Ernö Szep, Die Liebe am Nachmittag, dtv 2009
Man kennt solche Männer: Mit zwanzig sind sie unwiderstehlich (oder fühlen sich zumindest so), und was auch immer sie tun, man nimmt es ihnen nicht übel. Mit dreißig dann haben sie alles gesehen und fast alles getan, und wenn man sie mit vierzig irgendwo trifft, umweht sie eine leise Müdigkeit, ein Hauch von Ennui, eine Langeweile, die der Ahnung entspringt, dass der Kelch des Lebens von ihnen so hastig herabgestürzt wurde, dass jeder neue Wein nur schmecken kann wie längst bekannte Getränke.
Meist ist gut auszukommen mit diesen Veteranen der Nacht. Anders als manch anderer wissen sie, nichts verpasst zu haben, und dass ihnen statt einer Karriere nur viele Erinnerungen bleiben, ist den meisten kein Quell der Verbitterung, sondern ein schieres Faktum. Ein Preis, den man bezahlt. Ein bisschen staunen solche Männer manchmal, wie vollständig das Leben anderer erscheint, aber selten spürt man – trifft man sie an irgendeiner Bar, auf einem Fest morgens um vier in der Küche – Neid. Es scheint sich ausgegangen zu sein, dieses Leben, auch wenn es leicht wiegen mag gegenüber denen, die in diesen Jahren schwer beladen mit Verantwortung und Erfolgen im Wirtschaftsteil der Zeitung stehen.
Lieben aber möchte man solche Männer nicht. Nicht die schiere Zahl der Vorgängerinnen (ach, Arithmetik), die Gewöhnung vielmehr ist es, was einen zurückschrecken lässt. Nichts, meint man zu wissen, wird man den Erinnerungen und Erfahrungen solcher Männer hinzufügen können, und so nennt folgerichtig Ernö Szeps Held Mihaly seine verheiratete Geliebte nicht einmal mehr bei ihrem Namen, sondern nur bei ihrem Parfum. Cinq-Fleur.
Ein wenig zu routiniert, ein bisschen zu gleichgültig läuft diese Liebschaft durch die Seiten. Man trifft sich, man telefoniert. Man schätzt sich. Man liebt sich ganz ausgesprochen nicht. Ein bisschen erschreckend fährt diese Affäre auf allzu glatten Schienen, und am Ende – das sieht man voraus – werden sich Mihaly und Cinq-Fleur nicht trennen, sondern einfach nicht mehr sehen. Auf dem nächsten Empfang, der nächsten Premiere, werden sie sich dann zunicken, freundlich, kein Grund zu Groll, und dann ist es vorbei.
Auch Iboly wird nicht geliebt. Dass Iboly, Schauspielschülerin mit Anfang zwanzig, sich in Mihaly verliebt, weil er Dichter war und Stücke schreibt, weil er charmant ist und ihr zuhört, mag man verstehen, und ein bisschen sorgt man sich um das junge Mädchen. Noch fünf Jahre vor Beginn dieses Romans wäre Mihaly vielleicht der Grund für Tränen und Szenen und ließe sich für ein, zwei Wochen oder gar Monate hinreissen. Nun aber ist Mihaly 46, und sein Wunsch nach Ruhe überwiegt seinen Wunsch, neben einer jungen Frau zu erwachen. Als Iboly sich ihm anbietet, weicht er aus.
So gut wie nichts passiert also in diesem Roman, der erstmals 1935 in Ungarn erschienen ist. Nichts weiter, als dass ein kluger und müder Mann in einem versunkenen und doch seltsam zeitlosen Budapest altert, sich dem Alter noch ein wenig widersetzt, sein früheres Selbst gelegentlich in der offenen Hand wiegt und einen leisen Abschied feiert von sich selbst, seiner Vergangenheit und einer Zukunft, von der er weiß, dass sie nicht mehr stattfinden wird, denn irgendwann liegt alles hinter uns, was wir hätten werden können, und wenig später auch: Was wir geworden sind.
Prima. Brauche ich meine Autobiografie also auch nicht mehr schreiben. Das Buch scheint mir eine gute Empfehlung zum Lesen und Bedenken, vielen Dank.
ich kenne diese biografie nur mit karrieren – und frauen, die irgendwann den knoten lösen. diese sind wiederum sehr sehr besondere ihrer art.
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Bis zu diesem Stadium, werter Herr Kid, haben Sie sicherlich noch ein paar Jahre (oder soll ich sagen: Jahrzehnte). Das Buch lohnt sich aber natürlich auch schon für so jugendliche Menschen wie uns.
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Ja, irgendwann landen dann – mit ein bißchen Glück – auch diese Männer irgendwo an.
Falls man sich dieses Buch ein wenig im Stil der Werke von Sandor Marai vorstellen darf, wird es auf meiner Wunschliste landen.
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Wie ich dem Klappentext entnehme, zählt Marai wie auch Szép zu den „Großen Eleganten“ der ungarischen Literatur. Tatsächlich erkennt man Gemeinsamkeiten, die aber auch am gemeinsamen Übersetzer liegen mögen, einem Herrn Ernö Zeltner, der, wie ich annehme, seine Aufgabe großartig bewältigt hat.
Manchmal heiraten sie doch das Mädchen , das sich anbietet dem Veteranen der Nacht. Und dann gehen sie traumverloren und abwesenden Blickes neben dem Kinderwagen her. So fehl am Platze . Für die Nacht sind sie geschaffen, auch später noch. Das Tageslicht macht sie fahl und faltig.
Und sie erzählen dir, an irgend einer Bar, dass sie es doch versuchen wollten, das andere Leben. Das Glück scheint fern.
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Bedauernswert und ärgerlich in einem: Die Grenzen des eigenen emotionalen Vermögens nicht zu kennen, zu versuchen, was nicht geht, und dann nach ein, zwei Jahren den Versuch einzustellen.