Kürzlich war ich am Mittelmeer. Von morgens bis abends lag ich am Strand. Hinter mir befand sich das Ende Oktober schon fast leere Hotel und steinige, von Dornenbüschen spärlich bewachsene Hügel, auf denen alle paar Meter Bauruinen standen, von denen ab und zu etwas abfiel. Vor mir gähnte blau und grün das Meer, und wer angesichts dieser unfassbaren Leere nicht alle ein, zwei Stunden an den Tod denken muss, hat ein wirklich sonniges Gemüt.
Gelegentlich floh ich den Tod. Mit einem gemieteten Wagen fuhr ich von Elounda nach Agios Nikolaos, kaufte mir mehrere Zeitungen, las sie von vorn bis hinten durch, und saß dabei in einem Eiscafé, wo es ein wohlschmeckendes griechisches Eis mit dem italienischen Namen Dodoni gab.
Ansonsten ist in Agios Nikolaos nichts los. Es gibt ein Museum, das besuchten mein Begleiter und ich aus lauter Langeweile. Das Museum befindet sich in einem ungefähr vierzig Jahre alten Flachbau und zeigt eher unspektakuläre Kübel aus Ton, ein paar Tonpüppchen, Tonkühe, verzierte Särge aus Ton und einen Kopf. Besser gesagt: Einen Schädel. Einen Schädel mit einem Kranz aus goldenem Lorbeer, und es war schlechthin unmöglich, an etwas anderes zu denken als an Tod und Sterben und, ja, Verwesung, denn irgendwie musste aus einem Kopf mit Kranz ein Schädel mit Kranz geworden sein, der uns nun leicht bräunlich verfärbt in einer quadratischen Vitrine mit dem langzähnigen Grinsen der Toten begrüßte.
Der Tod wurde mir unangenehm. Kreta, so schien es mir, war voll von Gegenständen, die in irgendeiner Art und Weise das Ende menschlichen Lebens thematisierten. In den Zeitungen stand die ganze Zeit, der Kapitalismus sei am Ende, und sonderbarerweise fühlte ich mich von dieser Nachricht betroffen. Der Kapitalismus also auch. Herrje, dachte ich. Ist denn nichts mehr sicher vor dem Zahn der Zeit.
Zwei Wochen später fuhr ich wieder nach Hause. Berlin sah aus wie das Ende der Welt. Die Zeitungen schrieben über Leute, die mit 34 Jahren einfach so an Herzstillstand sterben, und beim Mittagessen sprachen die Kollegen über die Vorteile der Feuerbestattung in Hinblick auf künftige Ausgrabungen oder ihre Mitwirkung bei einer Choraufführung des Requiem von Mozart.
Langsam wurde ich nervös. In einem literarischen Werk – man denke an den Tod in Venedig – hat die Häufung von Todesmotiven bekanntlich nichts Gutes zu bedeuten. Nun stehen Literatur und echtes Leben zwar nur in einem eher entfernten Zusammenhang, aber man weiß ja nie. Ich habe vorsichtshalber mein Testament gemacht und bitte statt um Blumen um eine Spende an eine wohltätige Organisation. Diese werde ich demnächst benennen. Soviel Zeit wird ja wohl noch sein.
Darf ich einen Vorschlag machen…?
REPLY:
Scheint mir nicht sehr wohltätig zu sein, der Laden.