„Findest du den Flyer gut?“, fragt der Junge vom Nachbartisch, beugt sich weit über mein Teeglas und schiebt mir sein iBook entgegen. „Tja,“, sage ich, „kommt drauf an.“, und frage, welcher Art das beworbene Ereignis eigentlich sein würde. Sein Projekt, so hebt der Junge an und deutet mit einer grazilen Handbewegung zum Display, auf dem es blau und schwarz schimmert, thematisiere den Mangel an authentischen Erlebnissen im Leben des postmodernen Großstädters durch das Auftreten von Schauspielern auf Parties, die er und sein Partner in Privatwohnungen veranstalten würden. Die Schauspieler würden im Verlaufe dieser ansonsten ganz normalen Parties Szenen nachspielen, die jeder schon einmal erlebt habe, und sich dabei nicht als Schauspieler zu erkennen geben.
Auf diese Weise, schließt der Junge – nachdem er noch viel mehr gesagt hat – würden die Gäste am Ende nicht mehr wissen, was real und was Vorführung sei, und die Grenzen von Kunst und Leben würden sich in der Wahrnehmung der Gäste ins Ungefähre verschieben, wo dann alles authentisch oder alles künstlich sei.
„Oha,“, sage ich und bestelle mir am Tresen eine Bionade, während der Junge mit etwas ratlosem Interesse den Text auf dem Display meines Notebooks überfliegt. „Ist ja schwere Kost.“, meint er, als ich mit der Flasche in der Hand zu meinem Tisch zurückkehre.
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„Ich finde die kreative Energie toll, hier vibriert alles so.“, sagt die Frau vor der Weinerei und zerwühlt mit der Hand ihren Pferdeschwanz, während sie fortfährt: „Ich würde nirgendwo anders leben und arbeiten wollen. Außer vielleicht in NY, also das schon. Hier ist aber so´n Brennpunkt von Energie, da entsteht soviel Neues, Tolles, dass, wenn ich mal für ein paar Wochen woanders bin, dann merke ich das ganz deutlich, wie sich das bei mir auswirkt. Auf meine Arbeit, meine ich.“ Um uns herum sitzen ein paar Gäste träge auf den Stühlen und schauen den Fahrradfahrern auf ihrem Weg die Invalidenstraße herab zu. „Was machst du denn eigentlich genau?“, frage ich die rothaarige Frau, die ich über selbst eher entfernte Bekannte vage kenne. „Was mit Veranstaltungen.“, sagt die Frau und springt auf, eine Freundin zu begrüßen.
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Dass so gut wie jeder junge Mann, der einem auf den öffentlichen Sofas der Stadt begegnet, den großen Berlinroman schreibt, ist zumindest den Ortsansässigen nichts Neues. Erregt, denn die Sache ist wichtig, schildern die jungen Männer in allen Dialekten der Republik den geplanten Geschehensverlauf ihres opus magnum, das eigentlich immer von jungen Männern handelt, die nach Berlin kommen. Ob diese Romane ungeschrieben in den Gehirnen jener jungen Männer verrotten, oder von den Lektoraten irgendwelcher Verlage ungedruckt retourniert werden, gehört dabei zu denjenigen Umständen des Lebens, über die ich schon aus Taktgefühl wenig weiß, denn wer mag schon einen hoffnungsvollen Literatureleven fragen, was eigentlich aus seinen Romanplänen geworden ist. Einen zumindest individuellen Einblick in das Ausbleiben des großen Berlinromans verschaffte mir allerdings ein netter, pausbackiger Bekannter, der eines Nachts gestand, gar nicht angefangen zu haben.
„Weißt du,“, meinte er, mehr zu den eleganten Hängeleuchten gewandt als zu mir„wenn ich bei meinen Eltern in Garmisch bin, kann ich nicht schreiben, da fehlt mir das Flair der Stadt, da kann ich mir mein Leben in Berlin kaum vorstellen. Und wenn ich in Berlin bin, ist immer zuviel los. Da komm´ ich zu nichts.“
Top !!!
Abermals ein toll beobachtet und grandios in eine textliche Form gegossen. Es ist immer wieder ein Genuss, hier hereinzulesen.
Danke dafür.
Meine Sofa-Fundstücke „legen auf“ oder haben ein Musik-Label, von dem nie jemand gehört hat. * Gähn* Wenn sie doch wenigstens schreiben würden. Oder so tun, als ob.
REPLY:
Derartige Wünsche würden sich auf der Stelle in Luft auflösen, wenn Sie den Plänen der jungen Herren einige Male lauschen würden. Komischerweise erzählen mir immer nur Männer von ihren großen Plänen bezüglich des Aufstiegs in den Parnass der Literatur. Ein Blick auf die bei Dussmann ausliegenden Bücher belehrt aber, dass ganz im Gegenteil ein Haufen Frauen Bücher schreibt. Entweder, die schreibenden Damen sprechen einfach weniger über ihre Bücher, oder sie sprechen darüber einfach nicht zu mir.
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Scharf beobachtet, schön geschrieben.
REPLY:
Hunde, die bellen,…
beißen eben nicht. Die eine packt es eben an, der andere redet nur drüber. Marketing eben.
mitlesen
mitdenken – mitfühlen – ja ich will das ohne wenn und aber…also nicht diskutieren, gegenlesen und widersprechen.
wie soll man melancholie auch sonst begegnen, denn als mitfuehlend?
aus-einander-setzen und wett-streiten ist hier wohl fehl am platze…und verstehen sich die menschen nicht oft miss, weil sie nur wollen und doch nicht koennen.