Hinterm Spiegel

Merkwürdigerweise funktioniert das sogenannte Schöntrinken bei mir selbst ausgezeichnet, und so stehe ich um kurz nach sechs nach ungezählten Gläsern Sekt und Wein vor dem Spiegel im Bad und grinse mich an. „Ist doch alles halb so schlimm.“, versichere ich meinem Abbild und gefalle mir für ein, zwei Minuten ganz gut.

Mein so gelobtes Spiegelbild macht lustige Faxen mit der Zahnbürste im Mund. Der Kater springt erst auf die Waschmaschine, dann auf den Beckenrand, und schnuppert ein bisschen am Wasserhahn. Die Tochter der Nachbarn steht auf dem Balkon und singt der Morgensonne ein Ständchen, und ich versuche mich vergeblich zu erinnern, was ich gesagt habe, den ganzen letzten Abend, und was die anderen, ob ich großen Mist erzählt habe, oder nur so mittelunzusammenhängendes Zeug, und gehe schnell zu Bett, bevor die Nachbarstochter vom Gesang zum Geschrei übergeht, bevor der ungestreichelte Kater ärgerlich wird und mit den Pfoten haut, und bevor sich mein Spiegelbild verzerrt, ausbeult, böse wird, zum Fürchten fremd, und ich die Augen schließen muss, aus Angst, die Vettel im Spiegel griffe nach mir und zöge mich hinter das Glas.

6 Gedanken zu „Hinterm Spiegel

  1. Das sind Fragen, die ich mir nach solchen Abenden und Nächten auch gerne frage. Während ich mir die Zähne putze und gucke das verschwommene Wimperntusche sogar gut aussehen kann (Alkohol sei Dank) überlege ich, was ich so verbal angestellt habe.

  2. REPLY:
    Lächeln und Schweigen

    Tatsächlich schwöre ich mir regelmäßig, bevor ich das Haus verlasse, eine ausreichend effiziente verbale Selbstkontrolle. Das hat noch nicht einmal etwas mit bedenklichen oder obszönen Äußerungen zu tun, zu denen ich, glaube ich, nicht neige. Indes schätzen die meisten Gesprächspartner sprechende Damen ja weitaus weniger als schweigende, lächelnde Damen, und ich leider leider ein wenig an der Tendenz zu langen Sermonen über alles Mögliche, die von meinen Gesprächspartnern, glaube ich, als eher unangenehm empfunden werden.

  3. REPLY:

    ich erinnere mich an eine wunderschöne frau in einem roten kleid, die immer das richtige gesagt hat, und es war fast eine ganze flasche ardbeg, meine ich zu erinnern. die gespräche waren von dieser frühmorgendlichen trunkenheit, manchmal ist es einfach möglich, dinge zu sagen. auf die beste art. panta rhei.

  4. REPLY:

    also ich habe auch nur die schöne frau im schönen roten kleid gesehen, aber ich kann Ihnen auch nicht sagen, ob und wie Sie sich noch daneben benommen haben, als ich schon weg war.

  5. REPLY:

    Ich meine mich da auch eine wirklich ganz entzückende Person erinnern zu können, in vielerlei Aufzügen und doch immer sehr apart, und wie privilegiert ich mich fühlte, mit ihr im 103 unterwegs sein zu können. Bis man uns gemeinerweise, den Abend abkürzend, dort wegen Schliessung hinauskomplimentiert hat.

  6. REPLY:

    Oh, das war jetzt nicht als fishing for compliments intendiert. Tatsächlich habe ich mich sehr wohl gefühlt, sowohl am Freitag im roten Kleid als auch mit dem Don im 103 oder wo auch immer.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie möchten einen Kommentar hinterlassen, wissen aber nicht, was sie schreiben sollen? Dann nutzen Sie den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken