Ein bißchen verrückt war die Tante G., konnte weder lesen noch schreiben, und ging ihrer Schwester, der Mutter meiner Freundin K., auf dem Hof ein wenig zur Hand. Großes Glück hatte die G., schärfte man ihr immer wieder ein, nicht ins Heim gesperrt zu werden, wie es die Leute in der Stadt einfach taten, wenn eine verrückt war und beim Abwaschen ab und zu einschlief oder das Weiterspülen vergaß und in der Küche stehenblieb, das Geschirr in der Hand, und ihre Hände im Wasser betrachtete, als habe sie sie noch nie gesehen.
Schalt man die G., so weinte sie und bettelte, nicht ins Heim zu kommen. Weinte sie sehr, so nahm ihre Schwester sie ab und zu in den Arm, wiegte sie und klopfte ihr die Wange, bis die G. wieder lachte, weiterspülte, Kartoffeln schälte und sang.
Kochen durfte die G. nur dann, wenn die Hausfrau nicht da war oder aus anderen Gründen nicht kochen konnte oder wollte. Zweimal im Jahr ungefähr, erzählte die K., sei ihre Mutter nämlich krank, weine mehr als die G., stünde tagelang nicht auf, schrie und tobte, und prügelte mit beiden Fäusten auf den Vater ein, der sie habe anbinden müssen, bis es vorbei gewesen sei. Das seien, erklärte sie mir, die Hormone.
Die G. kochte ziemlich schlecht. Abspülen konnte sie gut, Gemüse putzen, besonders gern schabte sie gelbe Rüben, machte die Betten sehr akkurat Ecke auf Ecke, und lachte und sang den ganzen Tag, wenn sie nicht gerade weinte. Besonders gern mochte die G. Kinder, flocht der K. Zöpfe, steckte ihr Gutzeln zu, und erzählte dies und das, was indes, wie K.‘s Mutter versicherte, meistenteils komplett erfunden war, denn eine blühende Phantasie, so tadelte die Mutter, hätte die Tante G., und erzähle den ganzen Tag einen rechten Schmarrn, um sich wichtig zu machen. – Schimpfte die Mutter sie aus, so zuckte die G. jeweils ängstlich zusammen, aus Angst wahrscheinlich vor dem Heim in der Stadt.
Manchmal hatte die Tante G. Schübe, wie man sagt, und der Arzt musste kommen. Dann konnte sie keine Kartoffeln schälen, kein Gemüse putzen und nicht einmal die Betten machen. Nach einem solchen Schub, sagte die Mutter der K., werde es immer ein bißchen schlechter mit der G., und eines Tages werde die G. wohl sterben, denn die Verrückten werden weniger alt als wir. Die K. besuchte dann die Tante G., saß an ihrem Bett, strickte erst eine endlos lange Wollwurst mit der Strickliesel für „Textiles Werken“ und dann eine weitere für mich.
Vor ihrem Tod hatte die Tante G. wenig Angst, denn die guten Menschen, so wusste sie zu berichten, kommen in den Himmel, und dort ist es schön. Eines Tages aber war es dann nicht mit der Tante G. vorbei, sondern mit der Mutter der K., die viel zu viele Tabletten aß und starb. Wochenlang kam die K. nicht einmal zur Schule, und künftig trafen wir uns eher bei mir, wo es keine Schweine gab und keinen Küchengarten, sondern bloß Blumen.
Mit der Tante G. ging es auch bergab, die Schübe wurden mehr, und als sie nicht mehr arbeiten konnte, und keiner da war, sie zu versorgen, packte der Bauer, der Vater der K., ihren Koffer und brachte sie ins Heim. Den ganzen Weg, erzählte die K., habe die Tante G. geweint und geschrien, sterben habe sie gewollt, am Ende aber habe sie es schöner dort gehabt als anderswo. Erzählt aber habe sie nichts mehr, und bald auch nicht mehr sprechen gekonnt, was, wie die Ärzte sagten, ab und zu vorkam bei den Verrückten, und nichts zu sagen hatte, wie man der K. versicherte, wenn sie fragte.
Da haben Sie jetzt schon wieder so etwas hingelegt, liebe Frau Modeste, wo einem der Unterkiefer einfach so runterklappt und hängen bleibt. Uff. Großartig.
geht doch nix über die verschrobenen tanten im leben!
Ganz toller Text! Super geschrieben!
…packend, fasziniert, sprachlos mit den Bildern der G. im Kopf
awesome, beautiful and touching. und, wie immer, in wunderschönste worte verpackt.
Sanftskurriles, wunderbares Porträt, Frau Modeste. Sehr schön!