Über Essen

Im Skykitchen (der kinderlose Freitag)

Wir ärgern uns. Der R. und die I., die eigentlich immer wissen, wo man gut isst, wollten uns schon vor zwei Jahren ins Skykitchen lotsen, aber einmal war kein Tisch zu unserem Wunschtermin zu haben, dann hatten wir uns in die Cordobar verliebt und waren andauernd da. Schließlich rief ich dann doch an und stand schließlich leicht erschauernd mehrere Wochen später vorm Portal des Andels Hotel. Das Hotel sieht aus, als sei die DDR auf einmal doch zu etwas Geld gekommen, ringsherum stehen scheußliche Häuser, ein Burger King, die Europaschwimmhalle und die S-Bahn Landsberger Allee. In einer solchen Umgebung werden normalerweise Schweine geschlachtet, und zwar nicht die glücklichsten Vertreter ihrer Art.

Ist man oben angekommen und tritt aus dem Fahrstuhl, sieht die Welt wieder anders aus. Bunte, sehr schöne Stoffe, Teppich auf Sichtbeton, so eine gute Mischung aus Moderne und Gemütlichkeit, vielleicht ein bisschen zu konfektioniert, aber auf dem Sofa würde ich mich sofort einrollen und einschlafen. Das Beste ist aber die Sicht. Der J. und ich saßen am Fenster, starrten über Berlin, unter uns eine der großen Straßen, auf denen die Autos stadtauswärts fahren, und all die Lichter der Stadt, die wir lieben.imageWir sind ein bisschen aufgedreht, lachen über nichts, machen Leute nach, loben Lampenschirme und bestellen, weil wir den noch nicht kennen, einen Belsazar Wermut, einen rosé, und sind so begeistert, dass ich gleich am nächsten Tag eine Flasche kaufen muss. Wermut, erzählt der sehr, sehr gute Kellner, sei das nächste große Ding. Auf nächste große Dinger habe ich meistens aus Prinzip keine Lust, aber der Wermut ist so gut, dass jeder, der mich besucht, den jetzt trinken muss, bis keiner mehr kommt.imageDie Menüauswahl ist nicht ganz einfach. Es gibt elf Gänge, von denen kann man sich zwischen drei und elf aussuchen. Wir entscheiden uns für acht, dazu drei Weine für mich, vier für den J., und dann lehnen wir uns zurück. Ich habe richtig Hunger, das Mittagessen ist inzwischen schon lange her, und deswegen esse ich ganz schnell den halben Brotkorb leer. Der J. nimmt die andere Hälfte. Es gibt vier verschiedene wahnsinnig gute Brotsorten und Brötchen, zwei Buttersorten, und zu Hause wäre ich jetzt mit dem Abendessen vermutlich fertig. Statt dessen kommen zwei Grüße aus der Küche.imageAls das Maiscremesüppchen mit Kaninchenpraline erscheint, schauen wir uns an. Das ist sehr, sehr gut, genau das richtige Maß an süffiger Fettigkeit, rund, cremig, ich will sofort eine Wanne davon und mich darin wälzen. Statt dessen erscheint ein Labskaus, ein Gedicht aus verschiedenen Konsistenzen, salzig, kross, weich, seidig: Schon weg. Als der Teller abgeräumt wird, habe ich sofort ein bisschen Heimweh nach diesem Essen.imageInzwischen steht auch der erste Wein vor mir. Ich vergesse alle Weine sofort, bis auf den Wein zum Hauptgang. Das liegt aber an mir. Ich trinke ganz gern Wein, kann mir aber nichts merken, außer den Etiketten, und hier vergesse ich auch die. Nur das Essen bleibt hängen, diesmal eine Saiblingsvariation.image Ich würde gern den Teller ablecken, aber statt dessen bringt der Kellner nun einen Teller mit Roter Krabbe, Sardelle, fischig, Käse ist auch dabei, ganz gut, aber nichts, was ich sofort wieder essen müsste, aber dafür ist der nun folgende Gemüsegang der Brüller. Es handelt sich um Blumenkohl, irgendwelche Cremes auch aus Gemüse und in der Mitte ein confiertes Eigelb. Ich bin so hingerissen, ich lasse mir sofort erklären, wie das geht, so ein Eigelb, und wenn ich jemals die Frage, ob ich Vegetarismus attraktiv finde, positiv beantwortet hätte, dann in diesem Moment. Ja, ich will. Den Rest meines Lebens exakt so etwas essen.imageInzwischen bin ich praktisch satt. Es folgt ein Würfel Milchferkel mit einer großen Krabbe, sehr lecker, aber Schweinefleisch und ich werden vermutlich in diesem Leben keine Freunde mehr. Ich mag die Konsistenz nicht, und wieso Schwein verwenden, wenn man auch Kalb essen kann. Ich habe irgendwo gelesen, es gibt eh zu viele Kälber, weil die Deutschen so viel Milch trinken, und deswegen votiere ich dafür, in allen Rezepten der Republik Schwein durch Kalb zu ersetzen. Dann wäre auch dieser Gang vor lauter Perfektion nicht mehr auszuhalten.

Das Maishähnchen ist makellos. Ein zartes Stück Brust, ein wenig Keulenfleisch in einer leider etwas zu heißen Frühlingsrolle, hauchdünner Kürbis, und es tut mir um jedes Gramm leid, dass auf dem Teller bleibt, weil ich mich nicht traue, ihn abzulecken oder zumindest mit dem Finger rückstandslos zu leeren. Mein Gott. Dieses Huhn ist für einen guten Zweck gestorben.imageDas gilt auch für den Hauptgang, Rib Eye mit Langos, also so kleinen Langoskugeln, mit Paprika paniert, was ein etwas seltsames Mundgefühl hinterlässt. Vielleicht wäre hier ein etwas saftigerer Überzug von Vorteil. Das Gemüse ist auch hier grandios, das Fleisch sehr präsent, sehr verdichtet. Der Wein, von Born von der Saale-Unstrut, passt perfekt. Ich hätte niemals einen so nördlich angebauten Rotwein bestellt, ich würde noch ein Glas bestellen, wenn ich noch etwas trinken könnte, aber statt dessen ächze ich dem Nachtisch entgegen.imageDer Käse jedenfalls, eine Zusammenstellung eines sehr cremigen und eines festen, gehobelten Käses auf einer Pumpernickelcreme mit rohem, knackigem Gemüse ist so fein, dass ich eigentlich aufhören könnte. Statt dessen folgt ein Predessert. Der Pflaumentee ist okay und sieht schön aus. Das Kalamansisorbet ist aber so dicht, so eine Explosion von Frucht, Süden, barfuß tanzen, dass ich nahe dran bin, meinen Nachtisch abzubestellen und statt dessen noch zwei von diesen Gläschen zu verlangen. Der Nachtisch – es nennt sich Müsli und ist natürlich keins – ist aber auch nicht schlecht. Noch besser die Beerenvariation, die der J. bestellt hat. Die Pralinen sind dann sehr in Ordnung, aber nicht so herausragend wie der Rest. Auch der Dessertwein ist sehr fein, aber nichts, was man nie getrunken hätte. Konsequent habe ich ihn sofort vergessen.image

Als wir vier Stunden nach unserer Ankunft in den Aufzug steigen, fühlen wir uns grandios. Die Stadt flackert und leuchtet uns entgegen. Wir schlendern nach Hause, das sind nur knapp 30 Minuten, erzählen uns das ganze Essen von vorn bis hinten und umgekehrt noch einmal, schmatzen laut in die staubige Luft der Danziger Straße und schlafen tief, sehr tief, angefüllt mit Essen und Glück.

Banh Xeo Saigon

Ich habe mal ein paar Monate in Thailand gelebt und hätte immerzu essen können. Okay, vielleicht habe ich immerzu gegessen. Ich habe morgens gebratenen Reis gegessen, ganztags Obst, mittags und abends diese großartigen Curries, und zwischendurch Teigtaschen, Pfannkuchen, Wachteleier mit süßer Sojasauce, Spieße mit Hühnchenfleisch, und Suppen, Suppen, Suppen. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich eigentlich gearbeitet habe, denn ich musste ja den ganzen Tag essen, und als ich abgereist bin, war ich als wahrscheinlich einzige Thailandreisende aller Zeiten schwerer als bei meiner Ankunft, weil die anderen ja alle wegen des leichteren Thaiessens abgenommen hatten.

Als ich im Januar das erste Mal nach Vietnam gefahren bin, hatte ich das eigentlich ähnlich erwartet. Es gab auch Curries, es gab Suppen, es gab alles Mögliche, aber so gut, so gut wie in Thailand ist das Essen nicht. Die vietnamesische Küche erschien mir stumpfer, weniger frisch, weniger scharf, weniger sauer, mit einem Wort: Weniger interessant. Die Berliner Vietnamesen, also der mit diesem Sammelbegriff meist adressierte Imbiss um die Ecke, bestätigte mein Vorurteil, und so bedauerte ich also ein wenig, dass die DDR neben allen ihren anderen Fehlern auch noch ausgerechnet aus Vietnam Vertragsarbeiter hergeholt hatte und nicht aus Thailand, was der Ostberliner Küchenkultur möglicherweise gut getan hatte.

Offenbar habe ich mich aber getäuscht. Ich weiß noch nicht genau, was in Vietnam schief gelaufen ist. Womöglich habe ich immer ausgerechnet da gegessen, wo man nicht so gut kocht, denn die Landesküche habe ich offenbar zu Unrecht als mitteldelikat qualifiziert. Ich muss also noch mindestens ein mal mehr nach Vietnam, und dann muss ich da essen, wo die Köche vom Bahn Xeo Saigon kochen gelernt haben. Bis dahin esse ich weiter in diesem ziemlich charmefrei eingerichteten Miniaturlokal an der Greifswalder Straße und bedaure jedesmal die unzureichende Aufnahmefähigkeit des menschlichen Magens.

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Banh Xeo Saigon, Greifswalder Str. 41, 10405 Berlin. Immer reservieren. Perfekt für Vegetarier und Veganer

Montag, 24. August

Es ist Apfelkuchenzeit. Am letzten Sonntag backe ich einen Apfelkuchen mit Rührteig und halben Äpfeln mit gehobelten Mandeln und Hagelzucker. Vorgestern backe ich einen Apfelkuchen mit kleinen Apfelstücken auf einer Mischung aus Zucker, Eiern und Quark, und heute landet das letzte Kilo Äpfel aus dem schwiegerelterlichen Garten auf einem Mürbeteigboden und gekocht in einer Mischung aus Apfelsaft, Zucker und zwei Packungen Puddingpulver. Nachdem ich mit meinem Versuch gescheitert bin, mithilfe einer – letztlich nicht empfehlenswerten – Kochbuchautorin namens Donna Hay etwas moderner zu werden, backe ich nämlich wieder nach einem dreißig Jahre alten Dr. Oetker-Backbuch und ein paar Seiten aus einer alten Brigitte mit den besten Rezepten der Leserinnen.

Dem F. ist mein Kreativitätsdefizit noch nicht aufgefallen. Neben mir steht er auf einem Hocker, futtert ein Apfelstück nach dem anderen und sticht mit einer Kindergabel Löcher in den Mürbeteigboden, damit der keine Blasen wirft. „Singst du mit mir das Apfellied?“, fordert er mich auf und legt ein paar schwarze Apfelkerne säuberlich neben alle vier Ecken des Hackbretts. Dann holt er tief Luft und singt aus voller Kehle. In einem kleinen Apfel.

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Als er fertig ist, darf er ganz vorsichtig auch ein paar Apfelstücke schneiden und beißt sich auf die Unterlippe vor lauter Konzentration. Dann ist er fertig, hüpft ein bißchen, singt, was das Zeug hält von Hänsel und Gretel, grün, grün, grün … dann koche ich Saft und Äpfel auf und heize den Ofen vor. Der F. schnuppert derweil an einer ausgekratzten Vanilleschote und einer ausgepressten halben Zitrone.

Einen neuen Ofen würde ich gern kaufen, demnächst einmal. Mein alter Herd heizt nicht mehr sehr exakt, die Platten werden zwischendurch immer mal wieder kalt, und die Temperatur im Ofen schwankt so sehr, dass Salzburger Nockerln oder empfindlicher Biskuit mir manchmal ganz schief geraten, weil es vorn im Herd und hinten im Herd fast 15° C Unterschied gibt. Vielleicht besuche ich demnächst einmal so ein Küchenstudio, vielleicht kaufe ich aber auch einfach einen ordentlichen Herd bei Saturn, aber heute Abend ist mein alter Ikea-Herd noch goldrichtig, und der F. und ich jubeln gemeinsam. Hoch auf dem Gelben Wagen. Und das Stundenglas auf 50 Minuten bei 180° C.

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UPDATE:

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(Und auch heute: Spenden Sie. Für Flüchtlinge ohne Herd und Apfelkuchen.)

Samstag, 25. Juli

Am Samstag Abend sind wir mit der Welt zufrieden: Wir sitzen am Monbijouplatz, der J. und ich, m schwarz-glänzenden Dae Mon, und der fabelhafte Hyun Wanner bringt uns die Karten. Wir altern mit unserer Gastronomie, stellen wir fest, und dass wir denselben Leuten seit so ungefähr 2000 begegnen. Damals, im 103 an der Kastanienallee, sage ich, und dann erinnern wir uns alle beide an die großartigen Abende, die sanfte, orangefarbene Melancholie, den Duft von Lilien und Zigaretten und den schrecklichsten Weißwein Mitteleuropas. Schön war’s, sagen wir, wie die ganz alten Leute sagen, und dann bestellen wir entschlossen Rieslingsekt und so ein amerikanisches IPA und freuen uns über die schönen Gläser.

Die anderen Gäste sitzen ein Stück weit weg, und wir beobachten die Köche. Wir waren mal vor drei Jahren mit einem anderen Paar im Fischers Fritz am Gendarmenmarkt einen Abend in der Küche, da hätte ich auch schon eigentlich die ganze Zeit nur zuschauen können, wie aus Sachen in Töpfen, die eigentlich ganz normal aussehen, dieses Superessen wird, das aussieht, als sei es eigentlich nur zum Fotografieren gemacht. Schmeckt aber trotzdem toll. J.s einseitige Mandu, also so ein knusprig gebackenes, dreieckiges Nudelblatt mit Krabbenhack und Nüssen. Davon eine große Schüssel und dann ins Bett. Mein Tatar war sehr okay, aber ein bisschen zu sauer. Das liegt aber vermutlich an mir. Ich will das ganze Zeug nicht, das bei Tatar so herumliegt. Von mir aus: Fleisch. Pfeffer. Salz. Und ein bisschen Tabasco.

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Angenehm fällt mir auf, dass es kein Brot gibt. Und Reis gibt es auch nicht. Ich werde deswegen um elf zwar satt, aber nicht so ekelhaft überfüttert sein, wie damals, als im Paris Moskau das Essen dermaßen auf sich warten ließ, dass ich einen halben Laib Brot gegessen hatte, bis die Vorspeise erschien. Oder der Abend im Crackers, der insgesamt wirklich okay war, bis auf das indiskutable Essen. Da war ich froh, dass wenigstens das Brot ganz gut war. In weiser Voraussicht, oder in Kenntnis ihrer Schwächen, hatten sie da gleich eine ganze Briochesonne in den Korn gelegt. Hier: Zum Glück ganz entbehrlich.

Kohlenhydrate gibt es eigentlich nur zum Zwischengang. Ich erhalte kalte Nudeln, aus Buchweizen, wie ich der Karte entnehme, scharf gewürzt mit Kochujang, also so einer ziemlich speziellen Chilipaste, mit frischem Gemüse und einem Wachtelei, das vielleicht ein wenig zu durch ist, aber perfekt passt. Von allen Gängen ist dieser der traditionellste, der, der am ehesten nach einem koreanischen Restaurant schmeckt, von denen Berlin inzwischen voll ist, aber das Dae Mon ist etwas anderes.

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Der zweite Gang des J. ist mit „Pfifferlinge, Kräuterseitlinge, Mais“ höchst unzureichend beschrieben. Das Essen ist dermaßen aromatisch, dicht, duftend, dass ich, wäre in diesem Moment ein Abgesandter des Bundes Deutscher Veganer e. V. auf mich zugegangen wäre, versprochen hätte, allem Tierischen abzuschwören. Es war einfach köstlich. Und es sah toll aus.

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Das Black Angus mit Bulgogi Cubes hatte es da schon fast schwer, schwankte, erholte sich wieder, und siegte dann doch, bravourös, flankiert mit sehr, sehr guten Banchan in vier kleinen Tellern, und der schwarze Kabeljau war auch nicht zu verachten. Da saßen wir dann da, alle beide, schon etwas schwer atmend, und starrten in die Küche.

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Dessert, japste ich. Schweinebauch, japste der J. Oder umgekehrt, und dann bestellten wir einen prächtigen, rotlackierten Schweinebauch mit knallgrünem Gemüse, und jetzt weiß ich, was es dort, wo die Englein singen, zu essen gibt. Der Nachtisch war dann auch noch ganz okay, aber beim nächsten Besuch esse ich einfach noch ein Hauptgericht mehr. Und einen nächsten Besuch wird es geben.

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Anders Kochen und Essen

„Wieder nichts fürs Blog!“, jammere ich und versenke meinen Löffel im Teller. Es ist wie verhext: Weil ich seit Montag krank zu Hause bin, fällt der Besuch von Restaurants natürlich flach, und kochen kann ich auch nicht richtig. Wenn es denn aber wieder auch nur halbwegs und für ein halbes Stündchen geht, dann sieht es wieder nicht so aus, wie die Gerichte, die andernorts zubereitet werden. Fakt ist nämlich: Ich habe ein Modernitätsdefizit. Alle Welt kocht Gemüse nach Ottolenghi. Ich koche Linsensuppe mit Kalbswurst und Birnenkompott mit Flammerie und Karamell, weil noch so viele Birnen da sind, die schon dunkle Stellen haben.

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Vielleicht, überlege ich, brauche ich einfach ein paar neue Kochbücher. Ich habe – neben ein paar mehr oder weniger unbrauchbaren Geschenken und selten genutzten Büchern für aufwändige Länderküchen – nämlich nur zwei Bücher, aus denen ich wirklich koche. Das Wichtigste, und dies verdeutlicht möglicherweise Art und Ausmaß des Problems, trägt den schönen Titel: „Die gutbürgerliche Küche“, und bildet den Status Quo der Alltags- wie Sonntagsküche ungefähr auf dem Stand von 1960 ab.

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Das Problem an der Sache ist nur: Ich mag das Buch. Ich mag nämlich den Rehrücken Baden-Baden. Ich mag Herzoginkartoffeln und Kroketten, Sahnsaucen und Reispuddinge, ich esse wirklich ganz gern Eintopf, und ich bedaure das Aussterben der Königinpastete und der kalten Platten.

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Nun ist auch mir klar, dass eine Modernisierung dieser Küche nicht nur eine Sache des guten Geschmacks darstellt. Die Küche meiner Großmutter – und um jene handelt es sich in meinem Küchenalltag in ganz wesentlichen Zügen – war nämlich nicht nur wenig subtil. Sie war auch ziemlich ungesund, viel zu fett, arm an frischem Gemüse und reich an tierischen Fetten. Es gab viel zu viel Fleisch, es gab mittags und abends warmes Essen, und wenn ich überlege, was im Haushalt meiner Großmutter allein an Butter und Sahne verbraucht wurde, wird mir ganz anders. Naturgemäß war meine Großmutter in späteren Jahren zwar nie fett, aber schon eher mollig.

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Das müsse sich, versichere  ich dem J. und mir, nun alles ändern. Ich will wieder Größe 38 tragen. Der F. soll abends einen Salat mit Thunfisch und Zitronendressing und nicht einen Brathering mit Bratkartoffeln für ein normales Essen halten. Aus ist es mit der „Gutbürgerlichen Küche“ und dem „Goldenen Löffel“.

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Und heute abend geht es los.

Die absolute Ente

Tipps gibt es ja viele. Mit Bier bestreichen zum Beispiel. Allerdings fragt sich der häusliche Koch: Wieso eigentlich mit Bier? Weicht die Entenhaut da nicht eher auf? Oder Salzwasser. Warum soll eine Ente knuspriger werden, wenn man sie mit Salzwasser bepinselt? Meine Oma hat Schmalz genommen, aber die allzu bedenkenlose Verwendung von Schmalz gehört ja ohnehin zu den Küchensünden der Nachkriegszeit, die man nicht wiederholen sollte. Wenn ich Ihnen beispielsweie verrate, dass es noch in den Achtzigern bei uns daheim Kartoffelsalat mit Zwiebeln, harten Eiern und, ja, das ist keine Übertreibung, Schmalz gab, dann schütteln Sie sich zu recht. Schmalz nehme ich also nicht.

Irgendwo habe ich gelesen, es sei die allzu feuchte Füllung, die von innen die Ente durchweicht. Es ist wahr, in meiner Ente stecken meistens gehackte Maronen, Äpfel, Majoran und die gebratenen Innereien der Ente, aber schmeckt die Ente vielleicht nicht etwas fad, wenn ich sie – so lauten Tipps, die man liest – nur wasche, trockne, pfeffere und salze? Oder was ist von dem Tip zu halten, die Ente nur mit einer trockenen Semmel zu füllen, die die Feuchtigkeit aus der Ente saugt? Wird dann nicht das Fleisch trocken? Muss ich heißer als 200°C braten? Die Niedrigtemperaturente vom vorletzten Jahr wurde immerhin etwas knusprig, als ich ganz am Ende den Grill noch einmal hochgezogen habe, aber die schmeckte dem J. allzu entenhaft und war zudem von sagenhafter und auf die Dauer etwas störender Geruchtsentwicklung.

Vielleicht ist auch schon das Gericht an sich schon ganz falsch gewählt. So berichtete mir einmal der Bruder eines Kochs, man könne entweder Keulen oder Brust oder Haut einer Ente optimal braten, aber nicht alle drei Kompoenten einer ganzen Ente. Am Besten, man zerlege das Tier. Dies aber erscheint mir irgendwie falsch. Ich habe keinerlei Beziehung zu den christlichen Aspekten des Weihnachtsfestes, ich will nichts weiter als einen schönen Baum und etwas Gutes zu essen, auch mein Bedarf an Familienleben ist für dieses Leben hinreichend erfüllt, aber ohne Ente ist nicht Weihnachten und deswegen gibt es auch dieses Jahr so einen Vogel beim J. und mir für den R., die I., die C. und ihren neuen Freund, und vielleicht verrät mir ja noch einer das wahre Rezept für die perfekte Haut: Dünn, braun, knusprig und glänzend auf einem zarten, hellbraun-rosigen Fleisch.

Erziehungsberatung

In den letzten Jahrzehnten hat ja eigentlich alles ein verhältnismäßig problematisches Gepräge angenommen, was die Menschheit bis dahin einfach so betrieben hat. Die Aufzucht von Kindern etwa. Oder die menschliche Ernährung. Oder, in ganz besonderen Fällen, beides.

Ein mir lose bekanntes Ehepaar – ein Rechtsanwalt und seine meines Wissens berufslose Frau – etwa zieht in einem der südwestlichen Vororte Berlins einen Knaben samt drei Schwestern auf. Der Knabe ist acht und besucht eine Grundschule. Diese Grundschule ist evangelisch, denn diesem Bekenntnisse hängen die Eltern an. Außer an den lieben Gott glaubt man im Hause dieser Familie an eherne moralische Prinzipien und die Verwerflichkeit des Verzehrs von Fleisch und Zucker.

Die drei Mädchen wurden mir persönlich geschildert als folgsam, unproblematisch und brav. Der Bub allerdings macht Sorgen. In der Schule sei er nicht direkt schlecht, das nicht, aber beängstigende Indizien moralischer Verkommenheit träten zu Tage, schockierende Vorfälle hätten sich ereignet: Der Junge habe gestohlen.

Zwei Mitschüler sogar habe der Bube angestiftet. Ein verschlossenes Behältnis habe man ausgekundschaftet, einen Kühlschrank nämlich, welcher in der Cafeteria der Schule stand. Ein halbes Blech Kuchen habe man aus diesem enwendet, sei damit nach Schulschluss davongefahren und habe den Kuchen zu dritt im Kinderzimmer des einen Buben ganz verzehrt. Zur Tarnung habe man das elterliche Abendessen dann trotzdem tapfer gegessen.

Die Tat blieb nicht lange geheim. Es ist nämlich nicht einfach, mit einem Blech Kuchen durch den recht verschlafenen Vorort zu radeln, ohne gesehen zu werden. Harte Verhöre schlossen sich an. Der eine angestiftete Junge darf nun nicht mehr dem verkommenen Sohn der Bekannten spielen. Der Sohn selbst gab auf Befragen zu, er habe nicht nur diese Missetat zu vertreten. Er habe auch nur wenige Tage zuvor Geld, das ihm seine Großmutter heimlich gegeben, bei real in mehrere Würstchen investiert und diese sofort mit Senf verschlungen.

Die Schwestern des Buben waren von diesem ungeheuerlichen Vergehen angemessen angewidert. Die Mutter am Boden zerstört. Weitere Nachforschungen ergaben, dass dieser Vorfall nicht solitär in der Ernährungsgeschichte des jugendlichen Delinquenten stand. Vor Monaten hatte schon die Großmutter in Nürnberg das Kind in den Ferien mit Fleisch in Form von Würsten, Schinken und Braten traktiert. Der Junge hatte auch Süßes und Kuchen im Gegenzug zum Versprechen erhalten, der ohnehin ungeliebten Schwiegertochter, der Mama, nie etwas von diese verbotenen Freuden zu erzählen.

Der Mutter war nun alles klar. Eine schnurgerade Linie führte von den großmütterlichen Würsten zum Diebstahl von Schuleigentum. Nur eine hauchdünne Linie trennte ihre Brut jetzt noch von Sittlichkeitsverbrechen und blutigem Terrorismus. Wenige Tage später suchten Mutter und Sohn eine Eriehungsberatung auf.

Es schmecke ihm nicht daheim, gab der Junge hier zu Protokoll. Er wolle Kuchen, Eis und Frankfurter essen. Die Mutter ist schockiert. Der Konflikt scheint unüberbrückbar.

Gurke

Jeden Freitag morgen kommt ein Lieferdienst aus dem brandenburgischen Dorf Brodowin und stellt mir eine grüne Kiste mit Obst und Gemüse vor die Tür. Eier und Milch habe ich auch abonniert. Die Lieferung ist durchweg bio. Dieser Lieferdienst kostet 15 Euro pro Woche und ist fast ausnahmslos ganz, ganz großartig.

Es gehört zu den Prinzipien dieses in Berlin sehr populären Dienstes, dass man nicht weiß, was man bekommt. Der Kisteninhalt ist vorwiegend, aber nicht nur, aus der Gegend, man bekommt daher im Winter keine Erdbeeren, sondern ziemlich viel Kohl und Möhren. Im Sommer wird es dagegen bunt. Jede Woche, gleichgültig oder sommers oder winters ist ein Salat dabei, den esse ich manchmal am Freitag abend und meistens am Wochenende. Bisweilen ist der Salat dann schon schlaff, dann werfe ich ihn weg und ärgere mich ein bißchen.

Vorgestern morgen öffne ich also wie jeden Freitag die Tür, da steht die grüne Kiste, und auf der Kiste liegt ein Kopfsalat. Ich freue mich. Ich liebe Kopfsalat. Am liebsten esse ich Kopfsalat in einer riesigen Schüssel, übergossen mit einer Vinaigrette aus Weißweinessig und Olivenöl und Zwiebeln und Kapern und Senf und einem fein gewiegten, harten Ei. Meine Salate sind, anders als die Salate anderer Leute, nur so mäßig gesund, weil meine Dressings aus Prinzip fetter als ein Schweinebraten ausfallen, und außerdem mag ich Salat nur mit Fisch, Fleisch, Käse oder Eiern.

Außer dem Salat liegen auch ein paar Tomaten in der Kiste. Eine Schlangengurke gibt es auch. Ich denke an eine große Salatschüssel mit Parmesanspänen und Eierscheiben und stapele alles ordentlich in den Kühlschrank. An tödliche Durchfallerkrankungen denke ich gar nicht, weil ich Krankheiten meistens nicht so ernst nehme. Ich denke ja immer, dass die konsquente Risikovermeidung mehr Einbußen bedeutet als die vereinzelte Verwirklichung eines Risikos.

Am Freitag abend dann taucht der J. bei mir auf. Der J. war die ganze Woche beruflich unterwegs, er ist mächtig hungrig, öffnet den Kühlschrank und – ja, das ist keine Übertreibung – erstarrt. Der J. sieht dem Tod einige Sekunden in die offenen Augen. Dann schließt er den Kühlschrank wieder und ächzt erschüttert.

„Bist du wahnsinnig.“, schüttelt der J. ungläubig das Haupt und befiehlt, das todbringende Gemüse zu entsorgen. Ich weigere mich. Ich will den Salat, ich glaube nicht, dass ausgerechnet meine Brodowiner Gurke kontaminiert sein sollte, und dann beenden wir die Diskussion. Am nächsten Morgen fahren wir weg. Freunde heiraten in der Altmark, wir essen beide fürchterlich viel und fürchterlich gut, übernachten in einem extrem geschmacksneutralen Hotel, vollgestopft mit abstrusen Dekorationsobjekten, wie man sie in Möbelhäusern sehen kann, und dann fahren wir wieder heim.

Zu Hause stehe ich wieder vorm Kühlschrank. Dem J. kann ich mit einem großen Salat nicht kommen. Es gibt also einen Blumenkohl, Senfsauce, gekochte Eier und Kartoffeln, und mit ein bißchen Bedauern schaue ich die Tomaten und die Gurke an. Dann esse ich etwas und lese Zeitung.

Zeitungen sind in diesen Tagen ja fatal. Andauernd, lese ich, sterben Leute an Gurken, Salatesserinnen sind besonders gefährdet, und mein Plan, morgen abend salattechnisch in die Vollen zu gehen, wird auf einmal etwas zweifelhaft. Morgen ist der J. nicht da, da zetert keiner, wenn ich die Salatschüssel fülle, aber andererseits ist eine Schüssel Salat nun auch keinen plötzlichen Tod wert. Einfach so ins Bockshorn jagen lassen will ich mich dann aber auch wiederum nicht. Mein Gott, denke ich. Ich habe 15 Jahre geraucht. Was sollen mir amtliche Empfehlungen.

Am Ende verschiebe ich die Entscheidung auf morgen. Der Salat ist dann bestimmt hin. Was mit den Tomaten und Gurken ist, wird sich herausstellen. Wenn dieses Blog also ab morgen einfach versiegt … Es war schön mit Ihnen. Es hat mich sehr gefreut.

Journal :: 19.02.2011

Es gehört zu den vielen Vorzügen des Grill Royal, dass die Gäste – das ist selten in Berlin – nicht absichtsvoll aussehen, als hätten sie absichtslos irgendwas angezogen, was gerade an der Leine hing, und so schaue ich mich ein wenig um und begutachte Kleider, Handtaschen, Schmuck und Frisuren. Ab und zu versuche ich zu schätzen, was die Frauen wohl wiegen, die an mir vorbei in den Raucherraum laufen, und versuche auf der 1 bis 100 Skala des guten Aussehens der weiblichen Gäste meinen ungefähren Standort zu bestimmen, schäme mich ein bißchen für diesen Akt lächerlicher Eitelkeit und esse weiter.

Weil ich am Freitag nach langen, rauchfreien Wochen wieder geraucht habe, rauche ich Samstag nicht, trinke ziemlich langsam zwei Gläser von dem ganz guten Cygnus, den sie hier haben, und schaue ein bißchen herum. Wäre das kein Steakhouse, bleibe ich an einem Paar vor den Kühlschränken hängen, würde ich den Mann für Jonathan Safran Foer halten, aber wenn ein Vegetarier einmal sündigt, dann vermutlich nicht gerade am öffentlichsten Ort Berlins. Eine Frau am Tresen von vielleicht 40 mit langen, schwarzen Haaren trägt ein wunderschönes Kleid von Kenzo, das ich letztes Jahr fast einmal anprobiert hätte, eine andere sehr schöne, sehr hochgewachsene blonde Frau hat ein graues, gerafftes Kleid von einer französischen Designerin in Mitte an, von der ich auch zwei Kleider habe. Dem Mann am Nachbartisch dagegen sollte mal jemand sagen, dass seine Uhr barbarisch aussieht. Unablässig läuft am Tresen vorbei Helene Hegemann zum Rauchen und zurück. An ihrer Stelle würde ich mir das Essen in den Raucherraum bringen lassen, geht es mir durch den Kopf, aber das ist vielleicht gar nicht erlaubt oder es gefällt ihr einfach aus so einem gewissen Bewegungsdrang heraus, den ganzen Abend durch das Lokal zu spazieren.

Mit dem J. diskutiere ich ein bißchen hin und her, was man noch so machen könnte, Samstag nacht, und ertappe mich bei dem Gedanken an eine Tasse Tee und das fast ausgelesene Buch in meinem Bett. „Es geht um zwei New Yorker Messies, von denen einer blind ist.“, berichte ich dem J. die ungefähre Exposition des Werkes. Der J. nickt leicht abwesend und schaufelt weitere Bohnen auf seinen Teller. Aus Bequemlichkeit bestellt der J. in den meisten Restaurants immer dasselbe, im Alt Wien um die Ecke also beispielsweise immer das Schnitzel, im Pappa e Ciccia immer Vitello Tonnato und danach Pasta mit Ragù, und im Grill sind es gebackene Kartoffeln, Bearnaise, 250 g Filet, davor der Salat mit den Frischkäsebällchen und danach die Crème brûlée. Ich esse heute Schnecken. Filet Tagliata und den Schokokuchen von der Tageskarte.

Ich gähne. Gegen Ende der Berlinale ist die ganze Stadt schon eher ziemlich müde, das gilt auch für mich. Die Vereinbarkeit von Berufs- und Nachtleben, sage ich dem J., ist ein zu Unrecht vernachlässigtes Problem. Nach Hause aber will ich nun doch nicht fahren, vielleicht besser irgendwo in braunen Clubsesseln liegen, ein Gin Tonic in der Hand, ein Crémant möglicherweise, eine heiße Schokolade eventuell und sehr, sehr langsame Gespräche führen über möglichst belanglose Dinge. Zusehen, wie das Eis in den Gläsern schmilzt.

Am Ende aber dann doch keine Sessel, am Ende in der King Size Bar, ganz am Ende und eine Taxifahrt später dann daheim und mit der Zahnbürste im Mund vor dem Spiegel stehen, der keine Antworten gibt, wenn man ihn fragt, wer denn die Schönste ist im ganzen Land auf einer Skala von 1 bis 100.

Journal :: 31.10.2010

Damals, mein Kind, als die Kalorien noch gar nicht erfunden waren, tat man an Krautfleckerl nicht nur mageren Schinken ganz ohne Fett wie ich gestern. Meine Großmutter – Du hast sie nicht mehr kennengelernt – kaufte beim Metzger statt dessen durchwachsenen Speck und der Metzger schnitt ein sieben oder acht Zentimeter breites Stück von einer ganzen Speckseite. Das würde gewürfelt.

Meine Großmutter hatte Messer, so große Messer kann man heute kaum mehr kaufen. Überhaupt war alles in ihrer Küche etwas größer. Ihr größter Topf ging mir bis zum Bauch. Die Familien waren größer als heute, es aß aber auch jeder für sich viel mehr. Der Speck war deswegen gerade richtig portioniert für vier: Mein Cousin, meine Schwester, meine Großmutter selbst und ich.

Während meine Großmutter den Speck mit dem großen Messer in Würfel schnitt, schnitt ich mit einem kleinen Messer Zwiebeln. Für Krautfleckerl muss man die Zwiebeln nicht so fein schneiden. Am besten ist es, die Zwiebelstückchen sind so groß wie das gehobelte Kraut. Man braucht mindestens zwei große gelbe Zwiebeln und einen kleinen Kohlkopf dazu.

Für Krautfleckerl nahm meine Großmutter eine ganz große, weiße Pfanne mit einem hohen Rand. Keiner weiß, wo diese Pfanne geblieben ist. Vielleicht ist sie weggeworfen worden. Mir tut das leid. Ich habe keine solche Pfanne, ich nehme eine runde Pfanne von Le Creuset, aber da passt nur ein Essen für zwei hinein wie am Sonntag. Meine Großmutter kochte nie für weniger als eine Großfamilie und eventuell überraschenden Besuch und hatte aus Prinzip nur riesige Töpfe und gigantische Auflaufformen und hätte über weniger als drei Kilo Gulasch wahrscheinlich nur gelacht.

In der riesigen Pfanne ließ meine Großmutter den Speck aus. Das sah gut aus. Das Fett floss auf dem Herd aus allen Seiten aus dem Speck. Wenn es anfing zu brutzeln, schüttete die Großmutter Zucker dazu. Den Zucker verwahrte sie in der linken Schütte im weißen Schrank. Dann wurde gerührt. Meine Großmutter trug eine Schürze, wenn sie rührte. Wenn es spritzen konnte, trug sie ein Kopftuch, und auch ich hatte eine kleine Schürze um, rot mit weißen Tupfen.

Wenn der Zucker braun war, kamen die Zwiebeln dazu. Später das Kraut und der Kümmel. Kümmel hatte meine Großmutter in einem ziemlich fleckigen Ubena-Döschen, das ab und zu nachgefüllt wurde. Die Fleckerl waren schon fertig, die kamen erst ziemlich zum Schluss und warteten in einer weiß emaillierten Schale mit blauem Rand auf ihre Verwendung. Bis dahin musste es die ganze Zeit ziemlich laut brutzeln und duften. Ohne duftende Dampfwolken ist so ein Essen nicht richtig, und deswegen stand das Fenster die ganze Zeit weit offen. Aus dem Küchenfenster konnte man in den Garten schauen, über die Teppichstange in den Hof und dann über die Beete. Der schöne Garten mit den Blumen war zur anderen Seite hinaus.

Wenn die Fleckerl auch schon bräunten, deckte ich den Tisch. Meine Großmutter hatte für Alltags ein geblümtes Service, mehr so Sechziger, und ein einfaches, elfenbeinfarbenes mit Goldrand. Jeder bekam eine Serviette in einem Strohring. Außer Sonntags gab es kein Silber, sondern nur WMF. Auf dem Tisch standen immer ein paar Blumen, die pflückte meine Großmutter im Garten und nahm jeden Morgen die verblühten Blumen aus dem Strauß und steckte neue dazwischen.

Wenn ich mit dem Eindecken fertig war, schlug ich den Gong. Nur auf den Gongschlag kamen alle zum Essen, denn nur der Gong war wirklich überall zu hören. Wer den Gong nicht hörte, war taub oder tot. Meine Großmutter schmeckte derweil die Krautfleckerl mit Essig ab und verrührte saure Sahne mit Schnittlauch. Meistens dekorierte sie noch den Nachtisch (Flammeri, Gelee, vielleicht auch Grieß) mit ein paar frischen Früchten. Manchmal schlug sie noch ein bißchen Sahne dazu, denn die Kalorien, mein Kind, waren ja noch gar nicht erfunden.