„Kommst du heute nachmittag mit zur Artothek?“, frage ich die C., und weise auf die beiden leeren Wände meiner Wohnung hin, die geschmückt sein sollen. „Ich schleppe aber nicht schon wieder Riesenschinken durch die halbe Stadt.“, mahnt C., und schlägt vor, doch zumindest eine Wand mit Kunstdrucken oder Photos zu verzieren, die nicht alle drei Monate ausgetauscht würden. „Kunstdrucke will ich nicht.“, schleudere ich der C. empört entgegen und sehe mich schon zwischen fehlfarbenen Postern Van Gogh´scher Sonnenblumen und einem großen Blauen Pferd von Franz Marc ein trauriges Dasein in knallbunten ästhetischen Abgründen führen.
Einen Kunstdruck jedoch, fällt mir ein, als ich auflege – einen Kunstdruck werde ich mir doch hängen: Dix´ Bildnis der Anita Berber.
Der Druck hing schon einmal in meiner Wohnung und begrüßte meine Gäste. Aus grünen, verwesten Augen am Betrachter vorbei schauend, sehr körperlich und sehr entrückt zugleich. Die weiße Haut, die nicht von Reinheit spricht, sondern nur noch von thy pale, lost lilies der toten Liebe. Jenes Rot in Kleid, Haar und Hintergrund, dieses Rot über und über, an dem man stirbt. Traurige Enkelin der schönen Damen des Fin de siècle, die tanzend und lächelnd haarigen Feinden den Kopf abschnitten. Ein alle Konturen des Körpers nachzeichnende Sinnlichkeit, die nichts Frivoles an sich hat, nichts Lachendes, Leichtes, sondern nur den tiefen Ernst der Vergeblichkeit und die Maßlosigkeit des Untergangs.
In der gemeinsamen Wohnung mit J. verschwand Anita Berber hinter dem Schrank. J., der die saubere Damenhaftigkeit einer Audrey Hepburn schätzte, und Grace Kelly mit einem Glas weißen Weins zuprosten mochte, mochte die „fette Frau“ nicht sehen. Sehnsucht und Verfall wurden ferngehalten von der erschrockenen Seele, und irgendwann war das Bild weg und ward nicht mehr gesehen. Ab und zu erwähnte ich das verschwundene Bild, auf dem J. nichts sah als eine etwas aus der Form geratene Tänzerin, die den vitalen Elan nicht gehabt hatte, alt und wohlhabend zu werden. Käuflich sei sie gewesen, hielt J. mir vor, und hielt die Debatte für erledigt.
Erledigt hat sich irgendwann die Wohnung mit J. Die gemeinsame Zukunft rottet nun irgendwo auf dem Grund der Spree, oder in den dickflüssigen Resten in den Gläsern, wenn die Bar schließt. Die leeren Stellen in der Wohnung sind fast wieder voll, und über der weißen Kommode, auf der die Lilien stehen, wird Dix´ Anita Berber hängen, wenn ich sie wiederfinde, irgendwo.
Die angebliche „Hässlichkeit“ von Berber und Co. kann eine Erlösung vom Kitsch sein.
Dazu passt, dass in der letzten Woche bei einem Antiquitätengeschäft Zeichnung von Grosz aufgelaufen ist, ganz verloren in Silber der Gebrüder Friedländer und schweren Eichenmäbeln der 20er Jahre. da hatte wohl jemand kurz einen lichten Moment in seinem Dasein.
Voluptuöse Sinnlichkeit. Überhaupt Otto Dix! (Oder, genau, Don A., George Grosz!) Die „Ästhetik des Häßlichen“, der bizarre Reiz des Grotesken – sehr entzückend. Audrey Hepburn wäre mir viel zu klinisch.
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Grosz, fabelhaft. Überhaupt diese Künstlergeneration zwischen DaDa und Neuer Sachlichkeit, die Collagen von Hannah Höch und die Portraits von Schlichter und Schad. Interessant nicht zuletzt, dass der Glanz der Zwanziger nicht von ihren Claqueuren, sondern von ihren Kritikern auf uns gekommen ist, diese gebrochene, hypertrophe Sinnlichkeit, die Gier, der schmutzige S*ex.
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ich möchte das nicht immer sehen, ich bekäme angst auch so einen gesichtsausdruck zu bekommen.
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In meiner alten WG hingen mal Klimmts und Schwitters und Schmidt-Rottlufs
an der Wand, eine alte Freundin hat einen Letzteren im Original. Die sind
wunderschön, und das Morbid-Sinnliche hat seinen besonderen Reiz.
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Wunderschön nachempfinden lässt sich das „Augenwunder Berlin“ der Zwanziger Jahre auch beim Lesen von Georg Hermanns beiden „Doktor Herzfeld“ Romanen (zuerst erschienen 1912 und 1921, neu herausgegeben in einem Band vom Verlag „Das neue Berlin“), in denen Herzfeld durch die nächtliche Stadt Berlin flaniert. Georg Hermanns Romane sind wenig bekannt, aber sehr schön.
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Klimt ist wundervoll, ich wage es gar nicht zuzugeben, aber ich puzzle ´grad „La femme d´artiste“. Nur ist er, Klimt, nicht so farbgewaltig wie Dix. Dieses Rot … kraftvoll, energisch, düster.
Bei der „Ästethik des Häßlichen“ darf auch Toulouse-Lautrec nicht vergessen werden. Einige seiner Modelle haben sich tatsächlich empört, so häßlich seien sie doch gar nicht.
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Von Georg Hermann kenne ich ja nur Jettchen Gebert, eher ein Roman für die reifere Jugend, wenn ich mich recht entsinne. Aber wenn es sich lohnt – ich habe ja ohnehin kaum mehr etwas zu lesen, und Anregungen werden immer gern genommen.
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Frau Katze: Den Toulouse-Lautrec hatte ich mitgedacht, wenn auch nicht erwähnt.
Insofern kann ich nur zustimmen.