The Technicolor Zen of Unterschicht

Früher, also ganz früher, als in Berlin noch ein Kaiser saß, oder sogar noch viel früher, als es noch nicht einmal einen Kaiser gab, sondern bloß einen König von Preußen, waren die Verhältnisse klar: Es gab sehr viele Bauern, überhaupt war fast jeder Bauer, und alle Bauern arbeiteten den ganzen Tag. Über den Bauern gab es Bürger, die arbeiteten zwar auch ziemlich viel, hatten abends aber noch Zeit, ein bißchen Hausmusik zu machen oder Gedichte oder genug Scherenschnitte, um alle Wände für die nächsten 300 Jahre damit zuzuhängen.

Über den Bauern und Bürgern aber thronte, breitbeinig und stiernackig, der Junker, der adelige Herr, und arbeitete so gut wie gar nicht. Aus purer Langeweile ergab er sich der Gartenbaukunst, sammelte Gemälde, die andere Leute gemalt hatten, und tanzte, jagte, bekam Kinder, und ab und an zog er in den Krieg. Manchmal starb er dabei, meistens starben nur die anderen.

Dann aber verloren die Junker allzu viele Kriege, in Berlin saß kein Kaiser mehr, sondern bloß noch Präsidenten, die Junker wurden irgendwann von der Roten Armee aus ihren Schlössern vertrieben und mussten sich Berufe suchen, und die Bauern, die längst keine Bauern mehr waren, sondern Facharbeiter bei VW oder Siemens oder so, bekamen jedes Jahr mehr Geld. Häuser kauften sich die gewesenen Bauern, Fernsehgeräte und Kraftfahrzeuge, traten dem Bertelsmann Buchclub bei, ließen sich viermal im Jahr ein Buch schicken, und fuhren jedes Jahr dahin, wo es warm ist und Palmen wachsen.

Ziemlich viel Arbeit war es natürlich trotzdem. Morgens ging der Bauer, der jetzt Arbeiter war, mit seiner Brotdose aus dem Haus, und kam abends ganz zusammengedrückt nach Hause. Seine Frau putzte irgendwo, und beide legten sich mächtig krumm, damit ihr Sohn Zahnarzt werden konnte.

Besonders glücklich war der Arbeiter nicht. Die Raten fürs Haus waren hoch, der Wagen ständig kaputt, der Sohn fiel durchs Physikum, und seine Frau trug den ganzen Tag Kittelschürzen und Besenreiser an den Beinen. Zwar setzten sich die Gewerkschaft und die SPD mächtig dafür ein, dass alles immer besser wurde, die Arbeit weniger, das Geld mehr, die Fernseher größer und das Physikum leichter, trotzdem verspürte der Arbeiter nachts, wenn er nach Hause kam, einen bohrenden Schmerzin der Brust, die Leere des Lebens drückte ihm das Herz ab, das ganze Gewicht seines Seins fiel ihm auf den Kopf, und eines Tages wurde er Buddhist.

Was Richard Gere kann, kann ich auch, sagte sich der Arbeiter. Inneren Frieden durch Verzicht, predigte er seiner Frau. Warum 2.500 Euro, wenn die Hälfte auch reicht, erkannte er und kündigte seinen Job. Mühelosigkeit, stellte er sich vor. Schmerzlosigkeit, ein sanftes, buntes Fließen, fernab der grellen und billigen Extasen der Moderne, ein Reich jenseits des Rauschs und der vergeblichen, scheinbaren Siege, wünschte sich der Arbeiter und stand morgens einfach nicht mehr auf. Wenn er aufstand, trug er nur noch Jogginghosen, die ihn nicht beengten, trank Bier, das das Leben weich zeichnete, ein wenig wattig, und bat seine Frau, sich auch so bunt anzumalen wie die Damen, die man im Fernsehen sieht, um sich einer unkomplizierten, ungezwungenen Sinnlichkeit hinzugeben und nackt unter blühenden Bäumen mit lauter anderen Arbeitslosen wie die Kinder Gottes am ersten Morgen der Welt an der Ostsee einherzuwandeln.

Irgendwer aber, so erkannten die Anführer der deutschen Arbeiterbewegung, musste die ganze Veranstaltung bezahlen. Autos bauen konnten zwar auch unbuddhistische Leute irgendwo anders, Essen kochen muss auch keiner, der eine Microwelle hat, und überhaupt war es gar nicht nötig, dass die Arbeiter arbeiten, wenn nur andere Leute arbeiten und von ihrem Geld abgeben, und irgendwer mit seiner Arbeit den deutschen Buddhismus bezahlt.

Jahrhundertelang, rechtfertigten die deutschen Arbeiterführer ihr Tun, hätten die Bürger und Junker ihre Hände in den Schoß gelegt. Nun sei die Zeit gekommen, den Spieß einmal umzudrehen, die Arbeit radikal zu verschieben, diejenigen zwölf Stunden am Tag in die Büros zu scheuchen, die derlei auch einmal getan hätten, und auf diese Weise den friedlichen, knallbunten Buddhismus zu finanzieren, den die Arbeiter sich, wie jeder billig und gerecht denkende Mensch kaum bestreiten könne, über Jahrhunderte redlich verdient hätten.

Sollen die doch, deuteten die Arbeiterführer abfällig in Richtung der himmelstrebenden Türme des Geldes, arbeiten, bis sie mit vierzig tot an ihren Schreibtischen umkippen. Sollen die doch weiter glauben, die Herren der Republik zu sein und zu bleiben. Sollen die doch verdienen, was sie wollen, wenn nur der ehemalige Arbeiter mit dem seligen Lächeln derer, die erkannt haben, dass das Leben nicht mehr zu bieten hat als das Glück der Schmerz- und Wunschlosigkeit, auf seinem Sofa sitzen kann, das er, wie man weiß, nicht mehr verlassen wird, denn dort ist es schön.

7 Gedanken zu „The Technicolor Zen of Unterschicht

  1. jawohl

    man leidet immer nur von denen, die einem beobachten. um ohne leid durch die welt zu gehen, muss man nur suchen, möglichst unerkannt zu bleiben, hat schon goethe entdeckt.
    das heimatliche sofa bietet sich geradezu an für den heimlichen buddhismus

    meint und grüßt ganz artig von der couch

    Mukono

  2. Du liebe Güte 😉
    Fast schäme ich mich ein wenig für meine ständige Quengelei.

    Ich gebe meinen Vorrednern Recht: Diese Art Perspektivenwechsel ist eine, auf die man sich gerne einlässt. Um dabei dann wieder einmal zu entdecken, dass die lauten Töne doch auch nur aus der Bequemlichkeit heraus geboren worden sind.

    Phantastisch.

  3. REPLY:

    Na ja, den frustrierten Langzeitarbeitslosen macht diese Erzählung aber auch nicht satt.
    Insofern: Amüsant zu lesen, gut fabuliert, aber nicht gerade realitätstauglich-was es
    ja auch gar nicht sein soll.

  4. Ich mag hier und heute auch nur meinen Vorrednern nach dem Mund reden. Perspektivwechsel sind das, was die Wahrnehmung immer wieder erfrischend hält und die wirklich interessanten Einblicke erst ermöglicht.

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