Schwer summt der Abend in der Heizungsluft, und die Süße einer Sampoerna, der dunkle, fast schwarze Wein lasten auf einmal wie ein stumpfer Leim auf meinen Lippen und treiben mich in die Küche. So kalt beißen die Fliesen in meine Sohlen, dass ich nicht lang wähle vor der weißen Schale mit dem durchbrochenen Rand. Eine Orange soll es sein, und über das geschmeidige Dielenholz des Korridors laufe ich zurück, ziehe mir die Decke bis unter die Achseln und presse den Daumen tief in den Scheitel der Orange, bis die Schale nachgibt, und ein kleines, unregelmäßiges Stück, nicht länger als das oberste Glied meines kleinen Fingers, abreißt. Säuerlich, gebrochen von Bitterkeit – nein: von dem Schatten einer Bitterkeit – berührt der Geruch meine Wange und füllt den Raum.
Dick und weiß wie geschlagene Sahne zeigt die Orange ihre Haut, ein paar Fasern stehen aus der offenen Stelle auf der Oberseite der Orange hervor wie die zarten Tentakel ganz kleiner Korallen, und mit der linken Hand drehe ich die Frucht, grabe den rechten Daumen seitlich, ganz vorsichtig, nicht zu tief in die Schale und reiße Stück für Stück von den Spalten, die zwischen der glatten Haut hindurchschimmern. Feucht und nicht größer als ein Muttermal glänzt der Saft der Frucht an einer Stelle, an der der Daumen zu tief in die Haut gerissen hat, und ich ziehe kreisförmig, von oben nach unten, die Schale von den Spalten, bis die Frucht, nur verhüllt noch von den eigenen Häuten, vor mir liegt.
Mit beiden Daumen in die Öffnung zwischen die Spalten zu greifen, die Frucht auseinanderzubrechen, bis sie klaffend, wie eine halbgeöffnete Blüte auf dem Teller liegt. Die aufgerissenen Häute der Fruchtspalten so zart wie die Flügel von Insekten, die Üpppigkeit des Fruchtfleisches, und der Saft rinnt an den Händen abwärts bis zu den Handgelenken und hinterlässt eine Klebrigkeit, die man kaum zusammenbringt mit der Frische im Mund, mit dem süßen und doch säuerlichen Saft, der die Zähne badet in einer hellen Sauberkeit wie ein Morgen am See. Stück für Stück reiße ich die Spalten auseinander, lasse den Saft über meine Zunge laufen, fange die Tropfen auf meinen Händen mit den Lippen auf, und lecke den letzten Rest des Saftes von meinem Mund, lange, bevor der Geruch der Orange aus der Luft verschwunden ist.
Am Ende aber bleibt nichts als ein paar Schalen auf einem Teller, deren weiße, weiche Innenseiten in ein paar Stunden schon eingetrocknet und unansehnlich sein werden, duftlos und nichts weiter als Abfall, den ich in die Küche trage, gleich morgen früh.
Tut mir leid, ist für den PussyProsaPreis zu spät und auch nicht schlecht genug 🙂
Schön: die Erotik im Kleinen, Alltäglichen.
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Kann man hier jetzt nicht einmal mehr eine Orange schälen? Im Ernst, natürlich gibt es kaum etwas Sinnlicheres als Essen, tatsächlich inspiriert ist dieser Beitrag aber von jener Dame.
REPLY:
Die sich insgeheim wiederum auf einen anderen Beitrag bezog. 🙂
Ich würde mich jetzt gern mit Orangen
füttern lasseindecken, glaube ich.Sinnlichkeit bleibt sinnvoll. Frau Modeste, sie haben und kriegen mich immer wieder. Bin und bleibe mehr als nur angetan. Spontan klackerte es daraufhin irgendwo im Neocortex und eine innere Stimme rief: „Irgendwie erinnert mich das ein wenig an das hier. Aber nur entfernt.“
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Der Verzehr von Orangen, werter Don, ist natürlich jederzeit sinnvoll und schon wegen ihres überaus hohen Vitamingehalts sehr zu empfehlen. Und Sinnlichkeit, Sinn für die Dinge unseres täglichen Lebens, Ole, ist immerhin eine der wenigen Dinge, bei denen wir auf festem, greifbaren Boden stehen. Alles andere ist sehr relativ.
Das hab ich befürchtet, dass sich hier die Verbaleromanen in ihrem Element fühlen. Dafür fielen die Kommentare gottseidank vergleichsweise harmlos aus. Ich halt mich aus allem Erotischen raus. Fragen Sie meine Verabredungen. Es ist Winter.
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Zeit für Grog!
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Finden Sie den Beitrag denn so b.s., Her Burnston? Nein, im Ernst, man schreibt schon genug Texte nicht, die Orangen mag ich. Und die Schlagseite ins Erotische hat so gut wie jede sinnliche Erfahrung, wenn man sehr nah an die Dinge herangeht.
Die Zurückhaltung der Kommentatoren wundert mich allerdings selber ein bißchen, weniger in der von Ihnen angesprochenen Beziehung als generell. Überhaupt ist hier wenig los in letzter Zeit. Ich tippe auf Winterschlaf.
Ich sage ja immer: Ein gutes Essen ist der Sex des Alters. Aber machen Sie sich jetzt keine Sorgen, man sieht es Ihnen keineswegs an, beste Frau Modeste. Zumindest ist mir bei der Neujahrslesung nichts dergleichen aufgefallen.
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Herr Rationalstürmer – was soll denn das bedeuten? Was sieht man mir nicht an? Das Alter oder das Essen? Muss ich mir jetzt Sorgen machen?
(Beißt herzhaft in ein großes Stück Käse)
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Oh weh. Habe ich jetzt am Ende gleich in zwei Wespennester gestochen? Zu Ihrer Beruhigung (und mit den besten Wünschen für weiterhin ungehinderten Käsegenuss): Beides nicht. Man sieht Ihnen beides nicht an. Nicht mal im Profil. Und ich werde jetzt auch nicht sagen, dass Sie das mit Ihrem Perlenkettchen geschickt kaschiert hätten. Ich doch nicht. Niemals würde ich sowas sagen. Nein nein…
REPLY:
Huh, der Eine bezeichnet gutes Essen als den Sex des Alters, der Andere
hält sich aus allem erotischen raus. Ich beziehe mal besser keine dieser
Aussagen auf mich…
btw: Und Frau Modeste ist schlank und schön, jawohl.