Manche behaupten, die Phase heimlicher Verliebtheit endet mit 15. Bei Spätentwicklern ende sie mit vielleicht 25. Die K. aber mit ihren 35, obwohl augenscheinlich ganz normal entwickelt und ganz und gar nicht übermäßig jugendlich mit ersten Fältchen um den Augen und zehn Kilo zuviel, hat es augenscheinlich erwischt.
„Das ist, als habe man mit 30 Masern.“, gluckst die Dritte am Tisch und gießt mehr Sojasauce über ihr Essen, als diesem zuträglich sein kann. Die K. jedoch nickt nur traurig und stochert mit ihren Stäbchen in einem Huhn Gong Bao. – „Ruf ihn an.“, versuche ich, etwas Konstruktives zu sagen, aber die K. schüttelt so entschieden den Kopf, dass sich jedes weitere gute Zureden verbietet. Dann also nicht.
Keinesfalls könne sie ihn anrufen, unterstreicht die K. ihre Ablehnung, denn schließlich träfe man sich ständig irgendwo, und dann sei sie für den Rest ihres Berufslebens – in dem gelegentliche Zusammentreffen unausweichlich sind – diejenige, die bei der Konkurrenz angerufen habe, um sich zu verabreden. Überhaupt könne man einen Mann nicht einfach anrufen, der keinerlei Anzeichen für Interesse gezeigt habe, und nach einem Treffen fragen, denn das sei erbärmlich. Man sei nicht einmal auf Du. „Wie soll man in einer mündlichen Verhandlung auch Interesse zeigen?“, frage ich quer über den Tisch. Die K. hat die Stäbchen weggelegt.
Ob ich etwas von ihrem Huhn essen könnte, frage ich mich und wische den Gedanken sofort wieder weg. Mein Tofu mit Gemüse ist seit ungefähr einer Viertelstunde Vergangenheit. Mein Gott, denke ich. Als sei man nicht dick genug. Statt dessen ordere ich mehr Tee.
„Der fühlt sich doch bestimmt geschmeichelt.“, rät die F. zu. „Und wenn schon!“, beendet die K. jede Diskussion. Dann werde er erst recht herumerzählen, sie habe ihn angerufen, einfach so, aus heiterem Himmel, und wie stünde sie dann da. „Als jemand, der sich etwas traut?“, fragt die F. vermutlich rein rhetorisch. Auch sie ist seit inzwischen zehn Minuten mit dem Essen fertig. Um ihre knusprige Ente habe ich sie beneidet.
„Noch was bei den Damen?“, fragt der Kellner und schichtet Platten und Teller zu einem bewundernswert hohen Stapel. „Einen Pflaumenwein?“, fragt er auf dem Rückweg in die Küche, und die F. lacht. Die K. bekomme nichts, sagt sie, als der Kellner verschwunden ist. Die sei ja erst 15.
Die K. lacht kein bißchen.
Dafür meiner einer -der mit 49 nicht minder feige und verlegen wäre- um so mehr! 😉
schade. jugend findet nicht im kleiderschrank statt sondern im kopf. mit 35 bei der ein oder anderen gelegenheit mal 15 sein schadet nun wirklich nicht. das ist eine gabe, die zwischen den ganzen vom leben und lebenlassen grundsatzüberforderten bedenkenträgern oder gedanklichen vorruheständlern kaum jemand besitzt.
Ich wage zu bezweifeln, dass die K. ernsthaft verliebt ist (was mit den aus der Geburtsurkunde ersichtlichen Lebensjahren meiner Einschätzung nach ohnehin nur sehr periphär zusammenhängt), denn hat man tatsächlich die sprichwörtliche rosa Brille auf und Schmetterlinge im Bauch, ist einem völlig schnurz, was die Umwelt darüber denkt. Und Traurigkeit ist das in diesem Zustand am allerweitesten entfernte Gefühl …
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Laut Oscar Wilde ist ja nicht der Umstand, dass wir älter werden, sondern dass wir jung bleiben, das entscheidende Dilemma, aber vielleicht auch ein großes Glück.
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Dieses Schlingern zwischen den Aggregatzuständen demonstriert immerhin eindrucksvoll, dass man noch lebt und nicht nur einfach da ist.
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Ich glaube, es ist die Aussichtslosigkeit, die sie etwas deprimiert, aber vermutlich müsste das nicht so sein. Was soll schon passieren – im schlechtesten Fall fühlt er sich geschmeichelt, im besten geht er auf die Einladung ein.