Hochzeitsbilder

„Liebe Modeste,“ steht in der Klappkarte mit dem Brautpaar vorne drauf, „vielen Dank für die schönen Eierlöffel, die wir jeden Morgen benutzen!“ – Nichts zu danken, denke ich, und bewundere ein wenig das Brautkleid mit einem Überwurf aus elfenbeinfarbener Spitze, das geschmackvolle Diadem, und die – mir unbekannte – lächelnde Braut mit rotblonden aufgesteckten Haaren. Ich war nicht auf der Hochzeit.

„Erstklassige Feier“, berichtet der T. auf telephonische Anfrage, und hebt die Familie der Braut hervor, deren Familie schon mit Heinrich dem Löwen gen Osten ritt. Der Bräutigam habe Glück gehabt. „Wieso bist du nicht mitgekommen?“, fragt T., und berichtet, es sei nach mir gefragt worden. Der Bräutigam G. habe sich am Abend mit T. eine ganze Weile über mich unterhalten und bedauert, dass der enge Kontakt nach dem Umzug in der Oberstufe so schnell versiegt sei. Auch die N., enge Freundin sowohl des G als auch von mir, sei leider nicht dagewesen, heirate aber selbst im Herbst in Wien. „Heiratet bestimmt nicht irgendwen, die N.“, beschließt T. das Gespräch, und damit hat er wohl recht.

Damals, frisch in der Obertertia, war die N. meine lässige Nebensitzerin, ein Mädchen wie von Arno Breker in Stein gehauen, und zu ihren Füßen lag die halbe Oberstufe und winselte. Schließlich küsste sie den Schlagmann des Schulachters, um ihn noch vorm Ende des Halbjahres gegen einen athletischen Studenten auszutauschen, der nicht nur adelig war, sondern auch reich. „Du brauchst auch einen Freund.“, sagte die N. nachmittags zu mir, teetrinkend auf unserer Veranda. – Zwar teilte ich diese Auffassung der N., die Anschaffung eines Gefährten allein erwies sich insbesondere vor dem Hintergrund schwierig, dass ich, ganz für mich, mir schon einen Kandidaten ausgesucht hatte, den G. nämlich, jenen inzwischen frisch verheirateten Herrn.

Die Schritte, die Menschen unternehmen, um denen nahe zu sein, die sie verehren, haben es an sich, dass sie nur dann nicht unendlich tölpelhaft, peinlich aufdringlich und unglaublich ridikül wirken, wenn es denn letztendlich klappt, und man sich eines Tages in die Arme sinkt. Diese Erkenntnis jedoch blieb einem späteren Lebensalter vorbehalten, und so begab sich mein fünfzehnjähriges Ich in den Redaktionsraum der Schülerzeitung, um dort die Mittelstufenseite vollzuschreiben, und dem G. näherzukommen. In der Pause zerrte ich N. auf den Raucherschulhof, wo der G. herumstand, und bis heute fürchte ich, dass meine Teilnahme am Finale von „Jugend trainiert“ in gleich drei Wettkampfklassen im wesentlichen auf den Wunsch zurückzuführen war, G. zu begleiten.

Die Kalkulation, G. wenigstens kennenzulernen, ging immerhin auf. Wir gingen ins Kino, ich trank meinen ersten Gin Tonic auf seinem 18. Geburtstag, und G. versuchte mir erfolglos, Chemie beizubringen. Nachts träumte ich vom G., morgens wartete ich auf ihn im Foyer der Schule, und eines Tages fasste ich mir ein Herz, und griff nach seiner Hand. Ein paar Minuten saßen wir so da, ich umklammerte seine Finger, und schließlich zog G., seine Linke vorsichtig weg, alle Himmel stürzten ein, ich heulte eine Woche am Stück und wollte nie mehr in die Schule gehen.

Ein paar Wochen später stand der G. vor unserer Haustür, ich schöpfte neue Hoffnung, kochte eine große Kanne Tee, und erfuhr, dass sich auch G.´s Herz keineswegs auf dem freien Markt befand. Das Mädchen, dem seine Neigung gehörte, war blond, schlank und sportlich, verbrachte seine ganze Freizeit auf Pferden, und sprach so gut wie nie.

„Tja, dann –„, sagte ich, und lächelte vernichtet und ein bißchen geniert vor mich hin. G. nickte, verabschiedete sich, und ein paar Wochen später war die schweigsame Blonde seine Freundin. „Nimm´s dir doch nicht so zu Herzen.“, riet die N., und versuchte, mein Augenmerk auf andere nette Menschen zu lenken. Wer einen nicht liebe, sei einen auch nicht wert. Geradezu eine Notwendigkeit des Stolzes sei daher unverzüglich ein fester Freund, damit weder der G. und auch sonst einer bemerke, dass mir die ganze Sache ja offenbar ein wenig mehr zu Herzen gegangen sei, als man noch als vernünftig bezeichnen könne. Überdies gebe es nichts, was vor den Augen der Welt lächerlicher sei als vergebliches Hinterherlaufen.

Ich schwieg und litt also im vollen Bewusstsein, mich gerade unsterblich zum Depp zu machen, und spazierte ein paar Wochen im Winter neben einem Studenten mit Überbiss über den Weihnachtsmarkt, dessen Namen ich vergessen habe.

Mit dem Hochzeitsphoto in der Hand stehe ich ein paar Minuten am Fenster. Aus dem Hinterhof winkt mir ein Nachbar hoch, ich winke zurück, und setze mich wieder an den Schreibtisch. Irgendwo, in einer Ecke, sitzt mein fünfzehnjähriges Ich und schnieft ein bißchen vor sich hin. „Blöde Bratz´n“, sage ich zu dem kleinen Mädchen, das ich schon so lange nicht mehr bin. Das kleine Mädchen erzählt von Hochzeiten in weiß, Nächten mit dem Kopf an einer warmen Schulter und Zusammenbleiben für immer.

„Schmink´s dir ab.“, sage ich, und schicke die Kleine weg.

21 Gedanken zu „Hochzeitsbilder

  1. Eine alte Liebe, die heiratet, das wirft einem das eigene Leben vor die Füße und hat diesen Beigschmack von was hätte sein können. Wenn es dann noch eine unerfüllte Liebe war, dann tut es sicher noch mehr weh, weil einem nicht einfällt, was nervig an ihm war und was die Andere jetzt ertragen muss.

  2. REPLY:

    Ich glaube, bei einer unerfüllten Liebe ist es schlimmer.

    2001 traf ich auf einem Polterabend nach Jahren meinen grünäugigen Ex-Freund wieder, in den ich einmal sehr verliebt gewesen war, und um dem ich lange getrauert hatte. Seinerzeit hatte er in seinem jugendlichen Leichtsinn sogar häufiger das Thema Kinder erwähnt – nun war er vor wenigen Tagen gerade Vater geworden. Als wir uns so unterhielten, fand ich noch viel von dem wieder, für das ich ihn einst so gemocht hatte. Dennoch war ich froh, dass ich nicht die Mutter seines Kindes war. Manchmal trifft halt zum Glück doch zu, was Thomas Harding in Wessex Heights schrieb: Well, time cures hearts of tenderness, and now I can let her go.

  3. REPLY:

    „Was hätte sein können“, vielleicht noch gar nicht mal. Vielleicht reicht schon das Treffen mit sich selbst in einer jüngeren, offeneren und verletzlicheren – wohl auch liebenswerten – Version. Sich zu fragen, was eigentlich geworden ist aus den nun verrosteten Wünschen und Träumen. Zuzugeben, dass man die rosa Wolken nicht aus einem Zugewinn aus Erkenntnis weggeschmissen, sondern schlicht aus Mangel an Gelegenheit. Und dass nach menschlichem Ermessen da kein Brautstrauß mehr wartet und kein warmer Arm, sondern bloß eine Katze und ein Schreibtisch voller Arbeit.

  4. REPLY:

    sondern schlicht aus Mangel an Gelegenheit – damit kann man sich an trüben Abenden ganz wunderbar selbst zerfleischen, wenn man sich dann noch fragt, ob und was man eigentlich falsch gemacht hat. Denn die anderen mit dem Brautstrauß sind ja nicht unbedingt liebenswerter, schöner oder klüger als man selbst.

    Nachtrag: Mich wundert nur, dass Sie jetzt schon die Hoffungen auf einen Brautstrauß begraben – soweit ich weiß, sind Sie doch noch gar nicht in dem Alter, in dem Frauen angeblich eher einem Terroranschlag zum Opfer fallen als heiraten.

  5. REPLY:

    Liebe Modeste, ich kenne Dich nicht, aber glauben kann ich das nicht so ganz. Es gibt doch durchaus ein paar charmante Kandidaten, ich erinnere nur den schönsten Niedersachsen, der auf mich notfalls wieder áktivierbar wirkte und wo ja doch noch ein wenig Gefühl mitschwang;-) Und der Herr an der Bahn, was ist mit dem?
    Klar, jeden will man auch nicht. Ich nerve meinen Freundeskreis mit ähnlichen Orakeleien und muss mir, zu recht, anhören, dass ich immerhin so etwas wie „Durchlauf“ an Männern habe. Das gebe ich jetzt naseweis weiter.

  6. REPLY:

    Nein, leider – der Herr an der Bahn, mein geschätzter J², ist bereits seit annähernd einem Jahrzehnt als Fehlbesetzung in der Rolle des jugendlichen Liebhabers erkannt worden, und die Geschichte mit dem schönsten Niedersachsen Berlins haben wir wohl auch erfolgreich und irreparabel an die Wand gefahren. An besuch kann ich mich gar nicht erinnern, aber natürlich ist mein Besuch immer sympathisch – andere Leute lasse ich hier ja gar nicht rein.

  7. REPLY:

    Nein, rein statistisch besteht da noch Hoffnung. Darum geht es aber glaube ich, auch gar nicht. Ich bin nach Erhalt dieser Karte weniger in den „keiner will mich“-Blues verfallen, als in die „So-beziehungsunfähig- wie-ich-inzwischen-bin-klappt-das-doch-eh-nie“-Depression.

    Morgen geht´s wieder besser. da mache ich mir einen großen Zettel über den Schreibtisch: No more Jammerbloggen.

  8. REPLY:

    Ach was, die Braut ist die sehr schöne Schwester eines Kollegen, genau die Frau, die in mir alle vorhandenen Minderwertigkeitskomplexe aufreißt, aber für die Katze wird´s schon reichen.

  9. REPLY:

    Erstaunlich, mit Rotblond verbindet sich nach meiner Erfahrung nur der cretinös reduzierte Genpool britischer Aristokrüppel. Und auch in Deutschland geht damit oft ein Maultiergebiss einher.

  10. REPLY:

    Ach Modeste, ach, Du hast es geschafft: Jetzt werd´sogar ich melancholisch. @Don: Du bist gerade im Begriff, Dir, bedingt duch die Haarfarbe meiner durchaus schönen Schwester, eine Garotte zu zimmern *türkischerbrudermoduseinschalt*

  11. Geradezu eine Notwendigkeit des Stolzes sei daher unverzüglich ein fester Freund

    Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
    das hat einen Andern erwählt;
    der Andre liebt eine Andre
    und hat sich mit dieser vermählt.
    Das Mädchen nimmt aus Ärger
    den ersten besten Mann,
    der ihr in den Weg gelaufen,
    der Jüngling ist übel dran.
    Es ist eine alte Geschichte,
    doch bleibt sie immer neu;
    und wem sie just passieret,
    dem bricht das Herz entzwei.

    H. Heine „Das Buch der Lieder“
    vertont von R. Schumann
    Liederzyklus „Dichterliebe“

  12. Sei langem

    behaupte ich, dass es zwei Sorten von Frauen gibt: die, deren erste Liebe erfolgreich war, und die, die enttäuscht wurden, also vergeblich liebten. Die ersteren sind meist blond, selbstbewußt und kaum von Zweifeln geplagt.
    Die anderen trauen keinem Gefühl mehr für lange Zeit, und Lächeln ist nur für andere gemacht.Sie sind braun oder rot und mißtrauisch. Sie wissen, dass ein schlechter Start das ganze Rennen verdirbt. Irgendwann holen die einen die anderen auf, und es bleibt trotzdem unfair.
    Mein G. heißt M. , er war blond und schön und blauäugig. Vor einiger Zeit hat er mir Fotos geschickt, er ist nun mehr füllig in der Mitte und ausgedünnt oben. Langsam wird’s fair 🙂

  13. Frau Arboretum, vielleicht hat man ja gar nichts falsch gemacht. Vielleicht liegt der Fehler im System, vielleicht dreht sich die Welt zu schnell, vielleicht werden einem die an anderer Stelle mühsam erworbenen Fähigkeiten auf diesem Schlachtfeld zum Verhängnis. Vielleicht hat man ganz im Gegenteil alles richtig gemacht, und zahlt nun den Preis für etwas, was man selbstverständlich genießt, und für das Freiheit ein etwas zu pathetisches Wort wäre.

    Natürlich bin ich davon überzeugt, dass Che´s Schwester eine Schönheit darstellt. Dass rotblonde Frauen sehr, sehr gut aussehen können, geht indes schon aus dem o. a. Bild auf meinem Poststapel zweifelsfrei hervor. Diesen Typ Frau bezeichnet man landläufig, glaube ich, als „English Rose“, zart, ätherisch, Madonnengesicht. Kann man mögen.

    Und zum guten Ende:

    Frau Croco, Sie frustrieren mich. Noch nicht einmal Fehler, sondern schlichtweg mein schwarzer Haarschopf verdammen mich zu dieser reziproken Odyssee, an deren Ende nur die vielbeschworene Katze wartet? Ich werde das gute Tier Penny nennen. Und schwarz soll sie sein. Rabenschwarz. Und ein bißchen neurotisch.

  14. REPLY:

    Frau Modeste, wie alle selbstquälerischen Fragen ist auch die oben erwähnte wahrscheinlich ziemlich sinnlos. Denn womöglich gibt es da gar kein „richtig“ oder „falsch“. Und falls es Sie tröstet: Ich bin blond. Aber vielleicht nicht blond genug.

    P.S. Bei schwarzen Katzen empfehle ich „orientalische Kurzhaar“, die sind sehr unterhaltsam, da lebhaft und einfallsreich. Meine Schwester hatte mal zwei Kater von der Sorte.

  15. REPLY:

    Ach Modeste, nur der Vollständigkeit halber: Ich werde primär von
    schwarzhaarigen Frauen angezogen, und für eine Orientalin lasse
    ich jede Blondine stehen (ist jetzt etwas derbe ausgedrückt, sollte
    niemandem aus der wunderbaren Weiblichkeit gegenüber
    respektlos sein). Ein schwarzer Haarschopf soll eine Verdamnis
    sein? Da halte ich Schweißfüße oder Pickel aber für ein ganz anderes
    Übel.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie möchten einen Kommentar hinterlassen, wissen aber nicht, was sie schreiben sollen? Dann nutzen Sie den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken