„Mach´s gut.“, sage ich dem einen oder anderen, lasse mich von Leuten drücken, deren Namen ich schon wieder vergessen habe, und winke ein bißchen in alle Richtungen. Zu zweit gehen wir schließlich die leere Straße hinab, vorbei an vereinsamten Fischbuden, schauen durch die Fenster einer verlassenen Werkshalle, und rütteln umsonst an der geschlossenen Tür eines Kaffeehauses mit flatternder, blau-weiß gestreiften Markise. Mein blonder Begleiter spricht ein wenig bekümmert über die Grundlagen einer neuen Ethik, streift mit der Hand ein- oder zweimal leicht über mein Haar, und erklärt mir im Vorübergehen die heimische Tier- und Pflanzenwelt. Sieht man ihn an, so schaut er kurz zur Seite, schaut dann wieder, entschlossener zurück aus runden, grünen Augen, und spricht über die Ernährungsgewohnheiten einiger Insekten, deren träge Exemplare auf den Blättern eines Strauchs über einer Parkbank ruhen. „Hier ist es ganz schön.“, sage ich, und bemerke den noch immer blühenden Flieder, die weißen Holunderdolden, und die Zurückhaltung einer Natur, die selbst den Juni in gebremsten, mageren Farben begeht. „Magst du noch bis morgen bleiben?“, fragt mein Begleiter, und schaut an mir vorbei weit hinaus auf das graue, undurchsichtige Wasser. Er spricht ein bißchen über einige nahegelegene Städtchen, die er vor einigen Jahren bereist habe, deutet in eine ungefähre Ferne, und spricht von langen Spaziergängen am Wochenende.
Am Horizont, dort, wo Grau und Weiß ineinanderfließen, sehe ich sehr klein und durchscheinend zwei Spaziergänger ruhig und gleichmäßig durch die Felder schreiten. Ich kann das Käsebrot sehen und den grünen Tee. Ich höre die ernsthaften, klugen und außerordentlich ausgewogenen Stellungnahmen meines Begleiters. Ab und an streicht der blonde, schlanke Spaziergänger meiner blassen Doppelgängerin über Haar und Nacken.
„Ich muss heim.“, sage ich, und verschweige die leere Wohnung und den ebenso leeren Terminkalender. Mag er, denke ich, sich vorstellen, was er mag. Nicht vorstellen können wird er sich den Sog der Musik aus einer offenen Bartür. Die Traurigkeit meiner überdrehten, klugen, kettenrauchenden Freundin, mit der ich den Abend verbringen möchte. Die zerborstenen Hofeinfahrten, ein halbzerfallener Engelskopf aus vom Alter geädertem Stuck. Eine warme Nacht auf einer Decke am Helmholtzplatz; dösen und dem T. zuhören, der über Helmut Berger und die perfekte Farbe der Lilien spricht. Dem J² auf einer schmierigen Parkbank die Seeräuberjenny vorsingen. Am Morgen beim J. klingeln, und über dem Tau der Bäume einen schnellen Kaffee trinken, den Schläfrigen dann wieder der Wärme des Bettes überlassen und heimgehen. Die Bässe, die die ganze Nacht den Herzschlag regeln. Die Trägheit eines Nachmittags in der Sonne vor irgendeinem Café.
Du, denke ich, während ich meine Tasche zum Bahnhof ziehe, bist nicht einmal für zwei Tage lockender als meine Stadt aus Dreck und einwärts gewachsenen Nerven. Wärst du, bedaure ich, ein wenig maßloser, ein wenig ungerechter, ein wenig bloß weniger strohblond an Leib und Seele – aber still schreitet mein Begleiter mit mir bis zur Bahn. Du langweilst mich, denke ich. Aber schade ist es schon.
So zu sein, und nicht anders.
Jene Männer, die die Sehnsucht niemals werden stillen können… Vor denen mit dem guten Herz kann man es nicht verbergen, die werden dann todunglücklich. Bei den Langweilern hingegen besteht die Gefahr, dass man aus lauter Langeweile irgendwann anfängt, sie zu ruinieren und im schlimmsten Fall auch noch sich und ihnen ungerührt dabei zusieht.
REPLY:
Die größten Dummheiten und Rohheiten begeht man vielleicht stets aus Langeweile. Oder lässt es einfach bleiben, die Dummheiten und alles andere auch.
REPLY:
Das ist sowieso das Klügste.
Some men break your heart in two,
Some men fawn and flatter,
Some men never look at you;
And that cleans up the matter.
— Dorothy Parker, Experience (1921)
REPLY:
Aber auch die Sensationen, an denen man vorbeigegangen sein mag, können bohren und quälen. Was hätte sein können, kann im eigenen Kopf die gleiche Wirkung entfalten, wie das, was man getan hat. Die ungenutzten Chancen schmerzen nicht weniger als die tatsächlichen Fehler. Nur schmerzen sie wohl nur einen selber, und das wiederum mag klug sein.
REPLY:
Die zum Herzbruch qualifizierten Kandidaten halten sich schwer in Grenzen. Und wenn mal einer auftaucht, schaut er einen nicht an, das tun dann wiederum nur die braven, blonden Kandidaten, die dem Herzen selten näher kommen.
Zeit, werte Modeste, Zeit! Geben Sie den Herren doch etwas Zeit. Manche Dinge müssen wachsen.
REPLY:
Zeit geben? Und sich einreden, dass das blasse, blonde ja irgendwie doch nicht schlechter ist als das, was man sich so erträumt? Und dann irgendwann zurückblicken und sich nicht mehr erinnern, warum man dem, was man eigentlich gar nicht wollte, so viel Zeit gegeben hat?
Das kann es wohl nicht sein.
REPLY:
Nicht die ungenutzten Chancen, sondern die ungelebte Lieben sind’s, die mich wirklich schmerzen. Von den ungenutzten Chancen habe ich die meisten ohnehin vergessen, nur an die wenigen, die es tatsächlich wert gewesen wären, denke ich zurück, und ich weiß, dass auch sie mich nicht vergessen haben. An die erinnert man sich noch, während die Chancen, die man ergriff, ohne dass sie von Bedeutung gewesen wären, sowieso keine großen Spuren im Gedächtnis hinterlassen.
REPLY:
Ich habe so genug vom geduldigen und verständnisvollen Abwarten. Und vom lauwarmen Interesse fader, blonder Männer. Von den abschätzigen Blicken irgendwelcher Männer am Clubtresen, die meine Freundin ansprechen wollen, und deren Freund keine Lust hat, sich mit mir zu unterhalten. Von Leuten, die nie anrufen, und Leuten, die viel zu viel anrufen. Von der vermutlich als Trost gemeinten Ansicht, wer viel ausginge und halbwegs vernünftig aussehe, könne doch gar keine Probleme haben. Von den Ratschlägen, seine Vorstellungen der Realität endlich anzupassen, und es in Gottes Namen doch einfach mal mit so einem netten Kerl zu versuchen. Und von der Möglichkeit, dass man das irgendwann wohl tun wird.
REPLY:
Leider stimmts
Das hätte ich auch so schreiben können (vielleicht nicht so schön), wobei ich befürchte, dass ich dem letzten Satz immer näher komme.
REPLY:
danke
Vielleicht…
sind Sie, Modeste, auch blond und fade. Vielleicht sind wir alle blond unf fade. Vielleicht gibt es das große erlösende Glück gar nicht. Oder jedenfalls nicht auf Dauer. Vielleicht sind andere Menschen nur bessere Schauspieler/Lügner. Vielleicht sollten Sie sich ein paar Morrissey-Platten kaufen: I was tired again, I tried again, and now my heart is full… Ein Herz im Winter. Allein. Und trotzdem glücklich. Ein bisschen. Irgendwie. Vielleicht.
REPLY:
Frau Modeste ist ungefähr so blond wie Antonio Banderas 🙂
REPLY:
… aber im Gegensatz zu ihm kein bisschen fade. Weder äußerlich noch innerlich. 🙂
Trauriges Leben, oder?