Alkoholismus sei, hört man so, eine Art Volkskrankheit. Jeder dritte oder vierte Deutsche saufe zuviel und werde absehbar deswegen erst krank und dann sterben. Bedenkt man allerdings, dass der Abusus alkoholischer Getränke auch große Vorteile hat, so ist es eigentlich, und das hört man zu Unrecht eher selten, fast erstaunlich, dass nicht noch viel mehr Deutsche, vielleicht sogar alle, den ganzen Tag trinken. Denn seien wir einmal ehrlich: Anlass genug wäre vorhanden für jeden von uns für einen besänftigenden Dauerdusel, eine leichte Betäubung im Kontakt mit der Außenwelt und die leicht hysterische Heiterkeit, die beispielsweise in meinem Fall mit dem Genuss von Alkoholika verbunden ist.
Nehmen Sie – dies illustrierend – etwa einen ganz beliebigen Samstagmorgen. Von mir aus den vierten Oktober. Sie waren am Vorabend im Kino und haben sich diesen ziemlich guten Film über die RAF angeschaut, der viel besser ist, als die Zeitungen schreiben. Sie haben danach noch ziemlich lange gelesen und ruhige, ernsthafte Gespräche mit Ihrem Kater geführt. Vor kurzem sind Sie von selbst erwacht, es ist Samstag, so in etwa elf Uhr am Morgen, und Sie müssen nach Mitte, denn der Herbst hat Einzug gehalten und Sie brauchen Stiefel und Stiefeletten, um Ihre Umwelt zu erfreuen und nicht mehr zu frieren als nötig in dieser kalten Stadt.
Weil das Fahrrad Ihres Begleiters nicht funktionsfähig ist, fahren Sie Bahn. In der Straßenbahn sind außer Ihnen viele Berliner und außerdem stehen ungezählte andere Leute in der M 1 und starren aus den Fenstern.
Sie sind leider ein klein bisschen klaustrophobisch. Sie schließen daher ein wenig die Augen. Sie atmen langsam. Sie konzentrieren sich auf schöne, angenehme Sätze, vielleicht ein Gedicht von Mörike, das Ihnen in solchen Situationen immer einfällt, und schauen nicht die anderen Leute an. Auf keinen Fall die anderen Leute ansehen. Sehen Sie nicht die anderen Leute an (und so weiter). Schauen Sie am besten auf den Boden.
Wenn Sie am Hackeschen Markt aussteigen, funktioniert das natürlich nicht mehr. Wenn Sie hier auf den Boden starren oder in den Himmel, dann stoßen Sie mit anderen Menschen zusammen. Diese Menschen werden Sie – oh Ihr Berliner! – unter Umständen rüde beschimpfen. Sie werden den dumpfen, fettigen Körpergeruch dieser Menschen riechen und ihnen so nahe kommen, dass Sie ihre schadhaften Zähne sehen können. Niemand hat so hässliche Zähne wie die Berliner.
Sie halten daher sorgfältig Abstand. Sie weichen nach rechts und links aus. Sie verlieren dabei immer wieder Ihren Begleiter. Um Sie herum sind lauter Leute, die sich so groß und breit wie möglich machen und mit wuchtiger, Furcht erregender Fleischigkeit genau auf Sie zukommen. Ab und zu reißen einige der Leute, die Ihnen entgegenkommen, den Mund so weit auf, dass Sie etwas unterm Solarplexus das leichte Prickeln der Angst verspüren, man könne Sie beißen.
Sie schelten sich überempfindlich und ekelhaft wehleidig. Die Leute, so sagen Sie sich, können ja nichts dafür, zu zahlreich zu sein, als dass Sie sie angenehm finden. Sie lächeln (lächeln, Modeste, lächeln). Sie lächeln so verbindlich wie möglich, als die erste Schuhverkäuferin Ihnen sagt, dass die Stiefel nicht mehr in Ihrer Größe vorrätig sind. Sie lächeln, als Sie im nächsten Geschäft feststellen, dass ein Paar, das Sie ganz gut, aber nicht großartig finden, € 246,– kosten soll. Sie lächeln, als Sie es aufgeben, Schuhe zu kaufen, und Sie lächeln, als vor der Tür des Lafayette eine ganze Gruppe teigiger, ziegelroter Leute einfach stehen bleibt, und Sie für einen Moment mit der Hand den bloßen Unterarm einer fremden Frau berühren, der trotz der niedrigen Außentemperaturen etwas feucht ist, klebrig, und Sie zusammenfahren und sofort duschen möchten, aber das geht jetzt gerade nicht.
Einen Rundgang um den Kosmetik-Corner sparen Sie sich, um die demütigende Wirkung des Kontakts mit der Schönheit zu vermeiden. Vielleicht kaufen Sie besser einen Shawl, eine Art Stola in Schwarz und Silber, und widerstehen der Versuchung, sich auf der Stelle sozusagen ganzkopfverhüllend in Ihre Neuaquisition zu hüllen. Dann kämpfen Sie sich bis zur Rolltreppe, fahren hinab, lassen alle Hoffnung fahren, an diesem Tag noch irgendetwas Produktives zu tun, und trinken ganz schnell einen Chardonnay, essen sechs Austern und eine Hummersuppe, und dann kippen Sie einen Moët Rosé Imperial hinterher.
Ich versichere Ihnen, Sie fühlen sich besser.
madame, sie haben mein mitgefühl. das letzte mal ist es mir es so ergangen, als sich die marathon-skater auf den start vorbereiteten ud ich mit zwei begleitern samt fahrrad plötzlich mittendrin war. leider gab es keinen moet rose, sondern nur die unsensible frage: was bist du plötzlich für eine spaßbremse?
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Man sollte sich nie zu weit entfernen von den Champagner-Bars dieser Welt.
und dann gibt es noch die ganz armen schweine, die keinen alkohol trinken können. nicht 1 tropfen. selbst wenn der bloße unterarm feucht und klebrig und sonderbar gefleckt war und der atem des gegenübers an ein kanalrohr erinnerte. keine gnade. egal, ob moet oder whiskey, sherry oder weißwein. kaum erreicht die flüssigkeit das gaumensegel, da schüttelt sich der ganze körper ob des widerwärtigen stoffes. Ihre versicherung, madame in ehren. aber wie gesagt, es gibt auch die vom andern stern
REPLY:
Alkohol ist ja zum Glück nicht das einige Sedativum.
klar, dass mich das thema aus der kommentarreserve lockt.
seit ich nicht mehr regelmäßig trinke, bin ich unausgeglichen, schmerzanfällig und mir macht das trinken keinen rechten spaß mehr.
mehr saufen, wird auf jeden fall mein neujahrsvorsatz. auf die hummersuppe und die austern ist natürlich geschissen. no offense.
Der neue Weg… 21 Tage
Training für ein alkoholfreies, gesundes und glückliches Leben!
(Eines muss man der Google-Werbung lassen: Sie erreicht jedenfalls ihre Zielgruppe 🙂