Christoph Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, Wagenbach 2008, € 9,90
Es gibt ein vielfach verbreitetes Unbehagen an der Art und Weise, wie politische Entscheidungen in der Bundesrepublik getroffen werden. Oft steht hinter diesen Äußerungen die Vorstellung, es gebe eine „richtige“ Politik, die es nur zu erkennen (statt erst zu gestalten) gelte, und die bisweilen verschlungenen Wege demokratischer Willensbildung würden diesen Erkenntnisprozess eher behindern als fördern. In einer solchen Weltsicht erscheint dann weniger der manchmal fast unendliche Diskussionsprozess parlamentarischer Abläufe wünschenswert, sondern eine Art autoritäres Expertentum, das – beamtet oder bestellt – aus der Vielzahl denkbarer Handlungsalternativen die beste aussucht und verwirklicht. Ausfluss dieser sehr verbreiteten Ansicht ist neben dem bisweilen etwas hypertrophen Selbstbewusstsein der Ministerialbürokratie etwa das Kommissionsunwesen, das seit der Regierung Schröder die politische Willensbildung verschmiert.
Tatsächlich gibt es wenig Hinweise darauf, dass eine Expertenrepublik zu „besserer“ Politik führen würde, als der parlamentarische Betrieb. Wer dies annimmt, verkennt, dass es bei der Frage, wie regiert werden soll, grundlegende Vorfragen gibt, die nicht durch Sachkunde, sondern nur durch politische Entscheidungen getroffen werden können: Sollen die Belange der Tierschützer verwirklicht werden oder doch eher die der finanzschwachen Fleischesser mit ihrem Interesse an Schweinskoteletts zu € 2,99? Sind Arbeitsplätze in der Schwerindustrie wichtiger als der Schutz seltener, aber gutaussehender Kröten? Sollen die öffentlichen Schulen optimal auf die Bedürfnisse schwacher Schüler eingehen oder sollten die begrenzten Finanzen des Staates für die Spitzenförderung ausnehmend schlauer Kinder verwandt werden? Und wenn das Geld nicht reicht: Soll man Ausgaben kürzen, auch wenn die Gelder für an und für sich wünschenswerte Ziele ausgegeben werden sollen, oder sollen Steuern erhöht werden, und wenn ja: für wen? – Dass diese Fragen zu entscheiden nicht Sache von Experten sein kann, liegt an sich auf der Hand, denn niemand ist Experte für die Frage, welche Ziele eine Gesellschaft verfolgen soll, sondern höchstens dafür, wie man die einmal beschlossenen Ziele erreicht.
Bedauerlicherweise gibt es wenig lesbare Literatur, die das vorerwähnte Unbehagen thematisiert und auf seinen undemokratischen Kern hin untersucht. Eine Vielzahl politischer Bücher beschäftigt sich diesbezüglich mit Einzelfragen, und macht sich dabei den Wunsch mancher Bürger wie auch anderer Akteure nach einer Art Abschaffung der Politik nicht selten sogar zunutze. Manche andere, sicherlich verdienstvollen Werke scheitern an ihrer schlechten Verständlichkeit, zumal kaum jemand, dessen Beruf es nicht ist, derlei zu lesen, fette und anstrengende Wälzer schätzt, die man schon wegen ihres Umfangs weder in der Bahn noch im Bett konsumieren möchte.
Um so lieber empfiehlt man Ausnahmen wie das keine 150 Seiten lange Werk des Staatsrechtlers Christoph Möllers über Demokratie, in dem der Autor ebenso präzise wie temperamentvoll den Überdruss an demokratischer Politik von seiner narzisstischen Quelle bis ins Meer der unhinterfragten Fehlschlüsse nachzeichnet. Die leichte Lesbarkeit auch aufgrund der Rhythmisierung durch kurze, im Schnitt eine halbe Seite nicht überschreitende Abschnitte kommt dem faulen Leser zudem sehr entgegen.
danke für den tipp.
sie haben mich eben zur sofortigen bestellung des werks animiert;-)
REPLY:
Dann bin ich auf Ihre Meinung gespannt. Ich bin – wie dargestellt – von der Stringenz und Lesbarkeit des Buchs sehr beeindruckt.