Selbst mit den nachsichtigen Augen einer großen Schwester ist der jüngste Bruder der A. ein wenig sonderbar, wie man mir berichtet, und so nimmt es nicht wunder, dass jener, den wir hier einmal F. nennen wollen, auch mit 23 nur auf wenige und zudem eher etwas verkrüppelte Erlebnisse mit Frauen zurückblicken kann. Eine echte Beziehung – also ein Verhältnis, das beide Beteiligte übereinstimmend als solche bezeichnen – war bisher noch gar nicht dabei.
Die Ursache für dieses vom kleinen Bruder als zunehmend schmerzlich empfundene Defizit verortet dieser, wie es so zu gehen pflegt, nun offenbar nicht in seiner Sonderbarkeit, die sich etwa in einem merkwürdigen Erscheinungsbild und einem erstaunlichen Interesse für brutale Comics und kindlich anmutende Rollenspiele offenbaren soll. Vielmehr halte der kleine Bruder offenbar ein technisches Defizit für verantwortlich, wie der Kleine vor etwa zehn Tagen auf Gran Canaria, wo die A. mit Mutter und beiden Brüdern eine Woche in einem Ferienhaus verbrachte, quasi aus dem Nichts seiner erstaunten Schwester offenbarte.
Man habe, berichtet mir die A. also am Pool gelegen, ihre Mutter habe eingekauft, warm sei es gewesen und mit der Vogue auf den Knien habe sie in aller Ruhe ihre Fußnägel lackiert und diese im warmen, canarischen Frühlingswind zum Trocknen ein bisschen geschüttelt. Auf der Liege neben ihr lag ihr kleiner, käseweißer Bruder, las einen in mythischer Vergangenheit spielenden Roman mit einem wahrhaft abschreckenden Titel, den sie zum Glück vergessen habe, und betrachtete unverwandt, so, als habe er so etwas noch nie gesehen, die Füße seiner Schwester.
„Du kommst ganz gut an.“, habe er sodann nach einer längeren Phase der Stille geäußert. Zufrieden habe die A. genickt. In der Tat feiert jene bei den Berliner Männern erstaunliche Erfolge auf der ganzen Klaviatur von Wohlgefallen bis Begeisterung. – Er selbst indes, habe der kleine Bruder fortgefahren, könne dies leider nicht von sich behaupten. Die A. zuckte mit den Schultern. Das Problem, so bedeutete sie ihm, sei bekannt. Für einen Moment hätten beide geschwiegen. „Ich habe den Bogen halt nicht raus.“, habe der kleine Bruder geseufzt, und für einen Atemzug überlegte die A., ein paar Takte über alte T-Shirts, billige Friseure, schlechte Musik und komische Hobbies anzubringen. Bevor sie aber ansetzen konnte, sprach der F. weiter.
Manche Männer, teilte er düster mit, wüssten halt, wie man die Frauen anginge. Ein paar Worte genügten, und Telefonnummern würden übergeben, Termine vereinbart, und dann gehe mehr oder weniger alles von selbst. Solche Gelegenheiten seien es, die ihm fehlten, besser gesagt: Die Kunst, derlei Gelegenheiten, wo sie sich bieten, auch zu ergreifen, und um dieser unguten Situation ein- für allemal ein Ende zu setzen, wende er sich mit einer zugegeben offenherzigen, möglicherweise ein wenig überraschenden Bitte an sie: Die A. als Expertin in dieser Arena, so bat er, möge ihm einige Sprüche aufschreiben, ebenso originelle wie überzeugende Formeln der Kontaktaufnahme, die er sich merken und fortan zur Kontaktaufnahme verwenden werde. Er denke an so etwa zehn, um sich nicht die ganze Zeit zu wiederholen.
Die A. war sprachlos.
Sie habe nach Ablauf jener knappen Sekunde der Irritation wirklich nicht aus Boshaftigkeit gelacht, beteuert die A. Ihr Bruder aber sei nun sturzbeleidigt, gar nicht wieder zu beruhigen und ernstlich verstimmt über diese Verweigerung der aktiven Mithilfe an seinem Lebensglück.
Ich meine, der Kleine sollte sich von seiner Schwester emanzipieren, die (Lebens-)Entwürfe scheinen mir nicht kompatibel zu sein. Ich möchte jetzt eigentlich nichts schreiben was die Worte „Topf“ und „Deckel“ beinhaltet, aber man sollte es tun …
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Es hängt vom Blickwinkel ab, ob komische Hobbies so schlecht sind. Früher waren Rollenspielertreffen eine ökologische Nische, wo auch die pummelige Elfe einen Prinz abbekommen konnte, da sie nicht viel Konkurrenz antraf.
So in diese Richtung habe ich auch gedacht, Weltenweiser…
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… und am Ende saßen sie dann beide auf dem Sofa, die dicke Elfe und der haarlose Prinz, und versuchten, fest daran zu glauben, dass innere Werte zählen? Das mag oberflächlich anmuten, aber ich kann mir immer nicht vorstellen, dass die Leute glücklich werden, wenn ihre subjektiven Möglichkeiten sehr weit hinter ihren Wünschen zurückbleiben. Und wer wünscht sich schon eine dicke Elfe?
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Wenn man eine Schwester wie die A. hat und daran seine subjektiven Möglichkeiten festmacht wahrscheinlich nicht, das stimmt.
Aber wenn man seine (ebenfalls subjektive) Sonderbarkeit als Möglichkeit begreift, kann einem die Welt auch offen stehen. Die hübschen Füße der Schwester sollten nicht sein Maß sein …
…und ich z.B. mag’s durchaus etwas pummeliger.
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Das, Herr Foxxi, ist lobenswert. Überhaupt sollte die Neigung zu pummeligen Damen verbreiteter sein.
Die problematik der wuensche und moeglichkeiten, oder, anders gesagt, die unsoziale marktwirschaft der liebe, ist in meinen augen eine solch himmelschreiende ungerechtigkeit, dass ich nun doch endlich mal die (zum glueck wenig schmerzhafte) registrierung hier ueber mich ergehen lasse, um zu fragen, werte Modeste, welche alternative die genannten elfen und prinzen denn haben? Alleine ungluecklich zu bleiben ist ja nun nicht das wahre und das glueckliche alleinsein gelingt auch nicht jedem. Was bleibt, ausser kompromissen? Sicher, in mancher hinsicht koennte der eigene marktwert oft gesteigert werden, wenn man sich genug muehe gibt. In anderer jedoch ebenso oft nicht oder, z.B. was die obskuren hobbies angeht, nur unter, wie ich finde, wuerdeloser selbstverleugnung. Sich „coole“ hobbies zuzulegen und dafuer dinge, die man mag, aufzugeben, nur um besser anzukommen, scheint mir eher kein legitimer tipp zu sein, auf keinen fall aber einer, der die von mir behauptete ungerechtigkeit widerlegen wuerde.
Troestlich allenfalls die vorstellung, dass die gesellschaftlich etablierte oberflaechlichkeit nicht naturgegeben ist, sondern tatsaechlich eher eine modeerscheinung, die mal diese, mal jene bevorzugt und vielleicht eines tages insgesamt schwaecher werden koennte.
Nun, professionelle Pick-up-Artists arbeiten letztlich auch nur mit Regeln und Versatzstücken und sind erschreckend erfolgreich bei der Damenwelt. Das aber ist dieser sehr peinlich und deshalb versuchen sie einen großen Bohei darum zu machen, dass man so doch keine Frau kennen lernen könne. Kürzlich erzählte mir ein rund 50-jähriger, mäßig attraktiver Mann, wie er im Rahmen eines solchen Kurses 20-jährige innerhalb von 10 Minuten zum gegenseitigen Zungenküssen brachte. Es ist äußerst banal und als Frau wären mir meine Geschlechtsgenossinnen auch peinlich. Aber es funktioniert. Damit will ich nicht sagen, dass das der richtige Weg ist zu einer wertvollen Beziehung ist. Aber die Nase zu rümpfen, ist keine Lösung. Und am Ende bleibt so auch mal die eine oder andere hübsche Elfe bei einem mittelmäßig attraktiven Herrn hängen. Dieses Phänomen kennen wir doch alle und gewundert haben wir uns auch schon alle darüber. Er hat halt nicht gefragt, ob sie öfter hier sei, er hatte aber vielleicht dennoch einfach die besseren Ansätze gelernt.
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Das klingt interessant. Was ist das für ein Kurs?
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Am Ende wird man da nicht viel machen können: Der Marktwert ist, nehme ich an, eine im wesentlichen feststehende Größe.
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Davon habe ich auch schon gehört. Schwer vorstellbar, einerseits. Andererseits wird man als Durchschnittsfrau ohnehin so selten angesprochen, und die Ansprechenden geben sich so wenig Mühe, dass die eine oder andere möglicherweise die Mühe selbst als honorabel erachtet.