Kork

Ganz Berlin, so weiß man, will eigentlich die selbe Wohnung beziehen – Altbau, Balkon, Badewanne, in bester Lage, lieber Prenzl´berg als F´hain, aber nicht überall, und so begab es sich, dass auch der J., mein geschätzter ehemaliger Gefährte, auf seiner Wohnungssuche nach der Trennung der Haushalte wie der Herzen einige Kompromisse eingehen musste. Gut geschnitten ist die schlussendlich gemietete Wohnung zwar ohne Frage, bestens gelegen an einem der begehrtesten Plätze des Prenzl´bergs, hinreichend günstig, und mit Stuck und Dielen ausgestattet, wie es das Herz begehrt.

Indes hat auch dieses Paradies seine Schlange. Die Schlange ist aus Kork.

Sitzt man als Besucherin etwa beim geschätzten ehemaligen Gefährten auf dem Sofa, so ahnt man beim erstmaligen Aufsuchen dieses wirklich reizenden Herrn noch nichts von diesem kleinen, aber wesentlichen Manko. Dann aber bietet der Hausherr das erste Bier an, vielleicht brüht er eine Kanne Tee auf, und im Anschluss steht man fast zwangsläufig mitten im Problem. Es befindet sich im Badezimmer: Das Bad ist ganz aus Kork.

„Wie kann,“, so fragen Sie sich als Leser dieser Zeilen, „ein Badezimmer ganz aus Kork sein?“ Eine Pinnwand ist vielleicht aus Kork, eine Dachbodenisolierung meinethalben, ein Badezimmer aber hat gekachelt zu sein, vielleicht halbhoch nur und darüber Tapete, aber Kork ist ganz und gar und völlig falsch. Vielleicht, so denkt man, wären Kacheln sogar in den abstoßenden Farben unserer Kindheit – braun etwa oder erbsensuppengrün – besser als diese Auskleidung mit Kork, die nicht nur die Wände, sondern auch die Decke befallen hat und vor den Scheuerleisten nicht halt macht.

„Was ist denn mit deinem Badezimmer los?“, kann man den J. nach Verlassen desselben fragen, um ihn ein wenig aufzuziehen. „Sie mag mein Badezimmer nicht.“, hört die Besucherin den J. sodann ein wenig enttäuscht vor sich hin murmeln. „Ach was!“, sagen Sie daraufhin am besten und loben die bestimmt fabelhafte Isolationswirkung dieses Bades, das es dermaleinst vielleicht dem J. erlauben wird, einen mit schmutzigen Waffen geführten Krieg ein paar Tage länger zu überleben als unsereins.

Überhaupt – Kork, so können Sie den J. über den nächsten Getränken auf seinem Sofa vor sich hin plaudern hören. „Kork“ sei doch eigentlich gar kein unschönes Wort, und nur unschöne Worte würden unschöne Dinge bezeichnen. „Rohrzangenschraube“ etwa – wer stellt sich darunter etwas Nettes vor? „Erlaubnistatbestandsirrtum“ – das riecht doch schon nach Problemen, Strafrechtshausarbeiten im dritten Semester und überhaupt nach Ärger und unfreiwillig durchwachten Nächten. „Kork“ dagegen…

Sogar als Vorname, so fährt der J. fort in seiner Badezimmerapologie, sei „Kork“ gar nicht einmal übel. „Kork – kommst du mal?“ oder „Kork, wenn du nicht aufisst, gibt es keine Schokolade.“, höre sich doch gar nicht so schlecht an, geradezu normal, so, als wäre Kork ein ganz üblicher Name für ein Kind wie etwa „Michael“ oder „Andreas“. Wir hätten, so der J., wäre es eines Tages soweit gekommen mit uns, unseren Erstgeborenen „Kork“ nennen können, und schon nach drei Wochen wäre uns, wie auch unserer Umgebung, diese Namensgebung als völlig selbstverständlich erschienen.

Wie anders aber, so sinniert der geschätzte ehemalige Gefährte, verhalte es sich etwa mit anderen Namen! „Ulf“ etwa – wer hätte sich jemals an „Ulf“ gewöhnen können. Schon aus reiner Notwehr und Caritas gegenüber dem kleinen Ulf hätte man ihn nicht bei diesem Taufnamen rufen können, sondern hätte ein Pseudonym verwenden müssen, einen Kosenamen, einen Rufnamen eben.

Zum Beispiel „Kork“.

24 Gedanken zu „Kork

  1. Sie werden ja wohl hoffentlich

    nicht übersehen haben, dass auch der hochverehrte Marcel Proust sich weiland seine gesamte Wohnung zu Isolationszwecken mit KORK hat verkleiden lassen.
    Denken Sie daran voller Demut bei Ihrem nächsten Besuch an jenem Ort.

  2. Kork ist, zumal in solchen Mengen, zwar eine ästhetische Zumutung, doch erscheint mir eine Wohnung, in der aus alten Zeiten noch ganz und gar und überall, an den Wänden, Decken und selbst den eingezogenen Zwischenwänden alles, alles mit Paneelen ver“ziert“ ist, doch noch eine Spur härter fürs Auge. Wir sind dann in diese Wohnungen nicht eingezogen, nicht wegen der Paneele – die hätten wir schlichtweg entfernt. Nein, wie so oft war jemand finanzkräftiger, und die Wohnlage war ja so schön.

  3. REPLY:

    Nein wirklich? Der große Marcel Proust? Herr KollegeG, ich verspreche, mich nie wieder über das Bad des geschätzten ehemaligen Gefährten lustig zu machen. Oder zumindest nur noch sehr selten.

    Einer solcherart paneelausgestattete Wohnung, Herr Rochuswolff, schlägt das Korkbad natürlich nochmal um Längen. Da muss die Lage schon sehr perfekt gewesen sein. Was aber die Bewohner grauer Vorzeiten dazu getrieben hat, ihre Wohnung mit Paneelen oder eben auch Kork zu überziehen, das wissen wohl nur noch die Götter.

  4. Naja, die Wände.
    Mein allerbester Lieblingsfreund ist in eine Wohnung gezogen, die einfach wunderschön ist. Sie hat eine Dachterrasse, Fenster bis zum Boden und einen wunderschönen Ausblick auf Hügel und Wälder. Nur, ja, wenn nur das Bad nicht wäre. Es ist ausgekleidet mit braunem , kuscheligem Teppichboden, bis zur Decke. Es vermittelt einem das Gefühl von wohliger Wärme, von Geborgenheit und ja auch, von völligem Irrsinn.
    Das Braun lässt einen vermuten, dass es eventuelle Spuren zu verdecken gibt. Genau diese Farbe liegt nämlich vor.
    Oder lag! Er wohnt mittlerweile woanders, einfach nur mit Fliesen , allerdings in dottergelb. Genau das selbe Gelb übrigens wie aufm Klo im Palast der Republik, anno dunnemals. Die Welt ist klein,und manchmal ganz schön hässlich.

  5. REPLY:

    Zwischen Dottergelb und besagtem Braun, Frau Croco, fällt die Wahl allerdings wirklich schwer. Eine Ganzbadezimmerteppichverschalung ist ein zumindest mir auch völlig neues Phänomen, und kann eigentlich nicht auf ein vollkommen normales Gemüt zurückzuführen sein.

  6. Wahrlich ein schönes Wort – Kork! Noch schöner ist natürlich Korken. Und gleichsam grausam ist es, einen Jungen Kork oder Ulf zu taufen. Eltern mit einem Kork genannten Kinde liefen Gefahr, dass man sie für schlecht englischsprechend, weil „Kirk“ nicht richtig prononcierend, hielte; wie die Mutter der sechsjährigen Samantha, die mir neulich begegnete und ständig von ihrer Séménntaa sprach.

    Korkböden finde ich übrigens ganz wohnlich in manchen Räumen. Nicht im Bad, da versprechen all die Runsen keine Hygiene.

  7. Bei Kork…

    …habe ich nebenbei noch eine andere Assoziation. Diese besteht aus einer huebschen Stadt im suedlichen Irland, wirklich allerliebst, und gerade nach einem Regenschauer (und die gibt es dort oft!), wenn die Wolken wieder aufreissen und das Pflaster spiegelt, besonders schoen anzuschauen. Lediglich die Schreibweise differiert etwas.

    Insofern passt das Bad als „Nassraum“ ja auch wieder dazu. Und ausserdem daemmt Kork hervorragend Geraeusche, sollten Besucher der Partys des geschaetzten ehemaligen Gefaehrten einmal dem Alkohole zu stark zugesprochen haben…

  8. Captain Kork (pardon!) hat in meiner neuen Wohnung keinerlei Aktien, dafür krüsseln sich bislang aber noch Haare unter dem mit Kunststoffefeuimitat umrankten, staubigen Spiegel. Ich werde langsam und diplomatisch auf behutsame Verbesserung des sanitären Sauberkeitsstatus drängen. 🙂

  9. Sprechen Sie doch mal mit der Spreepiratin, Frau Modeste. Die hat einen guten Draht zu Ihrem Vermieter und die Wohnungen dort… Altbau, Balkon, Badewanne, zwar nicht in Prenzlberg oder F´hain, dafür aber mit Spreeblick! Das wär´ doch vielleicht etwas für Ihren Captain Kork.

  10. REPLY:

    Die schlechten Englischkenntnisse kommen schon hin, Herr Moccalover, derweilen ich seinerzeit nach vier Jahren aufgrund einer bedauerlichen Fehleinschätzung den Englischunterricht zugunsten der alten Sprachen sofort nach U II beendet habe. Meistens fällt´s nicht auf. „Kork“ oder „Kirk“ scheint mir aber eigentlich fast gleichermaßen scheußlich.

    Hübsche Städte im südlichen Irland, Herr Pathologe, sind natürlich eine wunderhübsche Assoziation, und mir will langsam scheinen, dem Bad des geschätzten ehemaligen Gefährten Unrecht getan zu haben, und es ist gar nicht hübsch vom Herrn Burnston, sich über Bad und Bewohner lustig zu machen, die beide die Wertschätzung ihrer Umgebung in hohem Maße genießen und verdienen. Welches Badezimmer, frage ich Sie, wird schon öffentlich zum Gegenstand einer eigenen, wenn auch lediglich blogosphärischen, Veröffentlichung?

    Die blogosphärische Veröffentlichung, Herr Ole , scheint mir übrigens eine durchaus geeignete Strategie zur Reinigung ihres Badezimmers durch ihre Mitbewohner darzustellen: Drohen Sie jenen einfach an, sie gegebenenfalls als Schmutzfinken im Internet bloßzustellen. Manche Menschen brauchen einen kleinen Anstoß, und werden Ihnen, auch wenn es auf den ersten Blick nicht den Eindruck machen sollte, schlussendlich dankbar sein.

    Ein Epilepsiemuseum, Herr Booldog, ist natürlich keine auf den ersten Blick nette Sache. Aber wer kann schon für seine Namensvettern, und auch Epilepsiemuseen erfüllen eine wichtige und nicht zu unterschätzende Rolle für die Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft, die durch Kommentare wie den Ihren in gänzlich unsachlicher, ja gleichsam diffamierender Weise in den Staub getreten und herabgewürdigt werden. Das kann ich nicht gutheißen ;-).

    Der geschätzte ehemalige Gefährte, Herr MC, ist schon mangels Orientierungssinn gar nicht in der Lage irgendwo zu wohnen, wo nicht alle Leute wohnen, die er kennt. Ihn irgendwo unterzubringen, wo er weder hin- noch zurückfindet, hieße jenen sehr sympathischen Herrn Elend, Tod und Verwahrlosung aussetzen, und wer würde das wollen?

    Und eine Badewanne aus Kork ist natürlich ganz großer Käse.

  11. In Berlin scheint man ein Faible für Kork zu haben, mein englischer Freund Phillip wohnte einst im Wedding, das Wohnzimmer war ebenfalls korkverziert.
    Den Namen eines anderen Freundes werden Sie unschwer erraten, wenn ich Ihnen sage, dass er ein herzensguter Mensch ist mit gar scheußlichen Eltern.

  12. Hochgeschätzte Frau Modeste, von den Göttern weiß es vermutlich noch am ehesten der nordische Loki, vielleicht auch ein indianischer Trickster, insbesondere wohl ein Gott oder eine Göttin, die den Menschen in den 70er Jahren auch die Eingebung vermittelte, doch dringend ihre Wohnungen in bräunlichen Orangetönen zu dekorieren, mit einigen Akzenten in gelblichem Grün. Gewissermaßen die modebewußte Variante zu Kork und Paneelen.

    Und die Wohnlage war durchaus wunderbar: Eckhaus und Blick auf den Kanal.

  13. REPLY:

    Himmel, ja. Ich erinnere mich genau an die Tapete im Wohnzimmer meiner Eltern, als ich ganz klein war: Sie zeigte lilafarbene und braune leicht psychedelisch verzerrte Rauten und galt damals bestimmt als todschick. dass ich von dieser Dekoration wie auch von meinem über und über orangefarbenen Kinderzimmer keinen schweren Schaden erlitten habe, wundert mich immer noch.

    Obwohl, wer weiß…

  14. REPLY:

    Ich kompensiere diese fruehkindlichen Schaeden momentan immer noch mit Rauhfaser weiss, alternativ auch in einem leichten apricot oder zartem Gelb. Muster? Nein danke, auch nicht im Zuge des 70er-Jahre-Revivals, der allenthalben in den Baumaerkten ausgerufen wird.

  15. REPLY:

    Höhö. In meiner Wohnung hängen noch Originaltapeten aus den 50ern an der
    Wand, weiß mit goldenen Blumenmustern, grün mit braunen geometrischen Mustern
    und Ähnliches. Zum Glück sind die zum großen Teil stark ausgeblichen.

  16. REPLY:

    ja, Irland war auch mein allererster Gedanke…
    allerdings gibt es dort noch etwas viel schlimmeres: Badezimmer mit dicken, flauschigen Teppichen. Zwar werden es weniger und es sind auch bei weitem nicht so viele wie auf der größeren Insel rechts daneben, aber es ist einfach nur widerlich!

  17. REPLY:

    Igitt. Ih. Das ist ja widerlich. Ich habe mal so eine Dokumentation über Kleinslebewesen gesehen, und war danach mehrere Tage lang quasi perhorresziert von der Vorstellung, dass diese ekelhaften Tiere alle auf, um und in enem herumlaufen.

  18. Ha, bin über aktuelle Umwege auf den Korkartikel gestoßen. Interessant, dass Kork anscheinend wirklich ein in Berlin weitverbreitetes Dekomaterial zu sein scheint. Anfang der neunziger Jahre wohnte ich als Student in einer 2Personen WG zwischen Nollendorf- und Winterfeldplatz. Auch dort waren Küche und Bad exzessiv mit Kork an Wänden und den Fronten der Kücheneinbaumöbel verkleidet. Vielleicht ein geschmäcklerisches Überbleibsel aus den 80ern oder gar 70ern? Damals fand ich es jedenfalls recht einzigartig, habe jetzt aber gelernt, dass das wohl gar nicht war.

    1. Oder Urheber sowohl Ihrer Korkbude als auch der des J. war ein und der selbe Mieter. Erst den Westen verkorken, dann in den Osten abzischen und am Helmholtz Platz aktiv werden. Vielleicht meldet sich ja unverhofft irgendwann mal jemand, der als Nachmieter in seine jetzige Bude zieht.

      1. Der Kork in Schöneberg stammte vom Wohnungseigentümer, einem etwas schrulligen Ingenieur mit Lehrauftrag an der TU, der aber schon nach Südberlin zu seiner Verlobten gezogen war. Ein Wirken seineseits am Helmholtzplatz halte ich für Unwahrscheinlich. Womöglich war Kork damals ein dekoratives Meme.

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