Die schwesterliche Weihnachtsfalle

Exposition (Weihnachten 05)

„Sü-üße!“, flötet Schwesterchen und wirft mir ein Geschenk in den Schoß. „Wir wollten uns doch nichts schenken.“, wehre ich ab. Ich habe vereinbarungsgemäß nichts gekauft. Eine Minute später ist klar: Schwesterchen auch nicht. Auf dem ausgewickelten Teepäckchen klebt der Aufkleber eines Berliner Teegeschäfts, in dem ich ein Jahr vorher mehrere Tees erworben habe, um sie Schwesterchen ergänzend zu einigen anderen Utensilien zur Teezubereitung zu überreichen.

„Hat dir der Tee nicht geschmeckt?“, schleudere ich schwerst beleidigt Schwesterchen das Päckchen zu. „Nun mach‘ doch nicht auch noch Weihnachten Stress!“, stürmt das erboste Schwesterchen davon. „Modeste kann man’s auch nicht recht machen.“, beschwert sie sich bei meiner Mutter und wirft die Tür hinter sich zu. „Das ist doch nicht so schlimm.“, befindet meine Mutter. Ich hätte halt so tun sollen, als hätte ich das Versehen gar nicht bemerkt. „Wenn sie den Tee eh nicht trinkt, kann sie ihn doch verschenken.“, beendet meine Mutter die Diskussion und merkt irgendwann später gegenüber Schwesterchen an, zukünftig besser darauf zu achten, wem sie welche Geschenke weiterschenkt.

Mitte November 2006 beschließe ich daher: Schwesterchen bekommt auch diesmal nichts. Zum einen gilt die Verabredung an sich nach wie vor, uns nichts zu schenken. Zum anderen habe ich mich über Schwesterchen mächtig geärgert, die im Oktober befand, für einen dermaßen langweiligen und unspektakulären Job wie meinen müsste man schon als eine Art Schmerzensgeld mehr Gehalt beziehen, als ich bekomme.

Szenario 1 (die Keiner-schenkt-was-Variante)

Das ortsabwesende Schwesterchen bekommt also kein Paket, und schickt auch mir nichts nach Berlin. Weihnachten sitzt Schwesterchen also bei der Familie ihres Freundes auf dem Sofa, packt das elterliche Geschenk aus, und ruft kurz an oder wird kurz angerufen. „Sü-üße!“, wird sie flöten. „Frohes Fe-est!“, und dann legen wir beide wieder auf.

„Meine Schwester hat einen echten Schaden.“, wird Schwesterchen gegenüber der fremden Familie als Begründung anführen, warum wir uns nicht schenken, und bei der sicherlich irgendwann stattfindenden Hochzeit werden mich alle anstarren, und versuchen, herauszubekommen, was bei mir nicht stimmt, und warum ich das reizende Schwesterchen nicht mag.

Wahrscheinlich Neid, werden sie denken.

Szenario 2 (Die Schwesterchen-schenkt-was-Variante)

Das Schwesterchen geht also in ein Geschäft (oder kramt ein bißchen in den Geschenken des Vorjahres) und packt mir irgendwas ein. Vielleicht bekomme ich auch ein Werbegeschenk, das ihr Freund von Geschäftspartnern erhalten hat. Obstbrand etwa, das mögen wir beide nicht. Oder ein Dekorationsobjekt. Schwesterchen mag Dekorationsobjekte wie etwa luxuriöse, handgezogene Kerzen oder Vasen aus Terrakotta, die mediterrane Leichtigkeit auch in meinem Heim verbreiten.

Weihnachten bin ich also gezwungen, anzurufen und mich zu bedanken. Irgendwann nach Weihnachten wird Schwesterchen zu Hause anrufen, wenn meine Eltern wieder aus dem Urlaub zurück sind, und berichten, dass sie mir ein „klitzekleines Geschenk, gar nicht teuer“ gekauft habe, denn „es geht ja auch nicht ums Geldausgeben, nur dass man zeigt, dass man sich mag.“, oder so ähnlich, und dann stehe ich da als gleichgültiges Biest ohne Familiensinn.

„Wahrscheinlich Neid.“, wird meine Mutter seufzen und sich vornehmen, mit mir mal ernsthaft darüber reden, dass sie zwei großartige Töchter hat, von denen jede ihre ganz eigenen Vorzüge hat.

Szenario 3 (Die ich-schenke-was-Variante)

Die dritte Variante ist die Offensive. Ich packe meiner Schwester großartige Geschenke wie etwa exklusive Seifen im edlen Präsentkarton oder 250 Gramm original belgischer Pralinen in der Nostalgiebox ein und schicke alles per Post zur Familie ihres Freundes.

„Sü-üße, wir wollten uns doch nichts schenken.“, wird Schwesterchen Weihnachten anrufen und ein bißchen jammern, dass ihr das jetzt aber total unangenehm ist. Also sie hätte ja gedacht, wir schenken uns nichts. Da hätte sie sich ja auch dran gehalten, ansonsten hätte sie mir ja auch was geschenkt, aber so sei das eigentlich unfair, wird Schwesterchen lamentieren, und die Familie ihres Freundes wird ihr beipflichten.

„Und dazu nur so Schrott.“, wird Schwesterchen die exklusive Seife oder die original belgischen Pralinen auf den Couchtisch schleudern. „Hat sie bestimmt selbst geschenkt bekommen.“

Nach Szenario 4 wird noch gesucht.

19 Gedanken zu „Die schwesterliche Weihnachtsfalle

  1. Szenario 4 (Beide schenken was) – Vorschlag

    Frau Modeste schenkt ihrem Schwesterchen eine mediterran-leichte Terracottavase und harrt der Dinge.
    Sie selber werden ein ähnliches Objekt erhalten, welches Sie dann bei nächster Gelegenheit zurückschenken können.

    (Das ist ja hier schon die zweite mathematische Herausforderung in kurzer Zeit!)

  2. Auf alle Fälle würde ich ihr jetzt diesen Text faxen und sie fragen, welches Szenario sie denn gerne hätte … liebe Modeste, so weitreichende wichtige Entscheidungen solltest Du nicht alleine treffen müssen sondern unbedingt Dein Schwesterchen um ihre Meinung befragen …

    Womöglich ist ihre 4. Idee die Beste von allen?

    Ach ja, ein besonders boshaftes Geschenk für Schwesterchenchens (wie iss’n der Plural von Schwesterchen?) sind Stützstrumpfhosen. 😉

  3. Hätte ich nicht ein eigenes Schwesterchen (das mir übrigens NIE etwas schenkt und dann irgendwas als Geschenk für sich aus meiner Wohnung mitnimmt), hätte ich die Geschichten vom Schwesterchen wirklich vermisst. Putzig. Darf ich zu einem Fetzenkrach kurz vor dem Fest raten? Vielleicht ein dezenter Hinweis auf ihre Orangenhaut an den Beinen. Dann erledigt sich das Problem auf 4 Wochen von selbst.

  4. Szenario 4

    Weihnachten einfach zu Hause bleiben – Familie ignorieren und nicht darüber nachdenken, was die Familie wohl so über einen denkt. Keine Geschenke schicken und statt dessen einfach ein paar freie Tage genießen.
    Seit ich das so regele, macht Weihnachten wieder richtig Spaß. 🙂

  5. Da ich eine Schwester ähnlichen Kalibers mein eigen nenne, hilft Ihnen vielleicht meine derzeitige Strategie. Sie schenkt mir Fotos von sich, oder Unterwäsche, die sie günstig erstanden hat.So bin ich bei ihr zu Amazongutscheinen übergegangen, wahlweise direkt zu Büchern. Sie gibt zwar mit ihren vollen Bücheregalen an, hat außer dem Klappentext nichts davon gelesen….ein Buch ist zwar ein Geschenk, aber sie kann nichts damit anfangen.Und meine Mutter hat keinen Grund , mich wegen Hartherzigkeit abzuurteilen.Wichtig ist die handschriftliche Widmung, so kann es nicht wandern.
    Ich weiß, ich weiß, ich bin ein Schwein. Aber was soll man machen ;-))

  6. Für die Variante „beide schenken was“ ist es allmählich schon fast zu spät, Frau Acqua, denn wir werden beide fern dem elterlichen Herde weilen, da meine Eltern gar nicht da sein werden. Ich feiere in Berlin und folge also dem Rat des Herrn Schwarzer. Da wird es nicht einmal mit Stützstrumpfhosen was, Frau Creezy.

    Don Alphonsos Schwester möchte ich aber auch nicht haben, und ich fürchte, eine Adoption meines Schwesterchens durch Don Alphonso wird an dessen Unwillen scheitern, Frau Arboretum.

    Aber über Frau Crocos Vorschlag denke ich ernsthaft nach. Für eine schnelle Büchersendung wird es sogar vielleicht noch zeitlich reichen. Frau Netbitch und ich sind uns da völlig einig – ein Supervorschlag!

    Aber was ist angemessen abstrus, um es Schwesterchen zu schenken? Ich denke da ja an langweilige Klassiker der Weltliteratur. Stifter? Oder etwas moderner, aber auch sehr fad: Handke? Gegenschläge, herr Nielsson, würden mich da ja wenig schrecken.

    Fällt jemandem etwas angemessen Abseitiges ein?

  7. Also, ich würde mich jetzt nicht alleine auf die Weltklassiker konzentrieren wollen: aber sehr schön fände ich des Herrn Bugalkow sein „Der Meister und Margarita“ – wenn sie sich da doch durchbeisst und es dennoch nicht versteht, kommt sie schön schlecht drauf. (Weihnachtsgeschenk mit Nachklang bis Ostern!) Schön finde ich auch Literatur, die sich mit den Schwächen der eigenen Sexualität auseinander setzt. So etwas wie „Die Kunst des Küssens“ und ähnlichem. Eine kleine boshafte Unterstellung und sie wird noch monatelang später überlegen, was Dir ihr Lebenspartner wohl gesteckt haben könnte … angestrengte Luft im privaten Haushalt Deiner Schwester für die nächsten sechs Monate garantiert. Also auch ein Geschenk von dem sie etwas länger was hat. Und wenn wir ihr wirklich weh tun wollen: Nietzsches Werke 1 – 4 – aber dann auch gleich sehr subtil den Staubwedel dazu schenken. Man könnte selbstverständlich auch hinten einen Zeitungsausschnitt von einer privaten Schule für Psychotherapeuten beilegen, falls sie danach den Wunsch zu einer Umschulung verspürt.

    *boshaft-mode aus* pfui creezyne!

  8. Wenn ich mich nochmals einklinken darf:
    *Sigmund Freud würde ich für passend halten.
    Oder eine *Geschichte der Naturwissenschaften, da gibt es sicher mehrbändige und günstige Werke.
    *Lyrik von Hölderlin als Gegenpart für ihre robsute Seele.
    Drei Bücher reichen 🙂

  9. REPLY:

    Bulgakow, liebe Frau Creezy, schätze ich ja sehr, der ist nicht fad genug. Vielleicht wirklich besser Hölderlin, obwohl ich den auch mag, aber Schwesterchen bestimmt nicht? Oder eine sturzöde Biographie, von denen ich ja nie verstehe, wer überhaupt sowas liest? Bultmanns Kirchengeschichte? Die Autobiographie irgendeines Generals?

    Der Möglichkeiten sind viele.

  10. Dann bleibt nur die Biographie von Dieter Bohlen. Diese lesen zu müssen, das stelle ich mir schlimm vor. Aber Du hast ja das Glück, weil Bio Nr. 2 auch schon draußen ist, Deine Schwester im Sommer zu fragen, wie ihr das Buch gefallen hat und bei der höflichen Antwort ihrerseits schon mal die Widmung in Band 2 schreiben.

  11. REPLY:

    Hmm. Ich hätte noch einen Vorschlag: „Populationsdynamik der
    Blutgruppensysteme des Menschen“. Wenn die Schwester nicht gerade
    Genetikerin ist, stellt ein solches Geschenk den absoluten K.O. dar: Die
    Schenkende erscheint als intellektuelle Überfliegerin, die der Beschenkten etwas Gutes tun will, die Beschenkte fühlt sich selbst als Volltrottel und will
    nie wieder von Modeste etwas geschenkt bekommen.

  12. REPLY:

    Das Buch, liebe Croco, gebe ich nicht aus der Hand, allenfalls als Kopiervorlage, wenn Du es mir unter Garantie zurückgibst. Wenn Du daran Interesse hat, Mail genügt, die Frau Modeste hat mein Koordinaten.

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