„Wissen sie,“, spricht mich eine Stimme schräg hinter mir an. „Engel sind unter uns. Aber die Menschen töten sie. In jeder Stunde sterben Tausende von Engeln und keiner tut etwas dagegen.“ – Irritiert drehe ich mich um. Die Frau, der die Stimme gehört, schaut mich aus grauen, sehr runden Augen an. Ungefähr vierzig, schätze ich, und von einer Adrettheit, die die Versandhäuser „flott“ nennen, und die etwa die tüchtigen Sachbearbeiterinnen des öffentlichen Dienstes kleidet: Bequeme, sandfarbene Jeans, ein geflochtener Gürtel mit großer Schnalle, flache, braune Schuhe und eine buntgestreifte Bluse. Um den Hals trägt sie eine goldene Kette mit einem Anhänger, der vielleicht ihr Sternzeichen symbolisiert. Vor dem Fenster zieht die gleichgültige, leicht eintönige Landschaft Brandenburgs vorbei, und der Regionalexpress ist so gut wie leer.
„Aha.“, sage ich, weil mir nichts Besseres einfällt, und wende mich wieder meiner Zeitung zu. Es ist kurz nach acht Uhr früh, und ich bin müde, müde, müde. Lang war die Nacht, und Schlaf ist derzeit eine rare Ware. – „Ich habe ein Buch gelesen!“, insistiert die Frau und senkt die Stimme, als verrate sie mir ein Geheimnis in dem leeren Waggon. „Ich lese andauernd irgendwelche Bücher, und für Engel habe ich keine Verwendung.“, verkneife ich mir zu erwidern und starre noch konzentrierter in die Zeitung. Die SPD, entnehme ich meinem am Alex erworbenen Periodikum, sei gegen einen Abbau des Kündigungsschutzes, die CDU dagegen wolle Sozialbetrügern an den Kragen, und die GRÜNEN scheinen irgendwie ausgestorben zu sein, seit sie nicht mehr regieren.
„Es gibt 24 verschiedene Arten von Engeln.“, berichtet die Frau. – Und es gibt einige tausend Sorten Käse, fällt mir ein, und ich lese weiter. „Bitte,“, sage ich. „Ich habe gleich einen Termin. Lassen sie mich jetzt weiterlesen?“, und blättere geräuschvoll um.
„Sie gehören auch zu diesen Leuten, die Engel töten.“, schlägt die Stimme der Frau auf einmal um ins Gehässige. Sie wird lauter. „Sie bringen sie um mit ihrer Gleichgültigkeit, sie bringen sie zum Weinen!“, – Sie bringen mich gleich zum Weinen, knirsche ich mit den Zähnen. „Bitte seien sie still.“, sage ich statt dessen ruhig und nachdrücklich, und die Frau schnappt ein paarmal nach Luft, als wolle sie noch viel mehr sagen, aber die Wucht der Worte sei zu viel für ihren Mund. Dichtgedrängt, zusammengequetscht, verstopfen die Worte auf ihrer Zunge sich gegenseitig den Weg, und ihre Versuche, mir mehr über diese Wesen zu berichten, scheitert zum Glück an ihrer Unfähigkeit, mehr herauszubekommen, als das Geräusch eines hastigen Lufteinziehens. „Dann wünsche ich ihnen noch einen schönen Tag.“, beende ich die Kommunikation. Wortlos erhebt die Frau sich, reißt brüsk ihre Handtsche an sich, als hätte ich nach ihr gegriffen, wechselt das Abteil, und als ich nach einigen Minuten einmal durch die Tür ins nächste Abteil schaue, sitzt sie zwei Schulkindern gegenüber, 15 oder 16 Jahre alt vielleicht, Mädchen in bunten, etwas billig anmutenden Jacken, und redet weit vorgebeugt eifrig auf die beiden ein.
es gibt 25, ich bin sicher! 😉
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Gut, also 25. Wissen Sie auch, wie die einzelnen Arten heißen? Die fremde Frau wollte mir alle Einzelbezeichnungen aufzählen, aber ich rede ja nicht mit fremden Leuten.
REPLY:
seraphime, cherubime, throne, mächte, gewalten, erzengel, … weiter weiß ich grad nicht.
ich gehöre übrigens zu den gefallenen. aus der heerschar der ungehorsamen, wenn ich mich recht erinnere.
Ich töte sie nicht, aber ich werfe immerhin ihre Geschenke weg, wie sie bei mir drüben nachlesen können. Shoot to thrill, zitiere ich an dieser Stelle nur allzugerne AC/DC.
Welche Not
mag diese Frau umtreiben? Vielleicht das jüngste Massaker us-amerikanischer Soldaten im Irak – wie immer angeblich im Dienste des Friedens begangen? Oder vielleicht etwas anderes aus der unermesslichen Zahl täglicher Massaker und Katastrophen? Menschen, die ihre Not damit auf welche Weise auch immer verbalisieren, sind noch nicht ganz tot.
Die göttliche Kohorte….unterwegs…
„Wer hörte mich denn aus der Engel Ordnungen“…beschwerte sich bereits Rilke in seinen Duineser Elegien, aber der saß sicher nicht in einer Regionalbahn, sondern in einem gräflichen Schloss, von dem aus sich trefflich die Armut als „großer Glanz von innen“ bedichten ließ.
Wie viele Engel er mit dieser Behauptung geschossen hat, ist allerdings bislang unerforscht geblieben…!
Erforscht wurde hingegen, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz nehmen können; es sind Zigtausende…!
Mir jedenfalls will der Gedanke an die Existenz von Engeln alles andere als unsympathisch erscheinen…!
(Weitere Chauvinismen erspare ich mir und Ihnen an dieser Stelle…)
Wie dem auch sei…:
Die beklagenswerte Gleichgültigkeit gegenüber dieser Spezies trägt ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung für die gegen Minus tendierende soziale Temperatur in unserer irdischen Heimat…!
Deshalb scheue ich mich nicht, die Parole auszugeben:
Jedem den Seinigen!
Jeder den Ihrigen!
Richtig so, Burnster, seien Sie bloß vorsichtig mit Geschenken. Denken Sie an die Geschichte mit dem grßen pferd aus Holz – die hätten auch besser einfach die Müllabfuhr gerufen.
Und tot, Herr Sokrates, mag die dame nicht gewesen sein, aber anstrengend, anstrengend war sie auf jeden Fall. Und was die Engel angeht, habe ich nichts gegen derlei himmlisches Personal, hege auch ein gewisses Faible für geflügel jeder Art und Größe, Herr Wallhalladada, finde aber, sie hätten bessere Publicity verdient als diese Dame.
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Die Frau hat ganz einfach Recht:
http://www.neubauten.org/en-disca-05-04.html
Wenn man
an Engel glaubt, heißt das noch lange nicht, dass es sie nicht gibt…
der coolste engel
ist und bleibt nicolas cage in „stadt der engel“ und die beste szene jene in der mit schwarzen engeln übersähten bibliothek
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Ist das nicht der Abklatsch von Der Himmel über Berlin? Cool sind die Engel aus Dogma.
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Da haben Sie, Frau Arboretum, natürlich recht. Und mir hat der Himmel über Berlin ungleich besser gefallen als das amerikanische Remake, Frau Ninscha, obwohl Sie mir Nicolas Cage nicht unrecht haben.
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Realität und Imagination stehen zueinander ja weder im Verhältnis der Deckungsgleichheit noch der Ausschließlichkeit, sondern schlicht im Verhältnis völliger gegenseitiger Unabhängigkeit.
Das ist vielleicht auch besser so.