An der Strandpromenade stehen, die Hände an der Stange der Abgrenzung, hinter der es ein paar Meter hinunter geht zum Strand. Links von mir geht die Sonne unter, und die Kreuzfahrtschiffe leuchten als seien sie etwas anderes als schwimmende Altersheime, auf denen eng zusammengepfercht alte Frauen ein letztes Mal das Meer befahren. Ein gleitendes, schwimmendes Fest zieht vorbei, ein paar Fetzen Musik weht der Wind an Land, ein paar Takte Cole Porter, und der Wind zieht an meinem Haar, als müsste ich mit, und an Deck irgendeines Schiffes die Küsten entlang fahren, bis ich irgendwo wäre, wo ich jemand anders sein könnte, leichter und wehender und ohne mein schwarzes, klumpendes Blut, auf dem die schweren Träume Schlacken laden. Eine gleitende Abwesenheit möchte ich sein, eine Reisende mit nicht mehr als einem Koffer, ein bißchen Wäsche und ein paar Erinnerungen vielleicht.
Ein schwimmendes Fest, denke ich wieder, als ich über die Jannowitzbrücke fahre, auch wenn die Spree nicht das Meer ist, und das Schiff nur ein Boot, und die Leute unter den Lampions frieren werden in diesem blaugrünen, unreifen Juni. Ein Kind aber winkt den Feiernden zu von einem verwaisten Ausflugsschiff, und die Fahrenden winken zurück, wie auch mir die alten Damen zugewinkt haben, vor so vielen Jahren vom Deck eines Kreuzfahrtschiffs Richtung Süden.
Vielleicht sind die alten Damen heute alle tot, vielleicht befahren sie immer noch die Meere und essen Hummer und Steak mit ihren falschen Zähnen. Vielleicht fahre auch ich eines Tages auf einem Kreuzfahrtschiff irgendwohin, aber ein Fest wird es wohl nicht werden, wie alles nur aus der Ferne leuchtet, ich weiß nicht, warum.
Ich war auf diesem Schiff; auf diesem Boot. Mehrfach. Jedes Mal eine Gradwanderung, in gewisser Hinsicht. Aber auch eine Oase. Frei schwimmend.
Ferne Feste…
Warum alles nur aus der Ferne leuchtet, wüsste ich auch gerne, aber irgendwie scheint Ihr Text die Dunkelheit dieses Nichtwissens zu illuminieren…
…………………………………………………..
…………………………………………………..
…………………………………………………..
…jetzt glaube ich zu wissen, was da genau Ihren Text auszeichnet: Er ist auratisch im Sinne Benjamins, der Aura sinngemäß definiert, als „Erscheinung einer Nähe, so fern diese auch sein mag“. Vielleicht begebe mich deshalb immer wieder gerne auf die schwanken Planken Ihrer Texte, weil sie dieses fremde Gefühl der Nähe erscheinen lassen!
selbst der juni sah aus der ferne besser aus. im januar zumindest habe ich mich drauf gefreut.
REPLY:
Hm. Man sagt zwar, nur der Schein sei wahrhaft rein, aber in meinem Leben leuchten die wirklich schönen Dingn auch aus der Nähe. Oder gerade…
Orplid …
ist immer noch weit, egal, wie lange man reist und wie oft. Kein weißer Kasten bringt uns jemals bis dort, nicht um alles Geld der Welt.
Also ist es uns bestimmt, nach unserem inneren Kreuzfahrtschiff zu suchen, es zu besteigen und in und mit uns selbst nach dem von Meer und Sonne dampfenden Strand zu fahnden, der jedem von uns zugedacht ist. Denn dort werden wir nicht sterben: dort werden wir sein.
Wohl dem, der darum weiß – und die alten Damen in ihren weißen Kästen ohne jedwede Wehmut vorüberziehen lassen kann. Ja: wahrscheinlich sind sie alle tot.
In guten Texten – wie Ihrem, liebe Frau Modeste – sind solche Gedanken schon angelegt – und auch die anderen.
Ich auch, Herr King Fisher. Aber die Abwesenheit als Sehnsuchtsort verspricht ja regelmäßig etwas, was sie nicht halten kann, solange man anwesend sein wird, wo auch immer. Und mit der Anwesenheit wird, Herr Wallhalladada, auch die Illumination verschwinden, um deren Greifbarkeit man Dich, Che, beneiden könnte. Obwohl – manches ist sozusagen annäherungsbeständig, und nach manchem anderen sollte man nicht greifen. Aber es ist gut, dass die weißen Strände des Traums, die fernen Inseln ohne Fehl und Makel, Herr Reuter, überhaupt zumindest in unserer Vorstellung existieren, denn dieser, wie man weiß,
wird die Realität schließlich kaum standhalten.
Und der Juni, Detika, hät vielleicht noch, was er versprach, Anfang Mai.
Die Damen auf den Kreuzfahrtsschiffen sind inzwischen jünger, so um die vierzig, Männer gibt es auch, kaum älter, und statt Cole Porter wehen die Stranglers, la folie, über das gutbesetzte Deck. Die Lampions sind immer noch da, warum weiß niemand, aber neben Steak und Hummer gibt es auch Vegetarisches oder gar nichts. Und irgendwann wird es auch wieder Feste geben, auf dem kreuzsüchtigen Schiff. Und von der letzten Brücke wird ein Kind herabwinken, sehnsüchtig…
REPLY:
Und auch diese Feste wären eine Enttäuschung.