auf eine Episode an, von der sie das eine oder andere Mal im schrillen Diskant des Leides gehört haben dürfte, damals im Sommer 2003, als ich ohne das Photo aus Frankreich zurückkehrte. Einen Moment fange ich an zu überlegen. Dann aber schickt mir die C. ein paar Referenzbilder der Photographin, und ich sage ab. Nein, diese steif lächelnden, geschleckten und gelackten Damen entsprechen nicht im mindesten jenem Bild, dass der J., damals noch mein geschätzter Gefährte, für ein paar Stunden auf seiner Kamera hatte.
Wir waren spät am Abend in Avignon angekommen, müde von stundenlangen Irrfahrten durch halb Frankreich, und die ersten beiden Hotels am Wegrand waren voll. Die Luft innerhalb des Wagens war klebrig, und die Stimmung aufs Äußerste gereizt. Vor einem etwas abgewrackten Haus mit Hotelschild hielt J. schließlich an. Entweder es gebe hier ein Bett für uns, oder er werde im Wagen schlafen, verkündete er und schickte mangels Kenntnis der Landessprache mich an die Rezeption. Sie hatten ein Bett für uns, und am Ende langer und verwinkelter Flure öffnete sich eine etwas verrottete Tür zu unserem Zimmer.
An den überhohen Wänden des Zimmers hingen, teilweise ziemlich verrutscht, altrosa Seidentapeten. In der Mitte des Raums stand die Mutter aller Betten – ach was: die Großmutter. Gottmutter aller Schlafstätten aus Eisen, mit einem außerordentlich geblümten Grandfoulard obendrauf, und der Boden war aus schmutzigem, stumpfen Marmor verfertigt. An den Seidentapeten hingen vergilbte Bilder, die die Unschuld und den Frühling in zarten Farben feierten. Es roch nach Staub.
Etwas betreten stand J. in der Tür, dachte wohl mit einiger Wehmut an das saubere Auto, und warf sich dann kurzentschlossen aufs Bett. Quietschend gab die Matratze nach.
Später, geduscht und nach Einnahme einer hervorragenden Mahlzeit, war die Welt wieder schön, wenn auch immer noch ziemlich warm. J. duschte gerade das drittemal in vier Stunden. Ich schwitzte auf dem Bett, angetan mit einem Hemd des von mir sehr geschätzten Wäscheherstellers Vive Maria, stemmte die Beine zwecks besserer Rundumbelüftung an die rosa Tapete und blies Rauchringe gegen die Decke. Ein schwerer, grüner gläserner Aschenbecher stand auf meinem Bauch.
Eingewickelt in ein lendenbedeckendes Leinenhandtuch verließ der J. das Badezimmer und setzte sich auf die Bettkante. „Gut siehst du aus.“, tätschelte er mir den Bauch, zog an meiner Zigarette und machte ein paar Tanzschritte nach rechts und links. Links vom Bett, auf einem arg beschädigten geschnitzten Tischchen lag der Photoapparat. Mit dem Photoapparat in der Hand tänzelte der J. durch das Zimmer, blickte durch den Sucher auf mich, das Bett, den Aschenbecher, und was sonst noch zu sehen war.
Ob es Absicht war oder Zufall, irgendwann geriet des J´ zarte Hand an den Auslöser, und auf dem Miniaturbildschirm auf der Kamerarückseite erschien für wenige Sekunden das perfekte Bild. „Das ist super.“, lobte ich den J. und bat sofort um Vergrößerungen. J. aber zierte sich.
„Ist mir doch egal, was die Kerle vom Photoladen denken.“, führte ich gegen die Bedenken an. Überhaupt könne man die Bilder auch sehr anonym an Rossmann schicken, wo garantiert bloß eine Maschine rattert und keine real existierenden schmierigen Photokerle sich die Bilder zeigen. Überhaupt sei die Abbildung ja nun keineswegs pronographisch.
J. ließ das Bild noch einmal, ein letztesmal auf dem Monitor erscheinen. Ich sah hervorragend aus. J. schwankte. Den Ausschlag zuungunsten des Bildes gab schließlich das Seelenheil des zum damaligen Zeitpunkt noch nicht völlig ausgeschlossenen Nachwuchses. Seine Mutter, so der J., solle niemand so zu Gesicht bekommen.
Mit Menschen, die ihre eigenen Eltern nur bekleidet kennen, ist an diesem Punkt jede weitere Diskussion vergeblich. Ich schrie, flehte und versuchte, ihm die Kamera wegzunehmen. Nichts half. „Delete YES / NO“ wurde positiv beschieden, und wir kehrten mit einer Handvoll Photographien französischer Straßenszenen zurück. Auf dem einen oder anderen Bild war ich auch abgebildet. Auf keinem Bild sah ich auch nur annähernd so aus wie auf dem Hotelbild, bloß eine braungebrannte Touristin ohne den Zauber, diesen schmutzigen Reiz, den mir der Moment, die schäbige Pracht des Hotelzimmers, geliehen hatte, und den C.´s Photographin nicht im Fundus hat.
Kommt mir irgendwie bekannt vor. Meine Milleniums-Liebste war so fotoscheu, daß sie sich sogar aus manchen Aufnahmen herausgeschnitten hat. Nur die Bilder, auf denen sie durch unvorteilhafte Licht-Schatten-Wechselwirkungen wie Stan Laurel aussah, konnten vor ihr bestehen. Merkwürdigerweise.
Danke
für diesen wundervollen Text, der viele mit ähnlichen Erlebnissen verbundene Erinnerungen wieder wach gerufen hat.
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Den Impuls kenne ich natürlich auch, allerdings gebe ich ihm meistens nicht nach. In dieser Hinsicht sind Digitalkameras die Hölle. So gut wie jedes Photo, auf dem ich nicht so aussehe, wie erwünscht, wird sofort gelöscht. Auch ein Grund für die Existenz von ziemlich wenig Bildern.
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nun hat sich ein bild von frau modeste in meinen kopf eingebrannt, auf diesem alten eisenbett mit verrutschter tapete rauch blasend, niemand kanns mehr löschen.
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Ein Kirmesfoto von uns, das ich im wahrsten Sinn des Wortes geschossen habe (lustigerweise mit dem Überraschungsmoment auf meiner Seite, da Volltreffer), mußte ich regelrecht vor ihr verstecken, da sie meinte, daß wegen eines Schattens auf ihrem Oberteil ihre Brüste ziemlich unvorteilhaft zur Geltung kämen (ich war merkwürdigerweise genau der entgegengesetzten Ansicht). Es gab von ihrer Seite mehrere Vorstöße – ohne Erfolg. Es ist neben ihrem Paßfoto von dunnemals ihre einzige Reminiszenz geblieben.
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Ich habe beim Lesen gleich mehrfach vor Schmerz aufgeschrieen, und mindestens einmal nicht wegen einer Lageveränderung meiner lädierten Rippen.