Ans Meer

Die ganze Luft war voller Asche. Die Asche hing in unseren Kleidern, in den künstlichen Wimpern meiner Freundin N., und die Möbel der Bar schienen getränkt mit einem Öl aus verschüttetem Sekt, Puder und Mayonnaise.

Wir waren tanzen gewesen. Genauer gesagt hatte die N. getanzt, und ich hatte am Rande der Tanzfläche auf einem Barhocker gesessen und mit dem G. über die Mädchen gesprochen, die tanzten und sich gegenseitig absichtlich anrempelten und laut lachten. Irgendwann war der G. gegangen, und die N. tanzte weiter, bis das Licht anging. Bis der erste Bus nach Hause fuhr, saßen wir in der Bar gegenüber an der Theke und rauchten. Die N. rauchte ganz lange, schmale Zigaretten, wie sie in diesem Jahr modern waren, und schon im nächsten absolut unmöglich, und als sich zwei Fremde dazustellten, klopfte die N. beide auf den Bauch und sagte irgend etwas, was bei ihr grandios, und bei mir lächerlich geklungen hätte. Irgendwann verschwand sie mit dem Hübscheren der beiden, einen Spaziergang machen, und ich blieb an der Theke sitzen. Der weniger Hübsche rauchte und schwieg, trank Bier, bestellte mir einen Sekt nach dem anderen, und dachte wahrscheinlich an die N., und die Ungerechtigkeit, dass sein Freund mit der lustigen, lachenden N. spazieren gehen durfte, und er mir gegenübersaß, die stundenlang vergeblich versuchte, witziger zu erscheinen, als es der Wirklichkeit entsprach.

„Wann warst du das letzte Mal am Meer?“, fragte er irgendwann, und ich sprach von den Osterferien. Dänemark. Mit Eltern, Schwester und Hund. „Schön am Meer.“, sagte er und schwieg ein paar Minuten. – In sechs Stunden, versprach er nach dem Ende der Pause, könnte man am Meer sein, und in acht Stunden den Sonnenuntergang beobachten, und morgen zurück. „Ist gut.“, sagte ich und rauchte weiter. Mit zwanzig Pfennig in der Tasche rief ich daheim an und gelobte dem Anrufbeantworter Rückkehr am nächsten Abend.

Das Auto des Fremden war klein und alt. „Kannst du überhaupt fahren?“, fragte ich, und er lachte und zuckte die Schultern. Klar. Mit meinem Rucksack auf der Hinterbank fuhren wir los, immer weiter nach Norden. Über der Autobahn ging die Sonne auf und verfärbte die ganze Welt in ein Meer von sanftem, verschwimmendem Rokoko. Unter einem Himmel aus zarten, durchscheinenden Rosa und einem bläulich verwestem Orange fuhren wir dem Meer zu, und die anderen großen und schnellen Autos rasten rechts an uns vorbei. Mit halbgeschlossenen Augen lag ich auf dem Beifahrersitz, rauchte, und hörte dem Fremden mit halbem Ohr zu, wie er von seinem Studium erzählte. Die Uni, so schien es, warf ihm lauter unverdiente Knüppel zwischen die Beine. „Alles nicht so einfach, was?“, fragte ich ab und zu, oder so ähnlich, und er schüttelte den Kopf und erzählte weiter.

Am Nachmittag waren wir da. 2,50 Kurtaxe musste man bezahlen, dann durfte man an den Strand, wo es kühl war und nach Schlick roch, nach Salz und staubigem Sand. Mit dem Kopf auf meiner Jeansjacke schlief ich ein, er rauchte, und irgendwann weckte er mich und wir fuhren heim.

„Hier wohnst du?“, fragte er vor dem Haus meiner Eltern. „Ja.“, sagte ich und: „Tschüß.“, und wartete auf eine Verabredung, eine Telephonnummer oder irgend etwas anderes, aber nichts kam. „Danke.“, sagte er, und ich sagte etwas wie „Gern geschehen.“, und „Dir auch vielen Dank.“

6 Gedanken zu „Ans Meer

  1. Männer reden, Frauen hören zu? Das ist ein albernes Cliché.
    Aber manchmal will man einfach nur von sich Selbst erzählen
    und öffnet sich dabei ja auch.
    Vielleicht haben Sie das erhoffte Happy-End nur aus gewohntem Zynismus heraus weggelassen?

  2. und die anderen großen und schnellen Autos rasten rechts an uns vorbei

    Während dieser Typ Sie vollgequatscht hat, ist er auch noch permanent links gefahren? Das war so eine typische Angewohnheit von Beitrittsbürgern, die ihren Pappautos nicht die vielen Schlaglöcher auf der rechten Spur zumuten wollten.

  3. REPLY:

    Nee, Beitrittsbürger war der nicht. Eher Rhein und Ruhr, aber ich habe nicht gefragt oder es vergessen. Und ein Happy End gab es auch nicht, eine schöne fahrt war’s aber trotzdem, und ob der Fahrer oder die Fahrt entscheidend war, ist so ja meist gar nicht voneinander zu trennen.

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